Bei Scoring-Modellen können Schwächen in einem Merkmal mit Übererfüllen in einem anderen verrechnet und so ausgeglichen werden. Dies ist in der Natur von Balanced Scorecards begründet. Aus der Mischung von Stärken und Schwächen entsteht eine gewichtete Durchschnittsnote mit entsprechend geringerer Aussagekraft bzw. mit einem möglichen Greenwashing. Letzteres hängt von der Machart der Scorecard ab. Hier ist also besondere Vorsicht geboten.
Wie kann so etwas passieren? Zwei fiktive Wohnimmobilien: eine aus den 1980er Jahren mit einer gepflegten, großzügigen eingewachsenen Grünanlage, einer niedrigen Durchschnittsmiete und ausgewogenem Mietermix, aber baujahrestypischer Energetik. Die andere ist ein Neubau mit EPC A+, Zero Carbon und hohen Mieten. Beide können – je nach Machart der Scorecard – den gleichen ESG Scoring-Wert erhalten, mithin gleichwertig nachhaltig erscheinen. Dabei müsste der Neubau in puncto Nachhaltigkeit aufgrund der Energieeffizienz höher bewertet werden.
Auch besteht die Möglichkeit fälschliche Angaben positiv zu werten. Ein Beispiel: Auf einer fiktiven Beispielimmobilie werden Dachflächen an einen Contractor vermietet, um dort erneuerbaren Strom mittels Photovoltaikanlagen zu erzeugen und ins öffentliche Netz einzuspeisen. Das Vorhandensein der PV-Anlage wird positiv bewertet, obwohl Immobilie und Immobilieneigentümer keinerlei Beitrag in Sachen Nachhaltigkeit geleistet haben, sondern der Contractor. Fehlerquellen in Balanced Scorecards ergeben sich also nicht nur in der Auswahl und Gewichtung der Kriterien, sondern auch in der korrekten Zurechnung.
Wie kann dem begegnet werden? Richtig ist, dass wichtige Einzelkriterien – wie zum Beispiel die Energieeffizienz – immer absolut erfüllt werden müssen und einen Mindeststandard nicht unterschreiten dürfen. Werden diese nicht erreicht, muss die Immobilie automatisch „durchfallen", egal welche „Extras" das Objekt sonst bietet; es werden also harte Break-Up-Points definiert. Ein Verrechnen und damit ein Aufweichen muss ein Tabu sein. Zudem ist es entscheidend, dass alle relevanten Faktoren in den Modellen überhaupt bewertet und diese Faktoren auch entsprechend stark gewichtet werden.
Nur wenn dies erfüllt wird, können Investoren sicher gehen, dass die Immobilien die angestrebten Anforderungen an Nachhaltigkeit erfüllen und der das Portfolio einen Mehrwehrt in puncto ESG wirklich leisten kann. Besser noch: Es wird auf Scoring-Modelle verzichtet und ein Set aus festen Kennzahlen bestimmt, welches eine Verrechnung verschiedener Faktoren gar nicht erst ermöglicht.
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Erstveröffentlichung: Immobilien Zeitung im März 2023