05.01.2021

Radikal veränderter Schulbau

Wie moderne Pädagogik zu Gebäuden führt, die den Präsenzunterricht in der Pandemie ermöglichen.

Reiner Reichel, Redakteur, The Property Post

Covid-19 durchkreuzt aktuell immer wieder mal die Bauzeitenpläne in Verantwortung von Petra Rinnenburger, Mitglied der Geschäftsführenden Betriebsleitung und Technische Betriebsleiterin der Gebäudewirtschaft der Stadt Köln. Sie muss Abläufe neu organisieren. In dieser Situation ist Flexibilität Trumpf – also fällt auch mal eine Mittagspause aus, etwa um ein Telefoninterview mit „The Property Post“ (TPP) zu führen.

TPP: Frau Rinnenburger, mit dem innovativen Neubau der „Willy-Brandt-Gesamtschule“ haben Sie es bis in den „stern“ geschafft. Wie plant man eine Schule?
Petra Rinnenburger: Im Grunde genommen nicht anders als ein Einfamilienhaus. Bevor ich ein Einfamilienhaus zeichne, frage ich das den Auftrag gebende Ehepaar: Was ist Ihnen besonders wichtig? Es kann sein, dass die Ehefrau gern von der Küche direkt in den Kräutergarten gehen möchte und ihr Mann die Garage so groß wünscht, dass er einen Raum zum Basteln und Werken abteilen kann. Bevor wir eine Schule bauen, erstellt das Amt für Schulentwicklung das Raumprogramm aus pädagogischer und schulbetrieblicher Sicht. Darin sind alle notwendigen Räume, Flächen und technischen Sonderanforderungen der Nutzerinnen und Nutzer beschrieben. Das Amt gibt die Größen vor und welche Fachunterrichtsräume ihm besonders wichtig sind. So braucht etwa eine auf Naturwissenschaften ausgerichtete Schule mehr Physik- und Chemie-Räume als üblich.

TPP: Gibt es eine Faustformel für den Flächenbedarf?
PR:
Ja, es gibt Schulbauleitlinien, die die erforderlichen Flächen je Schulform und Zügigkeit festlegen. Wir Planer gehen von 20 Quadratmetern Fläche pro Schüler und Schülerin aus. Darin sind Klassenzimmer, Fachunterrichtsräume, die Sporthalle, Flure, Toiletten und andere Nebenräume eingerechnet. Für Schulhöfe setzen wir noch einmal fünf Quadratmeter pro Schüler an.

TPP: Was ist das Besondere an der „Willy-Brandt-Gesamtschule“?
PR:
Die Willy-Brandt Gesamtschule verfolgt seit ihrer Gründung 1975 das pädagogische Konzept der Jahrgangscluster. Zwölf bis 15 Lehrkräfte bilden mit ihren vier bis sechs Jahrgangsklassen je eine kleine, überschaubare Schuleinheit innerhalb der großen Schule. Dies spiegelt sich auch in der Gebäudekonzeption wider. Realisiert wurde ein Lernhaus, das als „Lernboulevard“ dient. Jeweils zwei Jahrgangsgruppen werden in den vier Trakten untergebracht und erhalten je einen eigenen Außenzugang. Mit rund 200 Metern Länge gilt sie als längste Schule Kölns. Mit diesem Neubau wird auch der vom Rat der Stadt Köln beschlossene „Planungsrahmen für pädagogische Raumkonzepte an Kölner Schulen“ umgesetzt.

TPP: Welche Folgen hat das?
PR:
Neue pädagogische Konzepte wie der Cluster-Unterricht verändern den Schulbau radikal. Flure dienen nicht nur der Erschließung auf dem Weg von und zu den Unterrichtsräumen und als Fluchtwege, die Brandschutzanforderungen erfüllen müssen. Vielmehr werden sie auch als Lernflächen genutzt. Das geschieht beispielsweise, in dem der eigentliche Unterrichtsraum durch eine Glaswand vom Flur abgetrennt wird. Die Räume sind optisch verbunden. Das ermöglicht völlig neue Sichtbeziehungen in beide Richtungen. Die Lehrerschaft hat auch einen Blick auf die Lerngruppen vor der Tür und umgekehrt. Das ganze Schulgebäude ist offener und transparenter gestaltet und flexibler nutzbar. Die Lernlandschaften ermöglichen es Schülern in Freistunden eigenständig zu lernen, gemeinsam Hausaufgaben zu machen oder einfach nur zu chillen.

