Gebäude erfüllen die Nachhaltigkeitsrichtlinien der EU für zirkuläres Bauen nicht
Erscheinungstermin: Februar 2023
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen – DGNB e.V.
Die Immobilienbranche ist auf den von der Europäischen Union vorgegebenen Wandel zur Kreislaufwirtschaft nicht vorbereitet. Das zeigt eine Studie, die die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen – DGNB e.V. in den vergangenen Monaten gemeinsam mit europäischen Partnern durchgeführt hat. Darin wurde die Marktfähigkeit der im Rahmen der EU-Taxonomie vorgeschlagenen Circular Economy-Kriterien anhand von 38 realen Bauprojekten in Dänemark, den Niederlanden, Deutschland, Österreich, der Schweiz und Spanien – davon 35 Neubauten und drei Sanierungenvon – untersucht. Das Ergebnis: kein Projekt konnte als Taxonomie-konform eingestuft werden. Als besonders schwierig erwies sich die Wiederverwendung von Bauteilen und der Einsatz von Rezyklaten. Zudem fehlten Daten und Methoden zum zirkulären Bauen. Die EU-Taxonomie ist ein Klassifizierungssystem für nachhaltige Investments, das die Europäische Union im Jahr 2020 ins Leben gerufen hat, um die Transformation zum klimaneutralen Kontinent zu beschleunigen.
Zirkularität in der gebauten Realität noch nicht angekommen
Das übergreifende Ergebnis der Studie ist jedoch, dass keines der Gebäude im Umweltziel "Wandel zur Kreislaufwirtschaft" als Taxonomie-konform eingestuft werden kann. Mehr als die Hälfte aller Neubauten erfüllte weniger als 50 Prozent der Anforderungen. Dabei sprechen derzeit in Vorträgen, Diskussionen und in den Medien alle über das zirkuläre Bauen und es ist der Eindruck entstanden, das Thema wäre in der Branche angekommen. Die Studie zeigt jedoch, dass es in der gebauten Realität in dieser Dimension nicht vorhanden ist.
Größte Hürde: reale Reduktion des Ressourcenverbrauchs
Grundsätzlich lassen sich bei der Auswertung der Studienergebnisse zwei Perspektiven unterscheiden. So zielen einige Kriterien darauf ab, sofort negative Umweltwirkungen und den Ressourcenverbrauch zu reduzieren, beispielsweise durch die Wiederverwendung von Bauteilen oder den Einsatz von Rezyklaten. Zum anderen soll ein zukünftiger Werterhalt von Ressourcen gesichert werden, etwa durch die Vermeidung schadstoffbelasteter Materialien und die Sicherstellung der Rückbaubarkeit eines Bauwerks.
Die Studienergebnisse zeigen, dass sich der gegenwärtige ressourcenschonende Umgang mit Baumaterialien als besonders herausfordernd erweist. So konnte kein Projekt die Materialquote erfüllen, wonach die eingesetzten Baumaterialien zu mindestens 15 Prozent wiederverwendet, zu 15 Prozent recycelt und zu 20 Prozent entweder nachwachsend, wiederverwendet oder recycelt sein müssen. Gründe waren die fehlende Verfügbarkeit entsprechender Materialien sowie der auf Kreislaufwirtschaft ausgerichteten Informationen und Daten.
Zwar schnitten die Projekte besser ab, wenn es darum ging, den zukünftigen Werterhalt ihres Gebäudes und der Baumaterialien nachzuweisen, beispielsweise durch Aufzeigen einer auf Flexibilität und Rückbaubarkeit ausgerichteten Konstruktion. Allerdings bestand auch hier eine große Hürde darin, geeignete Methoden und Dokumentationsvorgaben zu finden. Erfolgreich waren nur die Projekte, die parallel eine Nachhaltigkeitszertifizierung durchführten und die darin verankerten Vorgaben nutzen konnten.
Empfehlungen an die EU: Gebäuderessourcenpass und Balance der Umweltziele
Aus den Studienergebnissen leitete das Studienkonsortium konkrete Empfehlungen ab, die bereits im Oktober 2022 an die EU-Kommission übermittelt wurden. Dazu zählt, die Kriterien in Bezug auf die Marktfähigkeit anzupassen und klare Definitionen und Methoden vorzugeben sowie Benchmarks zu setzen. Als zentrales Instrument zur Lösung der Informations- und Datenlücke wird die Einführung eines Gebäuderessourcenpasses gesehen, der sämtliche Daten zur Kreislauffähigkeit von Materialien, aber auch Informationen zur Instandhaltung und zukünftigen Rückbaumaßnahmen enthält. Aber auch eine Harmonisierung mit bestehenden Nachhaltigkeitsbewertungssystemen von Gebäuden wie das DGNB Zertifizierungssystem und den darin verankerten Methoden wird empfohlen.
Eine übergeordnete Empfehlung ist zudem, die Ambitionen in den Umweltzielen so anzugleichen, dass eine gleichmäßige Umsetzung des Nachhaltigkeitskurses der EU sichergestellt wird. Insgesamt beinhaltet das Klassifizierungssystem der EU sechs Umweltziele. Um eine Taxonomie-Konformität für die eigene Immobilie nachzuweisen, müssen Unternehmen einen wesentlichen Beitrag zu einem Umweltziel leisten und die sogenannten DNSH-Anforderungen ("Do No Significant Harm") der weiteren fünf Ziele erfüllen.
Bisher können Unternehmen zwischen den Umweltzielen "Klimaschutz" und "Klimawandelanpassung" wählen. Dabei ist die Erfüllung der Klimaziele mit vergleichweise weniger Aufwand und Kosten verbunden als die Erfüllung der Ziele zur Klimawandelanpassung. Vor diesem Hintergrund ist es unwahrscheinlich, dass sich Branchenteilnehmer für die Erreichung der letztgenannten Ziele entscheiden. Um in dem Ziel einer Circular Economy dennoch ambitioniert zu bleiben, empfiehlt die Studie, die Entwicklung und Kommunikation eines Fahrplans, damit der Markt sich auf künftige Anforderungen vorbereiten kann.
Suffizienz sollte zentrales Prinzip der EU-Taxonomie sein
Grundsätzlich fehlt in den Taxonomie-Kriterien der Anreiz dafür, Bestandsgebäude zu sanieren und sparsam mit Ressourcen umzugehen. "Wenn wir über Kreislaufwirtschaft sprechen, sollte uns als erstes der Erhalt von Bestand in den Sinn kommen und nicht der Bau eines potenziell in vielen Jahren rückbaubaren Neubaus", sagt Lemaitre. "Zudem fördern die Kriterien derzeit unter Umständen ein verschwenderisches Verhalten, wenn für das Erreichen der Materialquote zusätzlich nachwachsende Rohstoffe eingesetzt werden. Stattdessen sollte Suffizienz als positives Gestaltungsprinzip eine zentrale Rolle spielen. Es könnte beispielsweise vorgeschrieben werden, dass vor jedem Neubau erstmal eine Suffizienz-Analyse durchgeführt werden muss."