Nutzungsmischung als Schlüssel für urbane Lebensqualität
Als „Raumzeitsparmaschine“ beschrieb Prof. Dr. Guido Spars von der Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen der Bergischen Universität Wuppertal die ideale Stadt von morgen. Mit stabilen nachhaltigen urbanen Quartieren mit hoher Lebensqualität durch kurze Wege und eine ausgewogene und flexible Nutzungsmischung aus Wohnen und Gewerbe – mit einem bau- und planungsrechtlichen Umfeld, das ihre Entwicklung unterstützt statt verhindert.
Das war zugleich das wichtigste Ergebnis des 1. ZIA Immobilien-Herbstdiskurses, der am 17. November 2015 unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Tobias Just, wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer der IREBS Immobilienakademie GmbH in Berlin stattfand. Die Immobilienweisen Manuel Jahn, GfK GeoMarketing, Michael Kiefer und Jan Hebecker, ImmobilienScout 24 sowie Andreas Schulten, bulwiengesa, und Prof. Dr. Harald Simons, empirica stellten maßgebliche Trends und Nutzeranforderungen im Wohn-, Büro- und Handelssegment vor. Der ZIA setzt sich dafür ein, dass bau- und planungsrechtliche Schranken, die derzeit eine höhere urbane Dichte verhindern, auf den Prüfstand gestellt und gelockert werden. „Die aktuellen Regelungen waren damals, als sie geschaffen wurden, durchaus sinnvoll. Heute aber stehen sie der Entwicklung zukunftsfähiger Städte im Weg“, sagte ZIA-Präsident Dr. Andreas Mattner. Er bezog sich dabei auf Regelungen der Baunutzungsverordnung (BauNVO), des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG), der TA Lärm und der Hochhausrichtlinien. Diese verhindern dichteres und höheres Bauen und müssen nach Ansicht des ZIA auf den Prüfstand gestellt werden. Diese Auffassung war auch breiter Konsens unter den Konferenzteilnehmern, die sich aus hochrangigen Vertretern aus der Immobilienwirtschaft, aus Wissenschaft und Forschung sowie der planenden Verwaltung zusammensetzten.
Diskussion um neuen Baugebietstyp „Urbanes Mischgebiet“
Aktuell wird auf der politischen Ebene die Einführung des neuen Baugebietstyps „Urbanes Mischgebiet“ diskutiert. Der ZIA unterstützt das Vorhaben, sofern darin explizit die Mischung aus typisch großstädtischen Wohn- und Arbeitsformen erleichtert wird. Nutzungsdiktate, andere Zwangsvorgaben und Quotenregelungen im Nutzungsmix führen, lehnt der Verband hingegen ab, da sie individuelle und moderne urbane Konzepte verhindern und Investoren verschrecken. Auch der stationäre Einzelhandel bedürfe keiner weiteren Regulierung, um lebendig zu bleiben. Sortimentsbeschränkungen sollten nach Ansicht des Verbandes abgeschafft werden.
Einseitige politische Förderung des Wohnungsbaus schadet ausgewogener Stadtentwicklung
Der Immobilienweise Prof. Dr. Harald Simons, Vorstand von empirica, betrachtete im Herbstdiskurs den politisch einseitig forcierten Wohnungsneubau in den als Wohn- und Arbeitsort besonders gefragten Schwarmstädten mit Skepsis: „Wenn andere Nutzungsarten benachteiligt werden, kann es passieren, dass der Wohnungsneubau an der Nachfrage vorbeigeht. Gesucht wird schließlich nicht einfach nur eine Wohnung, sondern eine Wohnung in einem lebendigen, urbanen Stadtviertel mit einer vielfältigen Mischung aus Wohnfolgeeinrichtungen wie einer öffentlichen sozialen Infrastruktur aus Schulen und Kindergärten sowie kleinteiligen Gewerbeeinheiten, die im Wesentlichen aus Büros, Einzelhandel und Gesundheitsdienstleistungen bestehen.“In der Stadtplanung und Stadtentwicklung sollte das berücksichtigt werden. Wohnen solle zwar dominieren, nicht aber einseitig forciert werden.
Bürger wollen Nahversorgung im Umkreis von 400 Metern
Jan Hebecker, Leiter Märkte und Daten bei ImmobilienScout24, hat sich mit der Wohnungsnachfrage auseinandergesetzt und bestätigt: „Die meisten Menschen möchten zentrumsnah und urban wohnen“, sagte Hebecker. „Das entscheidende Kriterium ist die fußläufige Erreichbarkeit der wichtigsten Versorgungseinrichtungen. Als nah werden dabei Entfernungen bis rund 400 Meter eingeschätzt. Für alles, was mehr als 1.200 Meter entfernt liegt, wird die Benutzung eines Verkehrsmittels notwendig.“ Die innerstädtische Büronutzung bewege sich in einem Spannungsfeld zwischen teureren kleinteiligeren Gebäuden sowie preiswerteren Flächen in nicht mehr genutzten Gewerbehöfen, Fabrikhallen und Ladengeschäften – beides vorzugsweise in der Nähe von beliebten Wohnquartieren – und standardisierten größeren Gebäuden in konventionelleren Bürolagen.
