23.09.2021

Wohnungspolitische Bilanz

Fünf Jahre R2G bringen Berliner Wohnungsmarkt nicht weiter

Dr. André Schlüter, Senior Kommunikationsberater, RUECKERCONSULT GmbH
Dr. André Schlüter

Über die Parteigrenzen hinweg und durch sämtliche gesellschaftliche Gruppen hindurch ist Wohnen aktuell das beherrschende Thema in Berlin. Trotz eines in jeglicher Hinsicht angespannten Wohnungsmarktes war die Politik der aktuellen Senatskoalition allerdings eher einseitig auf die Regulierung der Mieten und auf Bestandswahrung fokussiert. Das bestätigten die Teilnehmer eine Online-Pressekonferenz, die das Berliner Beratungsunternehmen Rueckerconsult aus Anlass der demnächst endenden Legislaturperiode durchführte.

„Wohnungsbau hat derzeit in Berlin keine Priorität“, sagt Prof. Michael Voigtländer vom IW Köln. Das zeige auch ein Blick auf die Aktivtäten in den anderen deutschen Metropolen. Demnach wurden in Berlin in den vergangenen fünf Jahren im Schnitt 4,6 Wohnungen je 1.000 Einwohner gebaut. Hamburg sei in diesem Zeitraum auf 5,2 Wohnungen je 1.000 Einwohner gekommen, München auf 5,6 und Frankfurt auf 6,2.

Eine Aufholbewegung sei momentan nicht zu erkennen. „Die Genehmigungszahlen für den Wohnungsbau gehen in Berlin seit fünf Jahren zurück“, sagt Jacopo Mingazzini, Vorstand von The Grounds. „Grund ist die bei Linken und Grünen verbreitete Skepsis gegenüber dem Neubau als Lösungsinstrument und die Annahme, dass Neubauten die Durchschnittsmieten in einem Gebiet nach oben ziehen würden.“ Im Ergebnis ausbleibender Genehmigungen seien 2020 auch erstmals seit 2009 die Fertigstellungszahlen für Wohnungen in Berlin wieder rückläufig. Die Berliner Bauaufsichtsbehörden meldeten 16.337 fertiggestellte Wohnungen und damit rund 14 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Spiegelbildlich entwickle sich die Bau- und Genehmigungstätigkeit im benachbarten Brandenburg. Während in Berlin im ersten Halbjahr 2021 die Genehmigungszahlen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast 30 Prozent zurückgingen, stiegen sie in Brandenburg um 15 Prozent. Brandenburg sei auch durch die Berliner Wohnungspolitik zu einer der beliebtesten Zuzugsregionen in Deutschland geworden, sagt Mingazzini.

Wohnungspolitik für die linke Galerie

Die Fokussierung auf den überwiegend restriktiven Erhalt des Bestands zeigt sich den Experten zufolge in den zentralen wohnungspolitischen Maßnahmen der rot-rot-grünen Koalition, der Ausweitung des Milieuschutzes, des Mietendeckels und dem von der Linken unterstützen Volksbegehren zur Enteignung von Wohnungseigentümern mit mehr als 3.000 Wohnungen. „Einschränkungen einerseits und weitgehend unspezifische Vergabe öffentlicher Gelder zum Beispiel bei der Ausübung von Vorkaufsrechten anderseits, kennzeichnen die derzeitige Wohnungspolitik in Berlin“, sagt Einar Skjerven, Geschäftsführer der Skjerven Group. „Denn anders als für die Planung und Genehmigung von Wohnungsbauvorhaben sind dafür kaum personelle Ressourcen und größere Kompetenzen erforderlich.“ Zudem würden solche Maßnahmen bei vergleichsweise geringer Effizienz und Treffsicherheit ein großes Maß an Aufmerksamkeit generieren.

Mietendeckel zeigte geringe Treffsicherheit und viele Nebenwirkungen

Beispielhaft sei der Mietendeckel, der nach Berechnungen des IW Köln im Frühjahr 2020 eine etwa 50-prozentige Reduktion des Mietwohnungsangebotes in Berlin mit sich gebracht habe. Da sich die jeweils zulässigen Höchstmieten allein am Datum des Erstbezuges orientierten, entlastete das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) die Mieter von Gründerzeitwohnungen und -villen deutlich stärker als diejenigen von Sozialwohnungen aus den 1970er Jahren, wo die Einsparung nur selten mehr als 50 Cent pro Quadratmeter betragen habe. Zudem seien kleine Vermieter von den wirtschaftlichen Folgen von Mietabsenkungen in der Regel stärker betroffen als Vermieter mit einem großen diversifizierten Portfolio. Pauschale und offensichtlich willkürliche Baualterskriterien, der Verzicht auf Ausnahmeregelungen für Wohnhäuser mit bis zu fünf Wohnungen sowie die Absenkung von Bestandmieten bestätigen für Mingazzini den Verdacht, dass auch der Berliner Senat das Scheitern des MietenWoG Bln vor dem Verfassungsgericht vorhersah und daher keine Zeit mit Relativierungen verschwendet habe.

