Hitze, Wassermangel und Überflutungen – Peter Küsters weiß, wie Städte reagieren sollten.
Greenpass, das von Peter Küsters mitgegründete Beratungsunternehmen, hat zwar seinen Sitz in Wien. Doch um zu Küsters Büro in Neuss zu kommen, hätte The-Property-Post-Redakteur Reiner Reichel mit dem Fahrrad nur zehn Minuten benötigt. Angesichts der Corona-Infektionszahlen verabredeten sie sich ebenso CO2-neutral zum Telefonat.
TPP: Herr Küsters, was macht Greenpass?
Peter Küsters: Wir beraten Behörden, Politiker, Stadtplaner und Architekten. Wir können unseren Auftraggebern anhand von simulationsbasierten Analysen zeigen, wie Maßnahmen zur Begrünung auf das Stadtklima wirken. Diese erfolgen individuell für jeden Standort. Das ist möglich, weil wir die örtlichen Klimadaten berücksichtigen. Die von uns eingesetzten Simulationen, die diese komplexen Parameter verbinden, findet selbst in sehr guten Planungen noch viel Optimierungspotenzial.
TPP: Welche Klimaeffekte lassen sich durch die Begrünung erzielen?
PK: Pflanzen sind so etwas wie natürliche Klimaanlagen. Sie können Wasser verdampfen, ohne dass das Wasser kochen muss. Bei diesem sogenannten Phasenwechsel entzieht das Wasser der Luft eine enorme Menge an Energie in Form von Wärme. Daher brauchen wir Menschen Pflanzen und Wasser in der Stadt. An einem typischen Sommertag lässt sich die Temperatur durch Grün um bis zu vier Grad senken. Doch die gefühlte Temperatur sinkt sogar um zwölf Grad. Die gefühlte Temperatur …
TPP: Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Aber jeder Mensch hat doch ein anderes Temperaturgefühl.
PK: Durchaus, aber die gefühlte Temperatur, die sogenannte PET, also die Physiological Equivalent Temperature, ist ein wissenschaftlich begründeter thermischer Index zur Kennzeichnung von Wärmebelastung auf den Menschen. Der Wert berücksichtigt unter anderem Lufttemperatur, Wind, Luftfeuchtigkeit, Strahlungswärme und Wärmereflektion, etwa durch Gebäude und Straßen. Die gefühlte Temperatur hat erhebliche Auswirkungen auf unser Wohlbefinden, unsere Leistungsfähigkeit und unsere Gesundheit. Die PET ist der wichtigste unter vielen Indikatoren, die wir bewerten.
TPP: Was helfen Bäume und Grün auf dem Dach und an der Wand, wenn die Pflanzen in den zunehmend langen Trockenperioden im Sommer eingehen?
PK: Tatsächlich heizen längere Trockenperioden im Sommer die Städte zunehmend auf, so dass Pflanzen zu vertrocknen drohen. Auf der anderen Seite häufen sich kurze, sehr starke Regenfälle. Deshalb müssen wir das Regenwasser in kürzester Zeit auffangen, speichern und über Verdunstung zur Kühlung der Städte dem natürlichen Kreislauf zurückgeben. Das entlastet die für Starkregen viel zu klein dimensionierten Kanäle und minimiert Überflutungsrisiken. Der sogenannte Abflussbeiwert, der misst wieviel Regenwasser in den Kanal läuft, ist ein weiterer Indikator, den wir aufschlüsseln.
TPP: Wie reagieren die Kommunen auf solche Vorschläge?
PK: Unterschiedlich. Mancherorts streiten die Ämter für Grünflächen, Hoch- und Tiefbau und Stadtentwässerung noch immer über das künftige Vorgehen. Typischerweise ist für das Amt für Stadtentwässerung Regenwasser schädlich und muss so schnell wie möglich weg. Anderenorts erleben wir einen Paradigmenwechsel. Die Verantwortlichen erkennen, dass Regenwasser viel zu wertvoll ist, um es in den Gully zu jagen.
TPP: Wasser auffangen, speichern und zur Kühlung zurückgeben – das klingt, als ob es kompliziert und teuer würde.
