Erkenntnisse zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Bauwirtschaft
Erscheinungstermin: November 2022
Herausgeber: BBSR - Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung
Die Bauwirtschaft wird in Konjunkturkrisen oftmals als Stütze der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gesehen. Doch wie steht es um die Resilienz und Krisenfestigkeit des deutschen Baugewerbes im Zuge der Corona-Pandemie? Dieser Frage geht eine Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) nach. Dazu haben die Wissenschaftler die Folgen der Pandemie für die Bauwirtschaft anhand aktueller Daten analysiert. Sie haben unter anderem untersucht, wie gut die Baubranche durch die Corona-Krise gekommen ist, welche Stärken und Schwächen deutsche Bauunternehmen bei der Krisenbewältigung auszeichnen und welche Instrumente sich zur Verbesserung der Krisenfestigkeit der Bauunternehmen anbieten.
Was versteht man unter Resilienz?
Unter „Resilienz“ wird generell die Fähigkeit von Unternehmerinnen und Unternehmern verstanden, im Falle eines Kriseneintritts unmittelbare Maßnahmen zu ergreifen, um die Krisenfolgen abzumildern (einfache Resilienz), vorbereitende Maßnahmen zum besseren Umgang mit Krisen zu ergreifen (reflexive Resilienz) sowie vorausschauende Maßnahmen zur Anpassung an sich verändernde Rahmenbedingungen (adaptive Resilienz) zu treffen. Alle drei Formen der Resilienz hängen zusammen und sind wichtig, um die Krisenfestigkeit insgesamt zu stärken.
Resilienz auf betrieblicher Ebene
Auf betrieblicher Ebene zeigt sich, dass für die meisten Bauunternehmerinnen und Bauunternehmer die Corona-Pandemie keine klassische Krise war – im Sinne von plötzlichem Kriseneintritt, akutem Handlungsdruck, Existenzbedrohung. Zwar trat sie überraschend ein und erforderte sofortiges Handeln. Dennoch wurde rasch deutlich, dass sie auf die Unternehmen des Baugewerbes nicht existenzbedrohend wirkte – u. a. weil Baustellen offen gehalten wurden. Insgesamt zeigt sich sowohl auf Unternehmens- als auch auf Sektorebene, dass weder die Corona-Pandemie noch andere (globale) Krisen der vergangenen Jahre den deutschen Bausektor hart getroffen haben. Dies liegt vor allem in der seit gut 15 Jahren anhaltenden guten baukonjunkturellen Lage begründet. Die letzte schwere Branchenkrise war das Ende des Baubooms Mitte der 1990er-Jahre. Gleichwohl haben die Unternehmen auch in Zeiten ohne größere Krisen Erfahrungen mit krisenartigen Ereignissen oder unternehmerischen Herausforderungen wie z. B. Insolvenzen (Bauträger), fehlender Zahlungsmoral oder Auftragseinbrüchen gemacht. Diese Erfahrungen haben dazu beigetragen, dass sie ihre Krisenfestigkeit (Resilienz) erhöhen konnten.
Ein wesentliches Element der unmittelbaren und vorbereitenden Krisenabwehr und damit eine der zentralen resilienz-steigernden Maßnahmen ist für die deutschen Bauunternehmen auf Betriebsebene das gezielte Liquiditätsmanagement. Weitere Maßnahmen der vorbereitenden Krisenabwehr umfassen vor allem die Reduktion von strukturellen Abhängigkeiten von Kunden und/oder Lieferanten sowie die Diversifikation der Geschäftsfelder. Eng verwandt mit der vorbereitenden Krisenabwehr ist die vorausschauende Anpassung der Unternehmen an künftige Rahmenbedingungen. Hierbei gilt es, Trends (wie z. B. Klimawandel, Digitalisierung, Fachkräftemangel), die Krisenpotenzial in sich bergen, frühzeitig zu identifizieren, um anschließend die richtigen Schlüsse ziehen und notwendigen Maßnahmen ergreifen zu können. Insbesondere in kleinsten und kleinen Unternehmen hängt dies von den unternehmerischen Fähigkeiten der Geschäftsführung ab. Daher sind für die adaptive Resilienz – neben Gespür und Weitsicht – vor allem die Antizipation struktureller Veränderungen, Erfahrungswissen, persönliche Interessen bzw. Affinitäten für bestimmte Themen wichtig. Auch helfen der Austausch mit anderen Unternehmerinnen und Unternehmern sowie mit Expertinnen und Experten u. a. aus Kammern, Verbänden, Innungen oder Steuerberatungsgesellschaften. Gerade mit Blick auf das Risikopotenzial von Klimawandel und Digitalisierung scheint das Baugewerbe noch Nachholbedarf zu haben.
