11.11.2015

Alle Dimensionen berücksichtigen

Tagung "Nachhaltigkeit in der Wohnungswirtschaft"

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„Nachhaltigkeit in der Wohnungswirtschaft“ war das Thema einer Tagung, zu der sich am 6. November 2015 mehr als 120 Fachleute, Wissenschaftler und Führungskräfte aus der Immobilienwirtschaft in Berlin versammelt hatten. Die gemeinsam von der Arbeitsgemeinschaft Großer Wohnungsunternehmen (AGW), vom GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V. sowie von der RUECKERCONSULT GmbH und der WERBEWERK GmbH ausgerichtete Veranstaltung fand in den Räumen der WHITE Spreelounge in Berlin-Schöneweide statt und vermittelte den Teilnehmern einen umfassenden Einblick in die Thematik, – angefangen von den politischen Positionen und Aktivitäten der Branchenverbände über Praxisbeispiele und konkrete Erfahrungen aus einzelnen Unternehmen und Projekten bis hin zu Fragen der Zertifizierung und zu den Möglichkeiten, die sich aus der Verwendung neuer Baumaterialien und Technologien ergeben.

Streben nach Nachhaltigkeit ist „gutes Gen“ der Wohnungswirtschaft

Nach der Begrüßung der Teilnehmer durch Thomas Rücker, Geschäftsführender Gesellschafter der RUECKERCONSULT GmbH, widmete sich Dr. Thomas Hain, Leitender Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte/Wohnstadt und zugleich Vorsitzender des Vorstands der Arbeitsgemeinschaft Großer Wohnungsunternehmen (AGW), in seinem Eröffnungsvortrag einer Analyse des Status quo. Dabei verwies er unter anderem auf den hohen Stellenwert, den die Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit in der Wohnungswirtschaft bereits hat und bezeichnete sie als deren „gutes Gen“. Aufgrund ihres Kernauftrages, bezahlbaren Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten zur Verfügung zu stellen, sei die Wohnungswirtschaft per se gehalten, ganzheitlich zu agieren und sich gesellschaftlichen Herausforderungen zu stellen. So habe die AGW mit dem GdW und dem Rat für Nachhaltige Entwicklung bereits im September 2014 als erste Branche Deutschlands den Nachhaltigkeitskodex um branchenspezifische Anforderungen an die gute Unternehmensführung ergänzt. Doch obwohl die Wohnungswirtschaft bereits in vielen Bereichen erhebliche Beiträge zur nachhaltigen Entwicklung leiste, stehe man insgesamt noch eher am Anfang eines zum Teil tiefgreifenden Prozesses.

Globaler Kontext und Nutzen des Nachhaltigkeitskodex für kleine und mittlere Unternehmen

Der Generalsekretär des Rates für Nachhaltige Entwicklung, Prof. Dr. Günther Bachmann, informierte über die Umsetzung der Berichtspflichten von Unternehmen aufgrund europarechtlicher Vorgaben und erläuterte den Nutzen des Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) für kleine und mittlere Unternehmen. Dabei ordnete er die Aktivitäten auf europäischer Ebene sowie in Deutschland in einen globalen Kontext ein und verwies unter anderem darauf, dass nachhaltiges Handeln und Wirtschaften in den Ländern, aus denen aktuell zahlreiche Flüchtlinge nach Deutschland kommen, entweder komplett gescheitert oder nicht vorhanden sei. Deutschland dürfe nicht abwarten, sondern müsse die Initiative ergreifen und dabei aus Fehlern der Vergangenheit – wie einem undifferenzierten Multikulti-Denken – lernen. Mit Blick auf die Wohnungswirtschaft stelle sich vor allem die Frage: „Wie kriegen wir einen Wohnungsbau hin, der schneller ist als in der Vergangenheit, aber trotzdem nachhaltig?“ Dabei gelte der Grundsatz: „Was man schaffen will, muss man können!“ Zum Können gehöre dabei unter anderem, Standards des nachhaltigen Bauens nicht aufzugeben. Eine vorübergehende Aussetzung der Energieeinsparverordnung (EnEV) wäre deshalb falsch. Mit Blick auf die Zuwanderung komme es darauf an, den Schritt von der „Willkommenskultur“ zur „Bleibekultur“ zu bewältigen, was vor allem in entsprechende städtebauliche Maßnahmen münden müsse. Dabei gehe es darum, einen Kulturwandel zu initiieren statt Nachhaltigkeit auf dem Verordnungswege durchzusetzen und die Verantwortlichen aus Wohnungswirtschaft und Kommunalpolitik zusammenzubringen.