PK: Weder noch. Die Techniken hierfür gibt es schon lange, sie werden weiter verfeinert. Als nächstes werden wir wohl intelligentes Grün sehen. Freiraumgestaltung und Landschaftsbau 4.0 sozusagen. Hierzu forsche ich mit Kollegen an einem intelligenten Regenwassermanagement, um Städte besser zu kühlen. Und teurer wird es nicht, im Gegenteil. Unterm Strich reduzieren sich die Kosten, weil Regenwasserkanäle viel kleiner werden, weniger mit Trinkwasser gewässert wird, Klimaanlagen nicht so stark kühlen müssen und so weiter. Und wenn wir die grüne und blaue Infrastruktur verbessern, steigt die Aufenthaltsqualität in einer Stadt. Grün steht für Pflanzen, blau für Wasser. Nimmt die Aufenthaltsqualität zu, dann wachsen die Gebäudewerte. Noch nicht in Geld messbar ist der Vorteil, der dadurch entsteht, dass Menschen, die sich wohlfühlen mehr leisten.
TPP: Zuerst verursachen Investitionen in grüne und blaue Infrastruktur Kosten.
PK: Zunächst geht es darum die vorhandenen Mittel optimal einzusetzen. Dazu analysieren und bewerten wir die Wechselwirkung zwischen Veränderungen in der grünen, blauen und grauen Infrastruktur. Als graue Infrastruktur bezeichnen Fachleute Gebäude und Straßen. Aus der Analyse erfahren die Investoren, ob sie ihr Geld besser für eine Dachbegrünung als Überflutungsvorsorge oder für Bäume und Fassadengrün zur Abkühlung ausgeben sollten. Das geht so weit, dass wir die für diesen Standort am besten geeigneten Bäume vorschlagen. Oder wir kommen zu dem Ergebnis, dass auf Bäume verzichtet werden sollte, weil sie kühlende Luftströme bremsen würden.
TPP: Bitte vergleichen Sie die Kosten für ein begrüntes und ein konventionell gedecktes Neubaudach.
PK: Eine sehr gute Begrünung verursacht bei Büro- und Wohnhäusern etwa 2,5 bis drei Prozent der gesamten Baukosten. Ganz ohne Begrünung wird aber auch nicht gebaut. Eine Standardbegrünung kostet immer noch 1,5 bis zwei Prozent. Immobilienfachleute sagen aber, dass der Gebäudewert durch die Begrünung um zehn bis 15 Prozent steigt, und entsprechend höhere Vermietungs- und Verkaufserlöse erzielbar sind. Die Mieterfluktuation ist geringer. Eine einfache extensive Dachbegrünung bei sehr großen Hallendächern ist schon für unter 20 Euro pro Quadratmeter herstellbar. Die Begrünung einer Garage kostet circa 50 Euro pro Quadratmeter. Gut angelegtes Geld, denn die Folgekosten sind geringer. So fallen weniger Reparaturkosten an, weil die begrünte Dachabdichtung drei bis fünf Mal so lange hält. Während man ein nicht begrüntes Flachdach spätestens alle 20 Jahre erneuert, hält ein begrüntes Dach quasi ein Gebäudeleben lang. Außerdem bezahlt der Eigentümer für ein begrüntes Dach in der Regel nur die Hälfte der Niederschlagswassergebühr, in manchen Kommunen sogar gar keine.
TPP: Heißt das: Je mehr Grün, desto niedriger die Unterhaltskosten?
PK: Nein. Es gilt nicht, „viel hilft viel“. Qualität geht vor Quantität. Wir simulieren die Kosten für Herstellung und Unterhalt von Maßnahmen zur Begrünung und vergleichen sie mit den Kosten, die entstehen, wenn auf diese Maßnahme verzichtet wird. Ein Beispiel dazu: Die kühlende und schattierende Wirkung des Laubes von Kletterpflanzen an einer Außenwand und Schatten spendenden Bäumen vor dem Gebäude können dessen Innenraumtemperatur im Sommer um bis zu fünf Grad senken. Im Winter, wenn das Laub von den Pflanzen abgefallen ist, erwärmt der Sonneneintrag die Räume. Mit unseren Angaben können Bauphysiker berechnen wie leistungsfähig eine Heizungs- und Klimaanlage mit und ohne Begrünung sein muss und was Anschaffung und Betrieb kosten.
TPP: Wieviel Dachfläche ist eigentlich in Deutschland begrünt?
PK: Der Bundesverband GebäudeGrün hat gerade ermittelt, dass in Deutschland im Jahr 2019 insgesamt 7,2 Millionen Quadratmeter Dachbegrünungen neu hinzugekommen sind. Damit ist Deutschland zwar inoffizieller Weltmeister, aber die neu hinzugekommene Gründachfläche bedeckt nur neun Prozent der insgesamt neu entstandenen Flachdachflächen. Immerhin wird jedes Jahr mehr Fläche begrünt. Seit 2008 wächst der Markt im Jahresdurchschnitt um sieben Prozent.
