Deutschlandstudie 2019 - Aufstockung und Umnutzung von Nichtwohngebäuden in urbanen Lagen
Erscheinungstermin: Februar 2019
Herausgeber: Technische Universität Darmstadt, SP Eduard Pestel Institut für Systemforschung e.V., VHT Institut für Leichtbau | Trockenbau | Holzbau
2,3 bis 2,7 Millionen Wohnungen könnten in Deutschland neu entstehen, wenn die vorhandenen innerstädtischen Bau-Potenziale intelligent und konsequent genutzt würden. Der Vorteil: Zusätzliches – und gerade in Städten mit hohen Mieten – teures Bauland ist dazu nicht erforderlich. Zu diesem Ergebnis kommt die zweite „Deutschland-Studie 2019“ der TU Darmstadt und des Pestel-Instituts (Hannover). Die Wissenschaftler haben dazu die Gebäude und Fehlflächen analysiert und eine „Inventur“ bei den Immobilien und versiegelten Grundstücken gemacht. Im Fokus dabei diesmal: Nicht-Wohngebäude. „Büro- und Geschäftshäuser, eingeschossige Discounter mit ihren Parkplätzen bieten ein enormes Potenzial für zusätzliche Wohnungen – durch Nachverdichtung wie Aufstocken, Umnutzung und Bebauung von Fehlflächen. Zusätzlich lässt sich eine Auswahl an öffentlichen Verwaltungsgebäuden für neuen bezahlbaren Wohnraum nutzen.“, sagt Prof. Dr. Karsten Tichelmann, Leiter des Fachgebiets Tragwerksentwicklung am Fachbereich Architektur der TU Darmstadt.
Konkrete Zahlen dazu präsentierten die TU Darmstadt und das Pestel-Institut am 27. Februar 2019 bei der Vorstellung der Deutschland-Studie 2019 „Wohnraum-Potenziale in urbanen Lagen – Aufstockung und Umnutzung von Nicht-Wohngebäuden“ auf einer Pressekonferenz in Berlin. Demnach ließen sich bundesweit 560.000 Wohneinheiten allein durch die Dachaufstockung von Bürokomplexen und Verwaltungsgebäuden erreichen. Und wo früher einmal Büros und Behörden untergebracht waren, bieten leerstehende Gebäude heute ein Potenzial von weiteren 350.000 Wohnungen.
Auch Supermärkte bieten ein enormes Potenzial für neuen Wohnraum: Rund 400.000 zusätzliche Wohnungen könnten auf den innerstädtischen Flächen der zwanzig größten Lebensmittelmarkt- und Discounterketten entstehen – ohne dabei Abstriche bei den Verkaufsflächen oder Parkmöglichkeiten zu machen. „Hier geht es um sehr attraktive Lagen in Städten“, betont Karsten Tichelmann. Für diesen neuen Mix „Nahversorgung & Wohnen“ sei in der Regel ein anderes bauliches Konzept erforderlich. Demzufolge sind dann Lagerflächen und Parkplätze unterirdisch angeordnet und die ursprünglichen Flächen können für den Markt-Wohn-Komplex genutzt werden. Allein in Berlin bieten sich 330 eingeschossige Lebensmittelmärkte an, so die Studie. So könnten in Berlin zwischen 20.000 und 36.000 neue Wohnungen in attraktiven Lagen entstehen – und gleichzeitig das gesamte Wohn-Umfeld verbessert werden.
Selbst City-Parkhäuser bieten Platz für Wohnungen: Wird das oberste Parkdeck aufgestockt, geht die Studie von mindestens 20.000 zusätzlichen Wohneinheiten bundesweit aus, alles „Wohn-Parkhäuser“ in guten Innenstadtlagen. Insgesamt kommen die Wissenschaftler damit auf mehr als 1,2 Millionen Wohnungen, die bundesweit durch das „Wohnbar-Machen“ von Nicht-Wohngebäuden entstehen könnten. Hinzu kommen noch einmal zwischen 1,1 bis 1,5 Millionen Wohnungen, die durch die Dachaufstockung von vorhandenen Wohngebäuden der 50er- bis 90er-Jahre möglich wären. Das geht aus der vorhergehenden Deutschland-Studie der TU Darmstadt und des Pestel-Instituts aus dem Jahr 2015 hervor.
Dass es notwendig ist, diese Wohnungsbau-Reserven effektiv zu nutzen, liegt für die Wissenschaftler auf der Hand: „Bundesweit fehlen über eine Million Wohnungen. Allein in Berlin liegt das Defizit bei 92.000 Wohnungen“, sagt der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther. Derzeit müssten jährlich bundesweit rund 400.000 Wohnungen (davon gut 18.400 in Berlin) neu gebaut werden. Branchen-Insider gehen allerdings davon aus, dass im gesamten letzten Jahr weniger als 300.000 neue Wohnungen entstanden sind.
Um die brachliegenden Potenziale für den Wohnungsbau zu nutzen, müssen sich die politischen Rahmenbedingungen verändern. Das fordern 16 Verbände und Organisationen der Bau- und Immobilienbranche, die die Deutschland-Studie 2019 bei der TU Darmstadt und dem Pestel-Institut in Auftrag gegeben haben. Notwendig seien Weiterentwicklungen im Bau- und Planungsrecht. So müsse beispielsweise eine Überschreitung der Geschossflächenzahl, die häufig auf vor Jahrzehnten erlassene Vorschriften zurückgeht, bei Dachaufstockungen zulässig sein. Auch bei Trauf- und Firsthöhen sei Flexibilität notwendig. „Wir brauchen weniger bürokratische Hürden und mehr Bereitschaft zu guten, konzeptionellen Lösungen. Dabei wären auch zentrale Anlaufstellen als Ansprechpartner wichtig“, sagt Holger Ortleb. Der Koordinator des Verbändebündnisses spricht sich zudem dafür aus, Anforderungen wie Stellplatzforderungen flexibel und für den Einzelfall zu gestalten.
Aber auch finanzielle Anreize seien notwendig: So macht sich das Verbändebündnis dafür stark, die Abschreibung von derzeit 2 Prozent bei Dachaufstockungen und der Umnutzung von Nicht-Wohngebäuden auf einen AfA-Satz von 4 bis 5 Prozent anzuheben. Nur so gelingen es, private Investoren verstärkt für Aufstockungen und Umwandlungen zu gewinnen. Für kommunale und genossenschaftliche Wohnungsbaugesellschaften sollte es eine Investitionszulage von 15 Prozent geben. Zudem spricht sich das Verbändebündnis für eine verbesserte Förderung des Mietwohnungsbaus und für gezielte KfW-Förderprogramme aus.