Krise der Pflegeheimbetreiber wird zum Risiko für ihre Vermieter
Als „The Property-Post“ (TPP) im Juni 2020 mit Terranus-Geschäftsführer Markus Bienentreu sprach, litten Bewohner von Alten- und Pflegeheimen und deren Angehörige unter den durch die Corona-Pandemie ausgelösten Besuchsbeschränkungen. Heute leiden die Betreiber der Einrichtungen unter Kostensteigerungen und deren Eigentümer müssen immer häufiger um die Mieteinahmen bangen, nachdem mehrere Gesellschaften insolvent wurden.
TPP: Herr Bienentreu, welche Ursachen hat die aktuelle Pleitewelle unter den Pflegeheimbetreibern?
Markus Bienentreu: Wir haben in der Pflegebrache aktuell eine schwierige Zeit. Die Pflegeheimbetreiber müssen das Tariftreuegesetz umsetzen. Das führt zu höheren Personalkosten. Ohnehin treibt der Fachkräftemangel bereits die Ausgaben für das Personal hoch. Häufig muss die eigene Belegschaft durch teureres Personal von Leiharbeitsfirmen ergänzt werden. Wo das nicht gelingt, können die räumlichen Kapazitäten nicht voll genutzt werden. Das führt zu Einnahmeausfällen. Die Energie-, wie auch die Sachkosten steigen. Und nicht zu vergessen: Die Betreiber haben in der Regel Indexmietverträge abgeschlossen, so dass ihre Mieten wegen der hohen Inflationsrate in den vergangenen Monaten sprunghaft gestiegen sind.
TPP: Die hohe Inflationsrate zeigt, dass Produzenten, Händler und Dienstleister gestiegene Kosten weitergeben. Warum tun Pflegeheime dies nicht?
MB: Sie tun es, soweit sie es können. Der Betrieb eines Pflegeheims wird von den Bewohnerinnen und Bewohnern über die Leistungen der Pflegekasse, den Eigenanteil oder Zahlungen der Sozialhilfeträger finanziert. Was mit wem in welcher Höhe abgerechnet werden darf, verhandeln die Betreiber mit den Pflegekassen bzw. dem Sozialhilfeträger. Kostensteigerungen können erst nach der Verhandlung und dem Abschluss einer neuen sogenannten Vergütungsvereinbarung an den Bewohner weitergegeben werden.
TPP: Das Tariftreuegesetz sichert Pflegepersonal höhere Einkommen, scheint aber den Beruf nicht attraktiver zu machen. Woran liegt das?
MB: Am Geld liegt es aus meiner Sicht tatsächlich nicht. Im Gehaltsvergleich zu anderen Ausbildungsberufen schneiden Pflegekräfte inzwischen sehr gut ab. Viel entscheidender sind die Arbeitsbedingungen, also Schichtdienst, wenig Planbarkeit weil die Dienstplanung nicht optimal ist, die Personaldecke zu dünn ist. Das schreckt Menschen ab, in der Pflege zu arbeiten. Die Arbeitsbedingungen müssen besser werden.
TPP: Die Refinanzierung wird nur allmählich nachgebessert und der Übergang zu effizienteren Strukturen geschieht eher mittel- bis langfristig. Das sind zumindest aktuell keine guten Aussichten für die Anbieter und damit auch für ihre Vermieter.
MB: In der Tat steht die Branche 2023 vor einem schwierigen ersten Halbjahr. Ich rechne mit weiteren Insolvenzen. Das ohnehin schon zu geringe Angebot an stationären Pflegeplätzen könnte noch knapper werden. Schon jetzt führen viele Einrichtungen Wartelisten.
TPP: Wie können sich die Pflegeanbieter aus dieser Situation befreien?
MB: Zum Beispiel indem sie noch mehr als bisher hybride Wohnformen wie das betreute Wohnen anbieten. Dort gelten nicht die strengen Fachkraftquoten wie in der klassischen Pflege, das heißt, wo es möglich ist, können Fachkräfte durch Hilfskräfte ersetzt werden. Eine Änderung des Fachkräfteschlüssel würde insgesamt eine deutliche Erleichterung bringen. Außerdem müsste die Refinanzierung durch höhere Zuzahlungen gestärkt werden.
TPP: Höhere Zuzahlungen der Pflegeheimbewohner sind nicht im Interesse der Kommunen. Denn die dann steigende Zahl der Beihilfe-Empfänger wird Städte und Gemeinden zusätzlich belasten.
MB: Es könnte auch auf höhere Zahlungen der Pflegeversicherung hinauslaufen. Es gibt bereits Überlegungen, Sockel- und Spitzenbeträge zu tauschen. Aktuell ist der Betrag, den die Pflegekasse leistet, fix und der Pflegebedürftige zahlt den Rest. Danach wäre es umgekehrt.