TPP: Wenn die Dachbegrünung mehr nützt als sie kostet, ist es unverständlich, dass der Anteil so gering ist und riesige Lagerhallen ohne Dachbegrünung genehmigt werden.
PK: Es ist natürlich auch ein Mangel an Wissen. Unsere Branche hat nicht so viel Geld für die Lobbyarbeit wie beispielsweise die Automobilindustrie, um zu informieren. Erst seit kurzem sind Wetter- und Mikroklimadaten so erschwinglich geworden, dass wir diese für einzelne Bauvorhaben einsetzen können. Was die Genehmigungen angeht, so haben sich Kommunalpolitiker in der Vergangenheit zu oft gescheut, eine Dachbegrünung für große Hallen vorzuschreiben. Dahinter steckte die Angst, dass der Investor in die Nachbarkommune abwandert, so dass die Gewerbesteuereinnahmen verloren gehen. Das ist totaler Quatsch. Niemand investiert an einem schlechteren Standort, nur weil er die drei Prozent Mehrkosten einer extensiven Dachbegrünung für seine Lagerhalle umgehen will. Für die Kommunen ist die Rechnung nicht aufgegangen. Denn die Steuern wurden häufig woanders als am Hallenstandort gezahlt. Heute haben die Gemeinden erkannt, dass die Versiegelung großer ehemals landwirtschaftlich genutzter Flächen ein Fehler war.
TPP: Wäre es nicht am einfachsten, Begrünung zur Bedingung für eine Baugenehmigung zu machen?
PK: Nein, ich wünsche mir Vorgaben, die einen größeren Spielraum lassen. Eine könnte sein, die maximale Einleitmenge für Regenwasser in die Kanalisation zu begrenzen, zum Beispiel auf zwei Liter pro Sekunde je Hektar. Das entspricht der Wasserabgabe einer Wiese. Der Investor kann dann entscheiden, ob er einen großen Rückhalteteich baut, wozu er mehr Grundstück braucht, oder eben eine Dachbegrünung anlegt oder auch beides kombiniert. Der Bauherr könnte auch verpflichtet werden, auf seinem Grundstück die Biodiversität wieder herzustellen, die auf der Wiese vor der Bebauung vorhanden war. Aber diesen Ausgleich muss er vor Ort leisten und nicht durch modernen Ablasshandel, wie Ausgleichzahlungen an die Kommune, die damit irgendwo weit weg etwas aufpflanzt. Oder die Vorgabe könnte lauten, dass die Gebäude die Umgebung nicht zusätzlich aufheizen dürfen, was durch Simulationsrechnungen nachzuweisen ist. In Krefeld führen wir auf Wunsch der Stadt gerade in zwei Pilotprojekten solche Simulationen durch.
TPP: Zum Wohnungsmarkt: Experten empfehlen Nachverdichtungen in den Städten. Mehr Grün oder mehr Wohnraum?
PK: Nicht entweder oder, sondern sowohl als auch. Die Nachverdichtung der Städte ist wichtig und richtig. Städte sollten nicht durch Neubaugebiete weiter ausfransen. Neubaugebiete verbrauchen, insbesondere wenn dort Ein- und Zweifamilienhäuser gebaut werden, überdurchschnittlich viele Ressourcen. Gemessen am geschaffenen Wohnraum wird mehr Fläche und Material verbraucht als beim Bau von innerstädtischen Mehrfamilienhäusern. Für neue Straßen wird weiterer Boden versiegelt. Außerdem entsteht mehr Berufspendel- und Einkaufsverkehr. Auch die Innenverdichtung ist nicht problemfrei. Für die Menschen, die bereits dort leben, bringt sie eine höhere Verkehrsbelastung und weniger frische Luft zum Atmen. Es entstehen zusätzlich Wärmespeicher, die die Stadt weiter aufheizen und die zusätzliche Versiegelung erhöht die Überflutungsgefahr. Aber das muss bei intelligenter Planung und Umsetzung moderner Methoden nicht sein.
TPP: Haben Sie ein Beispiel?
PK: Ja. Wenn man Gebäude aufstockt, sollte man die Dächer für die Bewohner nutzbar machen, etwa indem darauf man Mietergärten schafft. Die Gärten speichern Regenwasser und entlasten somit die Kanalisation. Am Boden und an den Fassaden muss man auch grüne und blauen Infrastrukturen smart einsetzen, um am Ende ein lebenswertes Wohnumfeld zu schaffen.
TPP: Herr Küsters, vielen Dank für das Interview.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Greenpass
Erstveröffentlichung: The Property Post, März 2021