Der klassische Grundriss funktioniert nicht mehr
Die Lebensstile und Lebensrealitäten der Menschen haben sich in den vergangenen 20 Jahren grundlegend gewandelt. Die vielleicht wichtigste Änderung: Die Grenzen zwischen Arbeits- und Berufsleben verschwimmen immer mehr. Daher haben sich die Erwartungen der Menschen an ihre Wohnungsumgebung signifikant gewandelt. Die Wohnungswirtschaft hat noch viel zu wenig auf diese Trends reagiert. Das sollte sie aber. Denn es ist klar, dass es nicht funktioniert, die Konzepte der Vergangenheit einfach fortzusetzen. Künftig muss ein Grundriss vor allem eines sein: flexibel und anpassbar.
Die optimale Wohnung sah Jahrzehntelang wie folgt aus: Um ein großes Wohnzimmer wurden eine unterschiedliche Anzahl kleinerer Räume und eine kleine Funktionsküche gruppiert. Diese Konzepte mit ihren festgelegten Grundrissen und herkömmlichen Raumproportionen erweisen sich für heutige Anforderungen als völlig ungeeignet. In einem typischen Kinderzimmer mit zehn Quadratmetern möchte man weder seinen eigenen Nachwuchs unterbringen noch ein Home-Office einrichten, sogar wenn dies auch ohne Papier funktioniert. Einen Flur, von dem alle Zimmer abgehen – früher ein Klassiker – will heute keiner mehr. 40 Quadratmeter große Wohnzimmer werden in vielen Lebensentwürfen ebenfalls nicht mehr gebraucht, weil das einstige Hauptmöbel Fernseher von raumunabhängigen Unterhaltungsmöglichkeiten wie Laptops oder Tablet Computern verdrängt wird. Auch das Thema Essen hat sich grundlegend gewandelt. Versammelte sich die Familie früher um den Esstisch, gibt es heute eine Fülle von Varianten: Wo man sein Abendessen einnimmt, definiert nicht mehr nur der Tisch. Essen im Stehen, Sitzen oder auf der Couch liegend gehört zum Alltag. In der Studie „Zukunft des Wohnens“ kommt das Zukunftsinstitut unter anderem zu der Erkenntnis, dass Raumzonen starre Raumstrukturen ablösen. Heutzutage kann es schnell notwendig werden, aus dem Kinderzimmer ein Büro zu machen oder ein Schlafzimmer zu teilen, um einen Heimarbeitsplatz zu schaffen oder einen Hometrainer unterzubringen. Auch Flure sind – sofern überhaupt noch vorhanden – längst keine reinen Durchgangszimmer mehr. Sie werden als Lagerräume genutzt, als Mirkoarbeitsplätze oder als Unterbringungsort für Haustiere. Die Beispiele illustrieren: Die Pluralisierung der Lebensstile greift massiv in die Wohnungswirtschaft ein, weil sich dadurch der Anspruch der Menschen an ihre gebaute Umgebung radikal verändert hat. Eine Lösung sind nutzungsoffene Grundrisse, die dank modularer Bauweise jederzeit revidiert werden können. Fest vorgegeben sind dabei nur die tragenden Strukturen. Typische Elemente in offenen Grundrissen sind leichte, nichttragende, verschiebbare Trennwände oder Raumteiler. Mobile Wände wie Gleit- oder Schiebetüren sind eine uralte Erfindung und Zeugnisse eines kreativen Umgangs mit Platzmangel. Hinzu kommen in den Raum eingestellte Theken und Boards als Mobiliar, mit deren Hilfe sich eine Wohnung in Zonen einteilen lässt.
Der nutzungsoffene Grundriss erlaubt es, breite Nutzergruppen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen anzusprechen. Hinzu kommt, dass sich die Lebensstile und -realitäten auch weiter verändern werden und das in einem tendenziell schnelleren Tempo. Daher werden Wohnungen, deren Grundrisse relativ flexibel angepasst werden können, künftig klar im Vorteil sein. Entwickler von Wohnungsneubau müssen dies unbedingt heute schon berücksichtigen, um nicht an der Nachfrage von morgen vorbeizubauen.
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Erstveröffentlichung: Immobilien Zeitung 35/2015 in einer verkürzten Version