TPP: Bisher haben wir darüber gesprochen, wie die Finanzkraft der Pflegeanbieter zu stärken wäre, so dass sie ihre Mieten zahlen können. Kurzfristig würden notleidenden Betreibern aber Mietminderungen und -stundungen helfen. Was halten sie von dieser Idee?
MB: Der eine oder andere Mieter verhandelt über solche Lösungen.
TPP: Mit Erfolg?
MB: Das ist unterschiedlich. Es gibt Fälle, in denen die Vermieter den Mietern entgegengekommen sind. Es gibt aber auch umgekehrt die Einstellung: Wende dich mit diesem Problem an deinen Kostenträger.
TPP: Mieten fallen unter die vom Pflegeheimbewohner zu zahlende Position Investitionskostensatz. Ist es richtig hilfsbedürftige Menschen noch weiter zu belasten?
MB: Automatische Indexsteigerungen bei den Mieten existieren in den wenigsten Bundesländern.. Dennoch muss die Weitergabe indexbasierter Mietsteigerung erlaubt werden. Einem Immobilieneigentümer das Recht auf Mietsteigerungen zu verwehren, ist marktfremd. Die Refinanzierung muss – wie bereits gesagt – reformiert werden.
TPP: Mietminderungen oder gar Betreiberinsolvenzen gefährden die laufende Mietrendite. Doch wie steht es um die Nettoanfangsrenditen für Pflegeimmobilien?
MB: Aktuell sprechen wir bei Core-Immobilien über rund fünf Prozent Nettoanfangsrendite …
TPP: … also einer Rendite, die deutlich höher ist als die mit anderen Nutzungsarten erzielbare.
MB: Sie muss auch höher sein, weil Pflegeeinrichtungen Spezialimmobilien sind, deren Drittverwendungsfähigkeit gering ist, so dass die Investition in sie auch riskanter ist als die in ein Büro- oder Wohngebäude.
TPP: Wie ist es um den Neubau von Pflegeheimen bestellt?
MB: Es wird seit Jahren zu wenig neu gebaut und rasch gestiegene Baukosten plus nun auch höhere Zinsen bremsen den Neubau zusätzlich, denn der Investor bekommt keine adäquat höhere Miete.
TPP: Raten Sie unter diesen Umständen davon ab, Pflegimmobilien zu kaufen oder zu bauen?
MB: Nein, im Gegenteil: Pflege ist und bleibt ein Zukunftsmarkt. Und wenn Standort, Konzept und Mietpreis stimmen, weiterhin für Investoren sehr attraktiv.
TPP: Wer soll investieren?
MB: Pflegeheime sind Spezialimmobilien. Ich würde deshalb keinem empfehlen, Geld in Pflegeheimen anzulegen, wenn er von diesem Markt keine Ahnung hat oder sich nicht zumindest gut beraten lässt. Interessant ist das Segment für institutionellen Investoren aus dem In- und Ausland, die langfristig solide Renditen erwirtschaften wollen, also z.B. Versicherungen, Pensionskassen, REITs. Auch Privatanleger haben das Segment vor einigen Jahren für sich entdeckt.
TPP: Privatpersonen dürften selten die nötigen Marktkenntnisse haben. Ist diese Geldanlage für sie nicht besonders riskant?
MB: Privatpersonen kaufen Apartments in Pflegeheimen. Sie werden Teileigentümer, denen häufig ein vorrangiges Belegungsrecht eingeräumt wird. Das bringt Besonderheiten und spezielle Risiken mit sich. Es gibt eine Reihe von Vertrieben, die sich auf den Verkauf solcher Wohnungen in Pflegeheimen spezialisiert haben. Privatanleger können ihr Risiko begrenzen, indem sie sich an langjährig tätige Unternehmen wenden. Diese Vertriebe helfen in der Regel auch, sollte die Anlage einmal Probleme bereitet.
TPP: Sie sprachen von einem schwierigen ersten Halbjahr 2023 für die Branche. Warum soll es danach besser werden?
MB: Ich glaube, dass dann die zusätzlichen Personalkosten refinanziert sind, und ich habe die Hoffnung, dass die Politik an der einen oder anderen Stelle die Refinanzierungsbedingungen nachbessert. Das hat sie zumindest schon einmal getan, im Bereich der Energiekosten mit einem zusätzlichen Rettungsschirm. Und ich vertraue auch darauf, dass die Inflation zurückgeht.
TPP: Herr Bienentreu, vielen Dank für das Interview.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von The Property Post
Erstveröffentlichung: The Property Post, Februar 2023