Wohnen verdrängt Gewerbe aus den Innenstädten
Andreas Schulten, Vorstand von bulwiengesa, warnt vor Engpässen im Gewerbesegment: „Zurzeit ist innerstädtisch eine deutliche Verdrängung von gewerblichen Nutzungen wie Büro und Produktion zu beobachten. Durch die mangelnde baurechtliche Flexibilität droht das Verhältnis zwischen Wohnen und gewerblicher Nutzung aus dem Gleichgewicht zu geraten.“ Diese Verdrängung steht dem Trend zur Quartiersbildung in den deutschen Großstädten entgegen. Zwischen 2004 und 2014 kamen per Saldo 370.000 Bürobeschäftigte in den sieben A-Städten als Flächennachfrager auf den Markt. „Neben konventionellen Arbeitsplätzen entwickeln sich immer neue Formen der Beschäftigung auf der Nahtstelle zwischen Konzeption, Kommunikation, Verwaltung und Manufaktur auf dem Arbeitsmarkt“, sagte Schulten. „Dauerhafte Flächenengpässe in diesen Bereichen werden dazu führen, dass die Wirtschaftsentwicklung der Städte gehemmt wird.“
Handlungsdruck im Einzelhandelssegment
Über die Zukunft des traditionell sehr beweglichen und innovativen, aber durch den Onlinehandel unter Druck stehenden stationären Einzelhandels werden ebenfalls die Nutzungsmischung, Nutzungsdichte und die durch das Baurecht begrenzte Nutzungsoffenheit in den Stadtquartieren entscheiden. „Verkehrliche, planungs- und ordnungsrechtliche Restriktionen sind für das überlebenswichtige Innovationspotenzial des stationären Einzelhandels die größte Gefahrenquelle“, sagte Manuel Jahn, Leiter Real Estate Consulting bei der GfK. Er unterscheidet beim Einkaufsverhalten zwischen Versorgungseinkäufen, für die der Einzelhandel bereits eine leistungsfähige Infrastruktur entwickelt hat und dem „postmateriellen Kontexteinkauf“. Letzterer sei stärker von einem immateriellen Zusatznutzen, einem ideellen Mehrwert und einer Erlebnisvielfalt abhängig, die eine hohe Konnektivität des urbanen Raums erfordere – durch eine hohe Dichte und eine vielfältige nutzungsoffene Mischung, mit kurzen Wegen und einem hohen Anteil fußläufig erreichbarer Ziele.
Hotelimmobilien im Wandel
Der Hotelimmobilienbranche geht es im sechsten Jahr erneuter Rekord-Übernachtungszahlen so gut wie nie zuvor. Aber auch sie verändert sich stetig. Matthias Niemeyer, Head of Development Germany der Adina Hotel Operations GmbH, beschrieb den zunehmenden Stellenwert von Emotion und kollektivem Erleben. Es werde zunehmend im urbanen Kontext gewohnt statt im Markenhotel übernachtet, ablesbar an der steigenden Beliebtheit von Airbnb, dem Trend zur Eigenversorgung, der steigenden Nachfrage nach Apartmenthotels und der Zunahme neuer Hotelkonzepte, die Übernachten und Wohnen bzw. Leben integrieren. Im Luxussegment sieht Niemeyer eine anstehende Marktbereinigung. Hotelketten generierten Wachstum über Franchisemodelle und Zweit-, Dritt- und Nischenmarken. Und im Economy-Segment, das zunehmend auch 1A-Lagen erobert, sieht er nach der Wachstumsphase der letzten Jahre eine Zunahme des Wettbewerbs. Hotels etablieren sich in Stadtquartieren im Normalfall erst, wenn diese über eine hohe Lebensqualität und hohe Besucher- bzw. Passantenfrequenz verfügen. Voraussetzung hierfür ist wiederum die Nutzungsmischung und Nutzungsoffenheit.
Als Gesamteindruck des 1. ZIA Immobilien-Herbstdiskurses bleibt, dass Immobilienunternehmen, Politik und Verwaltung beim Thema urbane Lebensqualität durch Nutzungsmischung und bauliche Dichte an einem Strang ziehen. In einer Branche, in der die Interessen so vielfältig gestreut und teilweise sehr gegensätzlich sind, ist das sonst eher selten.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von The Property Post
Erstveröffentlichung: The Property Post November/ 2015