03.07.2023

Gefährlicher Fokus auf das E in ESG

Hanna Ritter, Senior Director ESG, REICON Consulting
Hanna Ritter

Viele Branchenakteure fokussieren sich bei der ESG-Implementierung immer noch sehr stark auf die ökologischen Aspekte - mit möglicherweise fatalen Folgen für ihre Wettbewerbsfähigkeit, Image und wirtschaftlichem Erfolg.

ESG wird noch sehr oft mit Dekarbonisierung gleichgesetzt. Das unbedingte Verhindern wollen von Stranded Assets bindet fast alle internen ESG-Ressourcen mit dem Ergebnis einer massiven Vernachlässigung der S- & G-Merkmale. Bisher hat die Regulatorik vorrangig Energieverbrauch und die CO2-Emissionen von Immobilien in den Mittelpunkt gerückt. So können Klimapfade verglichen und Gebäudeausweise hinsichtlich der Klimabilanz erstellt werden. Für die Sozialverträglichkeit von Immobilien gilt das nur bedingt. Diese ist aber nicht weniger wichtig bei der Bewertung der Nachhaltigkeit einer Immobilie − ganz besonders im Hinblick auf eine mögliche Sozialtaxonomie.

Nun wurde Anfang des Jahres mit der SFDR-2-Verordnung das bestehende ESG-Regelwerk verschärft. Unter anderem werden darin auf Fondsebene Vorgaben zu den negativen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren - den so genannten PAIs (Principal Adverse Impact) - gemacht. Mindestens einer dieser PAIs muss jetzt sozial sein.

Im Gegensatz zum Bereich Environmental, der wissenschaftlich gemessen werden kann, hängen die beiden anderen Bereiche von vertrauenswürdigen Beziehungen ab, deren Aufbau zeitintensiv und schwer messbar ist. Bereits im oft verwendeten GRI steht die Definition der wesentlichen Themen durch den Stakeholder-Dialog im Zentrum der Nachhaltigkeitsstrategie. Um soziale Merkmale zu definieren, müssen die Bedürfnisse der verschiedenen Interessengruppen berücksichtigt werden: Aktionäre, Mitarbeitende, aber auch Mieter oder Nachunternehmer. Die Interaktion mit diesen Parteien ist vielschichtig und komplex. Aber sich damit jetzt intensiv auseinanderzusetzen, lohnt sich langfristig.

Denn wenn auf Unternehmensebene eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt wurde, ist es auf Objektebene fast schon simpel, auf deren Basis soziale und gesellschaftliche Merkmale zu definieren. Dies können Faktoren wie Barrierefreiheit, Ausstattung, Versorgungslage und Infrastruktur sein. Auch das Geschäftsmodell der Gewerbemieter sollte berücksichtigt und durch Ausschlusskriterien gesteuert werden.

Keine Frage, das Thema ESG ist sehr zeitintensiv und bedarf einer ständigen Weiterentwicklung. Es ist daher durchaus nachvollziehbar, sich erst einmal auf die weniger abstrakten ökologischen Aspekte der Immobilie zu konzentrieren. Diese sind konkreter, können meist vom bestehenden Personal gemanagt werden und stehen zudem im Fokus der öffentlichen Debatte.

Aber ohne eine ganzheitliche ESG-Betrachtung, die alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit abdeckt, werden Unternehmen bereits in naher Zukunft vor einer erneuten Herausforderung stehen. Denn wenn die EU mit der Sozialtaxonomie auch in diesem Segment die Anforderungen verschärft, werden viele nicht vorbereitet sein und sich erneut mit hohen Kosten konfrontiert sehen.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von REICON Consulting
Erstveröffentlichung: Immobilienmanager (online und Newsletter) im April 2023

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