Bekämpfung des Fachkräftemangels eines der effektivsten Mittel zur Steigerung der Widerstandsfähigkeit
Die volkswirtschaftliche Analyse zeigt, dass es sowohl endogene als auch exogene Faktoren gibt, die auf Sektorebene die Resilienz beeinflussen. Die endogenen Faktoren lassen sich dabei eher auf betrieblicher Ebene beeinflussen, während die exogenen Faktoren den Sektor als solchen betreffen und von Unternehmen nicht steuerbar sind. Die Ergebnisse der Analyse der endogenen Faktoren auf Sektorebene bestätigen die Ergebnisse der Fallstudien. So wirkt sich eine stärkere Konzentration auf einzelne Sub-Sektoren, das heißt auf einzelne Wirtschaftszweige innerhalb der Bauwirtschaft, negativ auf die Resilienz aus. Strukturelle Abhängigkeiten senken somit nicht nur auf Unternehmens-, sondern auch auf Sektorebene die Widerstandsfähigkeit. Auch die Struktur der Unternehmenspopulation hat einen Einfluss auf die Widerstandsfähigkeit der Branche. Ein hoher Anteil an großen, an neu gegründeten und potenziell weniger solventen Unternehmen führt zu einer verminderten Resilienz. Mit Blick auf die betriebswirtschaftliche Analyse könnte dies beispielsweise durch die Reflektion vergangener Krisen, Gespür und Weitsicht sowie die strategische Liquiditätssicherung erklärt werden. Darüber hinaus spielt die Fachkräftesituation eine entscheidende Rolle: Ein hoher Anteil an vakanten Stellen sowie ein höherer Anteil von Erwerbspersonen mit einem höheren Bildungsabschluss sind resilienzmindernd, da sie die Flexibilität eines Unternehmens in der Reaktion auf eine Krise tendenziell reduzieren. Der Einfluss des Anteils an vakanten Stellen ist dabei besonders groß, da das Fehlen von Fachkräften dazu führt, dass Aufträge gar nicht mehr oder nur mit großem zeitlichem Verzug bearbeitet werden. Aufgrund dessen erscheint die Bekämpfung des Fachkräftemangels als eines der effektivsten Mittel, um die Widerstandsfähigkeit des Sektors zu steigern.
Hinsichtlich der exogenen, von Unternehmen nicht beeinflussbaren Faktoren konnte die volkswirtschaftliche Relevanz des Sektors (gemessen als Sektoranteil an der nationalen Bruttowertschöpfung) sowie eine geschwächte Stabilität der Wohnimmobilienfinanzierung als resilienzmindernd identifiziert werden. Beide Faktoren haben vergleichsweise große Effekte und sind tendenziell auf die Überhitzung und Blasenbildung in der Bau- und Immobilienwirtschaft zurückzuführen. Staatsausgaben wirken sich zwar prinzipiell positiv auf die Produktion im Sektor aus, der krisenspezifische Effekt ist hingegen nicht signifikant. Öffentliche Ausgaben für Bauinvestitionen wirken also immer gleich stabilisierend auf den Bausektor; haben demnach keinen besonderen Zusatzeffekt in Krisenzeiten.
Fazit
Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass es durchaus „allgemeingültige“ Faktoren gibt, mit denen die Resilienz von Unternehmen verbessert werden kann. Dabei kann jedoch dieselbe Maßnahme in Krisen- und Nicht-Krisenzeiten unterschiedlich wirken. So wird beispielsweise in der aktuellen Materialkrise die langjährig als besonders effizient proklamierte „just-in-time“-Produktion wieder rückabgewickelt, da sich ihr negativer Effekt in Krisenzeiten offenbart hat. Dieser Konflikt hat sich auch in der Analyse mit Blick auf verschiedene Indikatoren bestätigt. Vorbeugende Maßnahmen für Krisen können also durchaus in Nicht-Krisenzeiten mit Wachstumsverlusten einhergehen.
Entsprechend gibt es keinen Maßnahmenkatalog mit eindeutigen Handlungsempfehlungen. Gleichwohl – und das ist die gute Nachricht – können gute Managementpraktiken in den Bauunternehmen zur Krisenresilienz beitragen. Hierzu zählen insbesondere die strategische Liquiditätssicherung, aber auch die Steuerung und Kontrolle zentraler Betriebskennzahlen, die Reduzierung von strukturellen Abhängigkeiten durch Diversifikation, das strategische Beziehungs- und Reputationsmanagement und Zugang zu externer Beratung. Auch die Politik hat Möglichkeiten, die Unternehmen im Allgemeinen und die Bauunternehmen im Besonderen in Krisenzeiten zu unterstützen. Im Falle einer Krise hat sich wiederholt gezeigt, dass Kurzarbeit eine bewährte staatliche Unterstützungsmaßnahme ist. Öffentliche Staatsausgaben, die den direkten Umgang mit einer Wirtschaftskrise erleichtern, sind vor allem dann sinnvoll, wenn sie in Krisenzeiten schnell initiiert werden. Zudem kann Politik Maßnahmen ergreifen, um die Überhitzung und die Blasenbildung des Immobilienmarktes frühzeitig zu erkennen, um dieser dann entgegenzuwirken.
Zudem sind generell Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Unternehmerinnen und Unternehmern im Krisenfall helfen (z. B. gute Infrastruktur, guter Zugang zu Fremdkapital). Angesichts des Fachkräftemangels sollte die Politik die Anerkennung ausländischer Qualifikationen weiter erleichtern oder bessere Bedingungen zur Ausbildung von Flüchtlingen bzw. Anwerbung ausländischer Fachkräfte schaffen. Darüber hinaus ist es nötig, Unternehmen dafür zu sensibilisieren, dass sich Trends wie die Digitalisierung, aber auch der Klimawandel zu konkreten Risiken für die einzelnen Bauunternehmen entwickeln können. Überdies sollten alle politischen Entscheidungen, die sich direkt oder indirekt auf das Baugewerbe auswirken (Mehrwertsteuersenkungen, Förderprogramme etc.), mit Vorlauf gefällt werden, so dass Unternehmerinnen und Unternehmer sich auf Änderungen vorbereiten können.