Jörg von Ditfurth beschreibt die Folgen für den Büromarkt.
Früher legte Jörg von Ditfurth, Partner der Beratungsfirma Deloitte und verantwortlich für Real Estate Consulting, Interviewtermine vor oder nach Dienstreisen. Nun erreichte ihn „The Property Post“ (TPP) zwischen Videokonferenzen im sonnendurchfluteten Arbeitszimmer zu Hause.
TPP: Herr von Ditfurth, vor der Pandemie äußerten 83 Prozent der von Ihnen befragten Büroangestellten, sie wären gerne mobil tätig, und 47 Prozent gaben an, dass sie ein oder zwei Tage von zu Hause arbeiten möchten. Wie würden die Umfrageergebnisse heute ausfallen?
Jörg von Ditfurth: Was vor der Pandemie galt, gilt auch heute noch. Aber der Anteil der Menschen, die gerne einen, zwei oder auch drei Tage zu Hause arbeiten möchten, ist inzwischen gewiss gestiegen. Covid-19 beschleunigt den Trend zur Heimarbeit.
TPP: Aber so ganz ohne Büroarbeitsplatz möchte wohl doch niemand arbeiten. Marcel Abel, Geschäftsführender Direktor von JLL zu, prophezeite vor einem halben Jahr im TPP-Interview die Rückkehr der Menschen in ihre Büros mit den Worten: „Menschen brauchen eine Feuerstelle“. Ist das wirklich so?
JvD: Ja, wenn man die Menschen fragt, was ihnen gegenwärtig fehlt, dann ist es der kollektive Austausch im Büro, so etwas wie das Zufallstreffen an der Kaffeemaschine. Wir wissen, dass solche Begegnungen den schnellen Austausch der Mitarbeiter zu ähnlichen Problemen ermöglichen und damit deren Lösung fördern.
TPP: Ihre Studie „Future Workplace“ zeichnet ein neues Bild vom Büroarbeitsplatz. Was muss sich ändern?
JvD: Früher war das Büro ein Gehäuse um den Produktionsfaktor Mensch. Es wurden Dokumente erstellt, kopiert und abgelegt. Um auf Buchführung und Schriftverkehr im Aktenschrank hinter dem Schreibtisch zugreifen zu können, mussten die Angestellten im Büro präsent sein. Heute können Menschen nahezu überall auf digitalisierte Belege und Daten zugreifen und damit arbeiten. Die Schreibhalle brauchen wir nicht mehr, wohl aber die Feuerstelle. Die Gebäudestruktur muss Begegnungen und Teamarbeit fördern. Ein Einzelbüro ist kaum noch nötig. Ungestört nachdenken und telefonieren kann man auch zu Hause, wenn dort ein Arbeitszimmer zur Verfügung steht.
TPP: Ein Ergebnis ihrer Studie lautet: Büroarbeitsplätze waren bereits vor der Pandemie nur zu 40 bis 60 Prozent belegt. Je mehr Menschen künftig zu Hause nachdenken, umso mehr Büroraum steht leer. Die DZ Bank hat ausgerechnet, dass drei Tage Homeoffice die Nutzungsquote auf 25 Prozent fallen lässt. Wird nun viel Bürofläche überflüssig?
JvD: Wir rechnen nicht ganz so drastisch. Die vor der Pandemie erhobenen Belegungsquoten berücksichtigen, dass auch zu dieser Zeit bereits viele Angestellte zeitweise zu Hause arbeiteten. Wir erwarten, dass ein Unternehmen dessen Mitarbeiter zu 100 Prozent im Büro über einen eigenen Arbeitsplatz verfügen, künftig nur noch halb so viel Fläche für Schreibtische braucht, wenn seine Belegschaft zeitweise zu Hause arbeitet und sich im Büro Schreibtische teilt.
TPP: Halbe Fläche, halbe Kosten?
JvD: Nein, so einfach ist es nicht. Wir kalkulieren, dass sich die Arbeitsplatzkosten um 25 bis 30 Prozent senken lassen. Die Ersparnis ist nicht größer, weil die übrigen Flächen erweitert und aufgewertet werden müssen, um spontane Treffen in einem die Kreativität fördernden Umfeld zu ermöglichen. Ebenso bedarf es eines Investments in intelligentere Infrastruktur, die eine intuitive Reservierung und Belegung von Flächen ermöglicht.