Inhalte, Akzeptanz und Umsetzung des Nachhaltigkeitskodex für die Wohnungswirtschaft

Nach einführenden Impulsvorträgen von Ingeborg Esser, Hauptgeschäftsführerin und stellvertretende Präsidentin des GdW Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen und Vorstandsvorsitzende des Vereins zur Förderung der Nachhaltigkeit im Wohnungsbau (NaWoh), Franz-Bernd Große-Wilde, Vorsitzender des Vorstands der Spar- und Bauverein eG in Dortmund, und Thomas Rücker wurden die darin angesprochenen Themen in einer anschließenden Podiumsdiskussion vertieft. Beteiligt waren auch Dr. Thomas Hain sowie der Vorsitzende des Vorstands der Berliner GESOBAU AG, Jörg Franzen. Die Runde befasste sich insbesondere mit den bisherigen praktischen Erfahrungen bei der Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten. Ingeborg Esser verwies unter anderem darauf, dass man bei der Erstellung des Leitfadens zur branchenspezifischen Ergänzung des DNK bewusst auch kleinere Wohnungsunternehmen mit einbezogen habe. Ein wesentliches Fazit der Diskussionsrunde war die Feststellung, dass die erstmalige Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts häufig als „Augenöffner“ fungiere, der nicht nur bestehende Defizite, sondern vor allem auch bereits im Unternehmen vorhandene Daten und Informationen ins Blickfeld rücke, die es nur zu bündeln gelte. Zudem wurde betont, dass der anfängliche Aufwand relativ hoch sei, später aber geringer werde. Es gehe nicht um das „Abhaken von Kriterien“, sondern um das Definieren von Zielen, die mit Kennziffern und Prozessen zu unterlegen seien. Auf dieser Basis müsse dann über die jeweils erreichten Fortschritte berichtet werden. Thomas Rücker erinnerte daran, dass der Druck, transparent auch über Nachhaltigkeitsaspekte und Non financial figures zu berichten, auch ohne gesetzliche Regulierung vorhanden sei. Tatsächlich komme er vom Markt und resultiere aus Erwartungen von Investoren und Analysten, insbesondere bei börsennotierten Unternehmen, deren Aktien von vielen Fondsmanagern und Vermögensverwaltern inzwischen auch nach Nachhaltigkeitskriterien beurteilt und ausgewählt werden.

Praxisbeispiel Märkisches Viertel und NaWoh-Zertifikat im Vergleich zu anderen Green-Building-Labels

Im anschließenden Vortrag berichtete Jörg Franzen über die Erfahrungen der GESOBAU im Bereich der nachhaltigen Quartiersentwicklung am Beispiel des Märkischen Viertels in Berlin. Sodann stellte Fabian Viehrig, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des GdW, den Tagungsteilnehmern das NaWoh-Zertifikat vor und ging dabei insbesondere auf die Unterschiede zu anderen Zertifikaten – wie beispielsweise LEED, BREAM und DGNB – ein.

Plädoyer für mehr Mut und Innovationen

Axel Gedaschko, Präsident des GdW Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, plädierte in seinem Vortrag für mehr Mut zur Nachhaltigkeit und für Innovationen. Es gelte der Grundsatz: „Der Weg ist das Ziel!“, denn Nachhaltigkeit sei als Prozess wichtig und müsse gelebt werden. Dabei gehe es um das Bewusstmachen der Bedeutung dieses Themas in Unternehmen und Institutionen, denn – so Gedaschko – „man muss die Mannschaft intellektuell gewinnen“, statt einfach nur Standards oder Leitfäden umzusetzen. Eindringlich warnte der GdW-Präsident vor sogenanntem „Greenwashing“, das von wirklichen Themen ablenke, dabei aber durchschaubar sei und das Ansehen der Branche beschädigen könne. Wichtig sei auch die Einbeziehung aller drei Säulen der Nachhaltigkeit. Es reiche nicht, „superökologisch“ zu sein, wenn das Geschäftsmodell ökonomisch eine Katastrophe ist. Da es sich bei Nachhaltigkeit um ein mehrdimensionales Prinzip handele, sei auch mehrdimensionales Denken erforderlich. Gerade im Bereich der Gesetzgebung sei deshalb Innovation gefragt, statt einfach nur vorhandene Gesetze immer weiter fortzuschreiben. Statt nur Emissionen zu minimieren, gehe es darum, Lösungen zu optimieren – und das in einem umfassenden Sinne, also ökologisch, aber auch ökonomisch und sozial.

Chemische Systemlösungen für energieeffizientes Bauen und Mieterstrom für Haushalte

Den Abschluss des Vortragsprogramms bildeten zwei Beiträge von Margit Pfundstein vom European Construction Competence Center der BASF SE in Ludwigshafen sowie von Rechtsanwältin Iris Behr vom Institut Wohnen und Umwelt (IWU) aus Darmstadt. Während Margit Pfundstein den anwesenden Branchenvertretern anhand mehrerer Beispiele die Potenziale innovativer Baustoffe und Materialien im Bereich des energieeffizienten Bauens nahebrachte, stellte Iris Behr in ihrem Vortrag mit dem Titel „Wohnortnahe Energieerzeugung und -versorgung: Mieterstrom für Haushalte“ ein neues Geschäftsmodell für Wohnungsunternehmen vor, das auf ganzheitliche Wohnungsangebote mit Wärme, Strom und Elektromobilität abzielt. Neben den Chancen eines solchen Modells skizzierte sie die rechtlichen Hürden und Probleme, die es bei der Umsetzung einer derartigen innovativen Lösung zu bewältigen gilt und die vor allem daraus resultieren, dass die bisherigen rechtlichen Rahmenbedingungen traditionell auf die herkömmlichen Großversorger zugeschnitten sind.

Die regen Diskussionen der Teilnehmer mit den Referenten sowie in den Tagungspausen zeigten die hohe Relevanz der in den Vorträgen angesprochenen Themen für die Unternehmen der Wohnungswirtschaft und deren Geschäftsaktivitäten ebenso wie das starke Interesse am fachlichen Austausch untereinander.

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Erstveröffentlichung: The Property Post, 11. November 2015