The Poperty Post | Institutional Magazin Nr. 02 - Mai 2024

The Property Post Institutional NR 02 - MAI 2024 21 20 Herr Dr. Stelter, wir haben fast drei Viertel der Legislaturperiode hinter uns. Wie fällt Ihr Urteil bislang über die Politik der Ampel aus? Man muss fairerweise sagen, dass die Ampel viele Probleme aus der Zeit von Kanzlerin Merkel geerbt hat. Dann kam der Ukraine-Krieg hinzu, der die Si- tuation noch einmal erschwert hat. Was ich jedoch kritisiere, ist, dass trotz schwierigerer Rahmenbe- dingungen viele Projekte weiterverfolgt werden, die nicht mehr in die Zeit passen und für die es eher ideologische als reale Gründe gibt. Problema- tisch ist vor allem, dass wir aktuell so gut wie kein Wirtschaftswachstum haben. Und das ist auch eine Folge des politischen Handelns und nicht nur eine Folge der Umstände. fügen. Außerdem müssen wir entbürokratisieren, aber nicht mit vielen kleinen Maßnahmen. Wir brauchen hier wirklich einen ganz neuen Ansatz. Die künftige Philosophie muss sein: Der Staat nimmt sich zurück, er versucht nicht mehr die so- genannte Transformation zu steuern, sondern setzt einfach Preissignale und lässt dann die ökonomi- schen Kräfte wirken. Ich höre heraus, dass das Energiepreisthema am meisten drängt … Die Zahlen zeigen, dass die energieintensive Indus- trie massiv eingebrochen ist seit dem Beginn des Ukrainekriegs. Dabei muss man bedenken, dass die Abwanderung der Industrie bereits vor Coro- na begann. Es gab also eine bestehende Negativ- entwicklung, die sich 2022 noch einmal deutlich beschleunigt hat. Das Gefährliche daran ist: Wenn Unternehmen sich einmal entschieden haben, wo- anders hingehen, sind sie weg und kommen auch nicht wieder zurück. Was würden Sie unternehmen, um die Energie- preise kurzfristig spürbar zu reduzieren? Zum einen sollten alle Abgaben und Steuern auf Energie so weit gesenkt werden wie irgend mög- lich – ich meine damit etwa die Stromsteuer und die Netzentgelte. Die Netzentgelte wurden bei- spielsweise jüngst wieder erhöht. Unterm Strich bin ich der Meinung, dass wir auch eine andere Art der Energiewende brauchen. Bei der ganzen Transformation muss auch die Wirt- schaftlichkeit und Bezahlbarkeit wieder ein wich- tiger Parameter sein. McKinsey hat folgendes er- rechnet: Wenn im Süden der Republik ein paar Gaskraftwerke gebaut werden, anstatt alles über Stromnetze aus dem Norden zu transportieren, könnte enorm Geld gespart werden. McKinsey zu- folge könnte die Energiewende dann 150 Milliar- den Euro günstiger werden. Das ist eine Menge Geld, die wir sinnvoll an anderer Stelle einsetzen können. Wir haben ja noch ein Viertel der Legislatur üb- rig.WelchenWunsch würden Sie für die verblei- bende Zeit an die Regierung formulieren? Die Leitfrage der Regierung müsste sein: Wie schaffen wir es, mehr Wirtschaftswachstum zu ge- nerieren? Und das bedeutet vor allem: Wie errei- chen wir eine höhere Produktivität? Das ist natürlich nicht in einem Jahr zu lösen, das ist ein längerfris- tiger Prozess. Kurzfristig können allenfalls Weichen gestellt werden. Wo würden Sie da konkret ansetzen? Wir müssen die Abwanderung der Industrie stop- pen. Vor allem aus diesem Grund braucht es drin- gend eine Antwort auf die hohen Energiekosten. Zudem muss Deutschland in Bildung investieren, um perspektivisch über eine besser ausgebilde- te und produktivere Erwerbsbevölkerung zu Ver- Wir haben uns auf eine ideologische Maximallö- sung versteift – nämlich alles mit Solar- und Wind- energie zu machen und auch noch Wasserstoff zu erzeugen. Das ist einfach unglaublich teuer. Bis jetzt konnten wir uns das noch leisten, aber aktu- ell kommen wir offensichtlich an den Punkt, wo das nicht mehr geht. Wir befinden uns mehr als zwei Jahre nach Aus- bruch der Ukraine-Krieges. Wie schwierig ist die ökonomische Situation Deutschlands wirk- lich? Ist sie leicht dramatisch, mittel dramatisch oder sehr dramatisch? Sie ist sehr dramatisch, weil es sich nicht um ein temporäres konjunkturelles Thema handelt, son- dern um ein strukturelles. Die deutsche Volkswirt- schaft hat im Prinzip kein Wachstum mehr. Dabei brauchen wir – wie bereits erwähnt – vor allem vor dem Hintergrund des demografischen Wandels in den kommenden Jahren eine höhere Produktivität. Ansonsten wird der volkswirtschaftliche Kuchen immer kleiner und wir werden massive Verteilungs- konflikte bekommen. Die Arbeitsproduktivität ist einer Ihrer zentra- len Punkte. Was kann noch getan werden – au- ßer der bereits angesprochenen Senkung der Energiepreise? Es gibt viele verschiedene Hebel, an denen man ansetzen müsste. Die Herausforderung dabei ist, dass die Maßnahmen Zeit brauchen, bis sie wir- ken. Ein entscheidender Punkt ist beispielsweise die Qualifikation der Erwerbsbevölkerung. Gute Mitarbeiter machen Investitionen in Unternehmen attraktiver. Auch wenn neue Maschinen und An- lagen gekauft werden, steigert das die Produkti- vität. Vor diesem Hintergrund ist es dramatisch, dass die Investitionen in deutsche Unternehmen so zurückgegangen sind. Wichtige Maßnahmen wären meiner Meinung nach auch weniger So- zialleistungen, mehr Druck, eine Beschäftigung aufzunehmen und eine Verlängerung der Le- bensarbeitszeit. Allen diesen Maßnahmen ist ge- mein, dass sie nicht populär sind und dass man nicht sofort Ergebnisse sieht. Deshalb scheut die Politik davor zurück. Selbst wenn die Politik er- kennt was zu tun ist, fehlt ihr in der Regel der Mut. “ Wir haben uns auf eine ideologische Maximal- lösung versteift. Deutschland steckt in einer strukturellen Krise. Eines der zentralen Probleme ist das fehlende Wachstum von Wirtschaft und Produktivität, während parallel dazu immer mehr Unternehmen abwandern. Um diesen Trend zu stoppen braucht es an verschiedenen Stellen neue Antworten – etwa auf die hohen Energiekosten oder das marode Rentensystem. Gelingt keine Trendwende, sind die Perspektiven düster. Interview mit Dr. Daniel Stelter „Schrumpft der volkswirtschaftliche Kuchen, bekommen wir massive Verteilungskonflikte” Dr. Daniel Stelter Makroökonom und Strategieberater

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