Geringe Chancen für Enteignung

Geringe Chancen räumen die Teilnehmer der Veranstaltung auch dem demnächst anstehenden Volksentscheid über die Enteignung von Wohnungseigentümern mit mehr als 3.000 Wohnungen ein. Eine Vergesellschaftung nach dem Grundgesetz sei erst denkbar, wenn alle anderen Instrumente zur Entspannung der Mietwohnungsmärkte in Berlin erschöpft wären. Dazu zähle allerdings auch der noch ausbaufähige Neubau, sagte Esfandiar Khorrami von der Kanzlei Bottermann:Khorrami. Zudem sei die Grenze der zu enteignenden Gesellschaften recht willkürlich gezogen. Weil kaum jemand die Wohlfahrtsorganisationen der Religionsgemeinschaften oder größere Genossenschaften enteignen wolle, ziele die von der Linken unterstütze Initiative auf die Bestrafung schlechter Vermieter. „Es gibt in Deutschland allerdings kein Gericht, das Eigentum derart geringschätzen würde, wie sich das die Initiatoren des Volksentscheides wünschen“, sagt der Anwalt. „Anders als beispielsweise beim Mietendeckel würde im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes zudem die Eigentümerseite von den Gerichten geschützt werden.“ Falls sich überhaupt eine Parlamentsmehrheit für ein Gesetz finden lasse, würde dieses in jahrelange Rechtsstreitigkeiten münden.  

Große Teile der Berliner Innenstadt unbegründet unter Milieuschutz

Beim Milieuschutz seien dagegen Tatsachen längst geschaffen worden. Nach Zählung von Bottermann:Khorrami gibt es in Berlin aktuell 71 Erhaltungsgebiete, womit sich die Zahl seit 2015 etwa verdreifacht habe. In weiten Teilen der Innenstadt seien damit sowohl Modernisierungen als auch die Umwandlung von Mietshäusern in Wohneigentum genehmigungspflichtig und damit faktisch untersagt. „Die Maßnahmen zielen darauf, einen möglichst großen Bestand an einfachen Mietwohnungen in den zentralen Lagen zu erhalten und darüber das Mietniveau und den betreffenden Gebieten niedrig zu halten“, sagt Khorrami. „Doch der Milieuschutz mit seinen Erhaltungssatzungen, über die beispielsweise auch der Einbau von Aufzügen untersagt werden kann, ist kein Mieterschutz.“ Daher müsse aus Rücksicht auf die gesetzliche Norm immer die Verdrängungsgefahr für die in einem bestimmten Gebiet lebende Bevölkerung sowie die damit zusammenhängenden negativen städtebaulichen Folgen nachgewiesen und benannt werden. „Die zuständigen Behörden müssen prüfen, ob die Voraussetzungen für die Ausweisung nach den Kriterien des § 172 ff. des Baugesetzbuches erfüllt sind“, sagt Khorrami.

Für Jacopo Mingazzini steht außer Frage, dass der Milieuschutz in Berlin missbräuchlich eingesetzt werde. „Es geht darum, Investitionen und die Eigentumsbildung zu unterbinden, Verdrängungsgefährdung und städtebauliche Auswirkungen werden in den jeweiligen Gutachten nicht wirklich nachgewiesen. Auch wird nirgendwo gesagt, in welchem Zeitraum befürchtete Veränderungen zu erwarten sind.“ Die Gutachten seien dadurch als reine Gefälligkeitsgutachten qualifiziert. Mehrfach sei ihre methodische Unzulänglichkeit nachgewiesen worden.

Gesetze und Verordnungen mit handwerklichen Schwächen

Handwerkliche Schwächen in der Umsetzung sieht Khorrami auch bei der Rechtsverordnung zur Umsetzung des neuen Paragraphen 250 des Baugesetzbuches. Mit einer Pressemitteilung wurden in Berlin am 3. August 2021 sämtliche Umwandlungen von Mietshäusern mit mehr als fünf Wohnungen unter Genehmigungsvorbehalt gestellt. Die betreffende Rechtsverordnung wurde zwei Tage später veröffentlicht, die Begründung folgte eine weitere Woche später. „Hier stellt man sich eigentlich die umgekehrte Reihenfolge vor“, sagte Khorrami. Zudem sehe die Regelung keine Übergangsfristen vor und sagt auch nicht, wie mit bereits eingegangenen Anträgen zu verfahren sei. Laut Deutschem Notarinstitut gebe es hier einen eindeutigen Bestandsschutz. Darüber hinaus existierten viele Anträge, die seit Anfang 2020 auch ohne Abgeschlossenheitsbescheinigung eingereicht worden seien. „Die Berliner Bezirksämter nehmen sich traditionell viel Zeit für die Erteilung der Abgeschlossenheitsbescheinigungen“, sagt Khorrami. „Anträge ohne Abgeschlossenheitsbescheinigung sind formal unvollständig und könnten von den Grundbuchämtern auch zurückgewiesen werden. Wenn das passiert, unterfiele ein neuer Antrag jedenfalls dem Genehmigungsvorbehalt, der damit zumindest faktische Rückwirkung entfalten würde.“

Das Beispiel zeige, in welch beklagenswertem Umfang Berlin in den vergangenen fünf Jahren an Rechtssicherheit verloren habe, was letztlich immer auch eine Gefahr für den Investitions- und Wirtschaftsstandort Berlin darstelle. „In Bezug auf die Qualität seiner Gesetzgebung ist Berlin zuweilen nur eine Haaresbreite von der Willkür entfernt“, resümiert Khorrami. Auch Jacopo Mingazzin hat wenig Hoffnung, dass sich das Investitionsklima in Berlin bald verbessern wird. Er setzt im Senat auf eine Deutschlandkoalition mit einer möglichst starken FDP. Die Bau- und Investitionstätigkeit bleiben vorerst auf das Berliner Umland fokussiert, wo man deutlich konstruktiver auf Neubauvorhaben reagiere als in Berlin. Einar Skjerven möchte Berlin dagegen gern treu blieben. Die Skjerven Group will allerdings eher in Gewerbliches Wohnen investieren, wo es deutlich weniger Restriktionen gebe als bei klassischen Wohnungen.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von IW Köln, The Grounds, Bottermann:Khorrami, Skjerven Group
Erstveröffentlichung: Pressemitteilung vom 17.9.2021

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