TPP: Bisher haben wir über Einzel- und Zweierbüros gesprochen. Was wird eigentlich aus den Großraumarbeitsplätzen?
JvD: Großraumbüros, in denen 40 bis 60 Mitarbeiter durch halbhohe Stellwände getrennt arbeiten, wird es nicht mehr geben und werden von den meisten Nutzern negativ beurteilt. Räume, die es ermöglichen an einem großen Tisch in Gruppen kollaborativ an einem Thema zu arbeiten, bleiben weiterhin wichtig bzw. werden wichtiger. Diese Flächen können offen oder besser teil-offen sein.
TPP: Was geschieht auf dem Büromarkt, wenn sich Ihre Vorstellungen von Büroarbeit durchsetzen?
JvD: Perspektivisch brauchen wir weniger Bürofläche für die Zahl der Menschen, die aktuell in Büro arbeiten. In prosperierenden Städten wie München ziehen Büroarbeitskräfte zu und erhöhen den Flächenbedarf. Dieser gegenläufige Effekt kann Leerstand verhindern. Aber die Zahl der Büroarbeitskräfte wird nicht in allen sieben deutschen Bürohochburgen zunehmen. Auf dem Frankfurter Büromarkt, der stark von den Beschäftigungszahlen der Finanzbranche abhängt, ist beispielsweise die Gefahr des Leerstandes höher als in München mit seinem breiten Branchenmix. Grundsätzlich gilt wie auch in früheren Krisen: Wachsender Leerstand gepaart mit sinkenden Mieten und Preisen trifft zuerst ältere Bürogebäude, und da vor allem solche in peripheren Lagen.
TPP: Thomas G. Winkler, CEO des Projektentwicklers UBM, freute sich in einem Gespräch mit dem Brancheninformationsdienst Thomas Dailly bereits über die absehbare Entwicklung. Sie sei ein "Albtraum für Bestandshalter, aber ein Jahrmarkt für Developer". Hat er recht?
JvD: Richtig ist, dass der Bedarf an neuen, flexiblen und intelligenten Flächenkonzepten steigen wird. Dass dies einfacher durch neue Bürogebäude als durch Redevelopments zu erfüllen sein wird, ist wahrscheinlich. In der Praxis werden Neuentwicklungen ausgelöst, wenn es gelingt, einen hinreichend langen Mietvertrag mit einem Ankermieter abzuschließen. Doch es wird immer schwieriger, langfristige Mietverträge zu verkaufen. Zehnjahresverträge wird es nur noch für Kernflächen in guten Lagen geben. Zusatzflächen müssen kurzfristig dazu mietbar sein. Entwickler, die so flexibel bauen können, dass diese Wünsche erfüllbar sind, werden weiterhin gute Geschäfte machen.
TPP: Was halten Sie von Um- statt Neubau?
JvD: Die Antwort kann nur eine Kosten-Nutzen-Analyse geben. Wenn der Anteil schwer oder gar nicht recyclebarer Materialien im Altbau hoch ist, die früher übliche Zellenstruktur nur mit Mühe aufzubrechen ist oder der Abriss bis auf das Skelett nötig ist, wird sich ein Redevelopment häufig nicht lohnen.
TPP: Herr von Ditfurth, nun wissen wir, wie die Büroarbeit der Zukunft aussehen sollte. Doch wie arbeiten Sie heute?
JvD: Weil ich in diesem Jahr so wenig reise wie niemals zuvor, verteilt sich meine Arbeitszeit je zur Hälfte auf die Deloitte-Büroräume oder bei Kunden und mein Arbeitszimmer zu Hause. Dass ich so häufige zu Hause arbeiten kann, freut mich, weil ich mit meiner Familie Mittagessen kann, was früher kaum möglich war. Mein Büroarbeitsplatz buche ich je nach Bedarf – einen abgeschlossenen Raum nur dann, wenn ich vertrauliche Gespräche führen muss.
TPP: Herr von Ditfurth, vielen Dank für das Interview.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Deloitte
Erstveröffentlichung: The Property Post, Dezember 2020