05.09.2023

Perspektivenwechsel

Die Einfachheit der Taxonomie

Hannah Dellemann, Head of Sustainability, INTREAL International Real Estate Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH
Hannah Dellemann

Die ESG-Taxonomie ein kompliziertes und umfassendes Regelwerk, das die Branche vor Herausforderungen stellt. Aber sie ist bei Immobilien immer noch einfacher als bei anderen Assetklassen.

Ohne ESG-Einstufung geht bei neuen Immobilienfonds gar nichts mehr: Gerade in der aktuell schwierigen Marktphase gilt die Erfüllung von ESG-Kriterien sowohl als Voraussetzung für das Gewinnen von Investorengeldern als auch als Versicherung gegen einen möglichen Wertverlust der Fondsimmobilien.

Der Fondsinitiator, der derzeit einen neuen Fonds auflegen möchte, steht vor der Wahl: Soll er sich bei einem neuen Fonds an der Taxonomie orientierten oder definiert er eigene Kriterien. Beide Wege sind in der Praxis möglich.

Entscheidet er sich für eigene Kriterien, kann er eine auf die Anlagestrategie des Fonds zugeschnittene ökologische oder soziale Strategie entwickeln. Dabei besteht jedoch die Herausforderung, den ökologischen oder sozialen Mehrwert klar und verständlich herauszuarbeiten und zugleich messbare Kriterien zu formulieren. Diese müssen in der Praxis auch umsetzbar sein und nachweislich einen Beitrag zu den gewählten Merkmalen leisten.

Entscheidet er sich hingegen für die Taxonomie steht er vor einem Paradoxon: Die Anwendung des umfassenden Regelwerks ist in vielerlei Hinsicht sehr kompliziert. Aber gleichzeitig sind viele Sachverhalte auch einfacher nachzuprüfen. Was ist damit gemeint?

Die Anwendung der Taxonomie ist kompliziert, weil es derzeit immer noch eine große Unsicherheit und viele ungeklärte Fragen gibt. Beispielsweise schreibt die Taxonomie vor, dass Immobilien mit einem Energy Performance Rating (EPC) der Klasse A taxonomiekonform sind. In Deutschland gibt es EPCs bzw. Energieausweise aber nur für Wohnimmobilien. Wie mit Gewerbeimmobilien umzugehen ist, definiert die Taxonomie nicht.

Hierzu wurde übergangsweise ein BVI-Branchenstandard zur Übersetzung der Energieausweise der Nutzungsart Wohnen entwickelt, welche die Einordnung von Nicht-Wohngebäuden in die jeweiligen Effizienzklassen erleichtern kann.

Eine weitere Herausforderung ist, dass viele Kennzahlen im Fluss sind. Beispielsweise gilt beim Thema Energieeffizienz immer der jeweils höchste Neubaustandard als Referenz. Dieser Standard ist aber nicht fix, sondern wird immer weiter verschärft. Im schlimmsten Fall findet sich eine Immobilie der Energieeffizienzklasse A irgendwann in der Kategorie B wieder.

Trotzdem ist die Anwendung der Taxonomie jedoch auch einfach, wenn man den Blickwinkel verändert. Vergleicht man Immobilien mit anderen Assetklassen wie Aktien oder Anleihen, ist eine Immobilie ein relativ klar umgrenzter Gegenstand. Man kann Materialien, Mieter, Energie, Wasser und Müll vollständig erfassen. Diese relative Einfachheit schützt, sobald die Daten einmal erfasst sind, auch ein stückweit vor Greenwashing.

Bei einer Aktie ist dies sehr viel komplexer: Wer kann bei global operierenden Unternehmen wie Alphabet, Apple, Nestlé, Starbucks oder Unilever – um nur ein paar beliebte Aktien zu nennen – schon wirklich feststellen, wie ESG-konform die umfassenden Aktivitäten dieser Riesenkonzerne sind. Und wir reden hier noch gar nicht von Zulieferern und Vorprodukten. Auch bei Staatsanleihen ist kaum realistisch feststellbar, was damit alles finanziert wird. Mit anderen Worten: Hier ist die Greenwashing-Gefahr größer.

Insofern sollte die Immobilien(fonds)branche die Unsicherheit und die Herausforderungen der Taxonomie akzeptieren und annehmen. Im Vergleich zu anderen Assetklassen hat sie es einfacher. 

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von IntReal International Real Estate Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH
Erstveröffentlichung: Immobilien Zeitung, August 2023

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