Volksparteien geben die großen Städte auf
Das Baukindergeld soll Familien in angespannten Wohnungsmärkten bei der Eigentumsbildung unterstützen, doch es schafft Anreize nur dort, wo die Preise günstig sind, weil es ein hinreichendes Angebot und kaum Nachfrage gibt. Im Ergebnis führt die Maßnahme der großen Koalition zu mehr Wohnungsbau im ländlichen Raum und schafft neue Strukturprobleme, statt bestehende zu lösen.
24.000 oder 36.000 Euro in zehn Jahren, je nachdem ob Sie zwei oder drei Kinder haben: das ist in den meisten Bundesländern nur etwas mehr als für die Grunderwerbsteuer einer adäquaten Vier- oder Fünfzimmerwohnung in einer größeren Stadt anfallen würde. Aber ein echter Anreiz für die Eigentumsbildung breiter Bevölkerungsschichten in den angespannten Wohnungsmärkten der deutschen Großstädte ist das Baukindergeld der neuen Regierungskoalition nicht. Aber das war auch bestimmt nicht der Plan. Die Idee einer direkten Eigentumsförderung für Familien aus dem Wahlprogramm der Union und der Wunsch nach einer sozial ausgleichenden Eingrenzung des Adressatenkreises aus den Reihen der SPD führten jedenfalls zu einem Angebot, das vor allem in ländlichen Räumen seine Wirkung entfalten wird.
Dort wo Grundstücke noch günstig und reichlich zu haben sind, kann das Baukindergeld auch mal zu einem echten Anreiz werden, weil es bis zu zehn Prozent der Gesamtkosten für ein neues Eigenheim deckt. Und insbesondere in von Entvölkerung bedrohten Regionen werden Bürgermeister die Regelung zum Anlass nehmen, um an der einen oder anderen Stelle noch einmal mehr günstiges Bauland zu schaffen. Denn auch für sie geht es um existentielle Fragen: Gibt es genügend Kinder für bestehende Kita- und Schulangebote? Kann der Wegzug junger Menschen gestoppt werden? Finden die Betriebe im Ort genug Nachwuchskräfte? Haben wir hinreichend Kaufkraft für einen Supermarkt und eine Tankstelle?
Sicher, wenn es gelingt, junge Menschen in ihren Herkunftsgemeinden zu halten oder auf dem Land überhaupt erst anzusiedeln, kann das Baukindergeld den gegenwärtigen Urbanisierungsdruck senken. Denn eventuell ziehen weniger Menschen in die Städte und bleiben beispielsweise in der Oberpfalz, statt nach München abzuwandern, wo die Wohnungen schon jetzt knapp und unbezahlbar sind. In den Familien würden dadurch sicher die traditionellen Bindungen gestärkt, weil die Wahrscheinlichkeit, dass beide Partner einen adäquaten Job finden, auf dem Land vergleichsweise gering ist und einer zu Hause bleiben müsste beziehungsweise nur eingeschränkt beruflich tätig sein könnte: Und falls beide doch vollwertig arbeiten könnten, wären die Fahrwege so lang, dass sich die Großeltern um die Kinder kümmern müssten. Mit den weiten Wegen würden zugleich die steuerlich begünstigten Pendlerströme verstärkt, was wiederum als Anreiz für Investitionen in die weiträumige Verkehrsinfrastruktur und die Position der deutschen Autoindustrie festigt.
In diesem Sinn wird sich das Baukindergeld rasch zu einem Konjunkturprogramm für viele Regionen abseits der Ballungsräume entwickeln. Nur wirklich nachhaltig ist dies sehr wahrscheinlich nicht: wirtschaftlich nicht, weil die Immobilienwertentwicklung in den Hauptförderregionen meist unsicher ist und Vermögenszuwächse durch Immobilieneigentum eher in den großen Ballungsräumen als auf dem Land zu erwarten sind; sozial nicht: weil die Spannungen zwischen individuellem Entfaltungsansprüchen und familiären Bindungen durch ökonomische Abhängigen anwachsen; ökologisch nicht: weil lange Pendlerstrecken und großzügige Eigenheime die Erreichung der Klimaziele in weite Ferne rücken. Finanzielle, familiäre und ökologische Mehrbelastungen sind demnach programmiert.
Es passt in dieses Bild, dass das Thema Wohnen nun als ein Appendix in einem Heimatministerium angesiedelt und der CSU zugeschlagen worden ist. Bei ihr stehen bekanntlich die Förderung der ländlichen Räume, die Stärkung der Familie und die Interessenwahrung der deutschen Autoindustrie ganz oben auf der Agenda. Der Wohnungsbau in den großen Städten hat dagegen auf bundespolitischer Ebene bislang keine schlagkräftige Lobby.
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Erstveröffentlichung: The Property Post, Juni 2018