Wenn schon Digitalisierung, dann richtig.
Krisen sind Katalysatoren von Innovationen und bergen immenses Potenzial für Fortschritt und Veränderung. Gerade jetzt, wo wir in der Corona-Krise auf eine funktionierende digitale Infrastruktur angewiesen sind, ist spürbar, dass Deutschland in Sachen Digitalisierung noch Großes vor sich hat. Das gilt auch für die Immobilienbranche, die in diesem Punkt bekanntlich anderen Branchen hinterherhinkt.
Immerhin: Mit steigendem Verständnis für die Digitalisierung und deren Anwendungsgebiete wächst das Vertrauen in neue, daraus resultierende Geschäftsmodelle und die damit zusammenhängenden Vorteile – urteilt die 5. Digital Real Estate Umfrage 2020 Schweiz und Deutschland von pom+. Digitale Verfahren, Anwendungen und Modelle nützen jedoch wenig, wenn die Systeme nicht miteinander kommunizieren können. Wenn beispielsweise Daten aus BIM-Modellen nicht auf standardisiertem Wege in alle an die Planungsphase angrenzenden Systeme übertragen werden können. Anders als in den USA, Frankreich oder den Niederlanden, wo Standards bereits etabliert sind, gab es hierzulande bis vor wenigen Jahren keine einheitlichen Branchenregeln darüber, wie immobilienbezogene Daten und Dokumente effizient erfasst und verarbeitet werden sollen.
Die Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e.V. (gif) hat diese Entwicklung federführend vorangetrieben. Jetzt, da im Homeoffice die Bedeutung funktionierender Informationsübertragung zu Tage tritt, ist es an der Zeit, dass insbesondere große Anbieter digitaler Lösungen diese Standards gemeinsam einfordern und für alle Prozessketten optimieren. Gelingt das nicht, wird nicht nur die Entwicklung neuer Datenmodelle und Softwarelösungen, sondern auch die Bildung neuer Geschäftsmodelle deutlich gehemmt. Auf lange Sicht kann die deutsche Immobilienwirtschaft ohne die Einführung branchenweiter Standards im globalen Wettbewerb um Datensysteme und Tools, die entlang der gesamten Immobilienwertschöpfungskette eingesetzt werden, nicht konkurrieren.
Die größte Herausforderung besteht allerdings nicht in der Einführung -von Standards, sondern darin, den Digitalisierungshemmnissen in der Branche effektiv zu begegnen. Insbesondere gesetzliche Regelungen und Vereinbarungen mit Partnern, zumeist der öffentlichen Hand, gelten laut der InWIS-Studie zur Digitalisierung in der Immobilienwirtschaft als größte Digitalisierungshürden. Allen voran zählen dazu papierbasierte Arbeitsschritte, das Fehlen von IT-Schnittstellen zur Datenübertragung und von standardisierten Formularen sowie mangelnde Rechtsverbindlichkeiten in der elektronischen Kommunikation. Um diesen Hürden zu begegnen, muss ein Bewusstseinswandel in den Organisationen und Unternehmen stattfinden. Das Zauberwort hierfür lautet Effizienz. Jetzt wo steigende Erstellungskosten nicht mehr an Mieter weitergegeben werden können, ist ein effizienter Workflow eine wichtige Stellschraube in der Wertschöpfungskette. Digitale Lösungen fördern außerdem ganz nebenbei auch die Attraktivität von Objekten.
Bleibt zu hoffen, dass dem gegenwärtigen Ausnahmezustand zumindest das sich schärfende Bewusstsein für die Notwendigkeit funktionierender digitaler Prozesse abzuringen ist und dass wir, wenn alles überstanden ist, nicht da weiter machen, wo wir zuvor aufgehört haben. Digitalisierung geht uns alle an.
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Erstveröffentlichung: Immobilien Zeitung vom 28. Mai 2020