Was bezahlbaren Wohnraum verhindert
Auf den ersten Blick ist die Unterbringung von Flüchtlingen nicht das klassische Tätigkeitsfeld eines Stadtentwicklers. Er kommt ins Spiel, wenn die Welle von Flüchtlingen in den Kommunen, Städten und Gemeinden auf die dortigen Kapazitäten und Unterbringungsmöglichkeiten trifft. Mehr denn je sind die Stadtentwickler der Seismograph zukünftiger, städtebaulicher Herausforderungen und des gesellschaftlichen Wandels. Dieser Wandel hat Deutschland nun erreicht.
Mit dem riesigen Zustrom an Asylsuchenden verstärkt sich die ohnehin schon starke Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum zusätzlich – nun muss dieser möglichst sofort und dann noch kostengünstig verfügbar sein, eine große Zahl an Wohnungssuchenden bedienen und alle gesetzlichen Standards erfüllen, die für den konventionellen Wohnungsbau vorgesehen sind. Bei einer aktuellen Schutzquote von 45 Prozent werden etwa eine halbe Millionen Migranten in Deutschland bleiben, zuzüglich ihrer nachreisenden Familien. Auf ihre Unterbringung sind die meisten Kommunen und Städte kaum vorbereitet.
Modulare und serielle Bauweise kann in der jetzigen Situation ein wichtiger Baustein sein, weshalb das Bundesbauministerium diese Form des Bauens aktuell unter wissenschaftlicher Begleitung im Bereich des studentischen Wohnens fördert. Auch wenn Wohnmodule schon seit 50 Jahren auf dem Markt vertrieben werden, erleben sie im Gewand der Holzrahmen- oder Stahlbauweise eine Renaissance, solange der konventionelle Wohnungsbau unter politischem Sperrfeuer steht.
Nie war Bauen teurer in Deutschland: Zwei Fünftel der Kostentreiber im Wohnungsbau wurden seit der Jahrtausendwende durch die öffentliche Hand verursacht. Wie die Baukostensenkungskommission im Bündnis für bezahlbares Bauen und Wohnen ermittelt hat, sind es neben den reinen Gestehungs- auch die Baunebenkosten, angefangen bei den steigenden Baulandpreisen. Kommunen weisen immer weniger Bauland aus, die Länder drehen mit der Grunderwerbsteuer stetig an der Preisspirale.
Die Gestehungskosten stiegen seit 2000 um 40 Prozent, die Ausbaukosten im Wohnungsbau um 54 Prozent. Ein Teil kann durch die höheren Nutzeransprüche erklärt werden, der andere zweifelsohne über die verschärften gesetzlichen Anforderungen: Ordnungsrechtliche Vorgaben beim energetischen Neubaustandard, dem Brand-, Tritt- und Schallschutz, der Barrierefreiheit, Standsicherheit sowie der Schnee-, Sturm- und Erdbebensicherheit sind Fallstricke, über die kein Investor gern stolpert.
Bund, Länder und Kommunen sind in Anbetracht des akuten Bedarfs an bezahlbarem Wohnraum aufgerufen, zu handeln: Ein erster Schritt wurde mit der KfW-Sonderförderung in Höhe von 1,5 Milliarden Euro für Erstunterkünfte und dem zwei Milliarden Anschlussprogramm für den sozialen Wohnungsbau getan.
Nun muss eine bundesweite Vereinheitlichung der Bauordnungen und länderübergreifenden Ausführungsbestimmungen folgen, um Investitionsanreize und Planungssicherheit zu schaffen. Für Flüchtlingsunterkünfte können Ausnahmetatbestände gelten, wie etwa ein verringerter EnEV-Standard sowie eine Reglementierung für die Preisvergabe auf Bauland in Ballungsgebieten. Steuerliche Abschreibungsoptionen, wenn auch nur als Ausnahmetatbestand für bestimmte Preis- und Nutzungssegmente, sind wirkungsvolle Anreize, um den Bau von Erstunterkünften und bezahlbaren Wohnungen anzuregen. Mit ihnen kann flexibel auf die individuellen Erfordernisse in den Kommunen eingegangen und eine mögliche Nachnutzung von Anfang an eingeplant werden.
Der Ball liegt im Feld der öffentlichen Hand: Stadtentwickler und Investoren warten nur darauf, endlich loszulegen, um dauerhaft nutzbaren, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, der sich harmonisch ins Gesamtbild der Städte von morgen einpasst.
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Erstveröffentlichung: Heuer Dialog Aktuell, Februar 2016