TPP: Die Brandschutzfunktion kann der Flur dann nicht mehr erfüllen, oder?
PR:
Doch. Die Flure sind breiter und das Mobiliar ist fest montiert, so dass im Notfall keine Unfallgefahr von ihm ausgeht. So können wir den Raum, der sonst „nur“ dem Brandschutz und als Fluchtweg dient, auch als Lern- und Aufenthaltsfläche zur Verfügung stellen.

TPP: Um wieviel teurer als ein konventionelles Schulgebäude wird eine Cluster-Schule?
PR:
Lassen Sie es mich so ausdrücken: Eine Cluster-Schule wird nicht preiswerter als eine, die klassische Klassenzimmer aneinanderreiht.

TPP: Eine diplomatische Antwort, die nahelegt, dass die Stadt Köln für diese Bauweise mehr Geld ausgeben muss als für konventionelle Schulbauten. Ist die Stadt denn bereit dazu?
PR:
Nicht nur das. Der Rat der Stadt hat sich sogar verpflichtet, künftig Schulen so zu bauen, dass darin moderne Pädagogik räumlich möglich ist. Aber wir arbeiten daran, die Kosten für Schulgebäude durch ein Baukastensystem zu senken. Und durch neue Vergabeformen mit General- und Totalunternehmern werden wir insgesamt schneller. Zeit sparen heißt auch Geld sparen.  

TPP: Wie muss man sich einen Schulbaukasten vorstellen?
PR:
Wir werden ein Rastermaß für Schulbauten festlegen. Das hilft uns, schneller zu bauen und die Materialbestellungen zu standardisieren, ohne dass die Gebäude immer gleich aussehen. Das Rastermaß soll als Basis für einen Schulbau-Konfigurator dienen. Mit einem Konfigurator wie beim Autobau kann die Stadt dann ihre Wunschschule zusammenstellen. Wer ein Auto kauft, ergänzt das Grundmodell am Bildschirm um Sonderausstattung und Speziallackierung, mehr Motorleistung, Felgendesign, Polsterstoff und weitere Ausstattungsmerkmale. Auf den Schulbau übertragen wählt der Schulträger Art und Anzahl der Klassen- und Fachunterrichtsräume. Und wenn – um ein Beispiel für die Flexibilität des geplanten Systems zu geben - eine Schule die Inklusion in den Vordergrund stellt, wird sie einen so genannten Snoezelenraum dazu buchen, in dem sich Kinder zum Entspannen zurückziehen können.

TPP: Geht das Konzept so weit, dass künftig fertig ausgestattete Klassenräume mit Tiefladern an die Schulbaustelle geliefert werden?
PR:
Nein, die Räume wären zu groß, um sie vorgefertigt auf Tiefladern zu liefern. Es ist aber denkbar, dass vorgefertigte Toiletteneinheiten in den Rohbau montiert werden. Dieses Prinzip könnten wir vom Kreuzfahrtschiffbau übernehmen.

TPP: Wann konfiguriert die Stadt Köln ihre erste Schule am Computer?
PR:
Meine Vision ist, dass dies in fünf Jahren möglich sein wird. Die ersten beiden Workshops zur Vorbereitung eines Architektenwettbewerbs zu diesem Vorhaben fanden bereits statt. Weitere Treffen hat die Pandemie leider verhindert.

TPP: Stichwort Pandemie: In den Konferenzen der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin wurde heftig darüber gestritten, ob Präsenzunterricht stattfinden soll. Mancherorts wurden Klassen geteilt, die eine Hälfte der Schüler im Klassenraum, die andere parallel per Videokonferenz zu Hause unterrichtet. Kann eine Cluster-Schule wie die „Willy-Brandt-Gesamtschule“ leichter als konventionell gebaute Schulen Präsenzunterricht gewährleisten?
PR:
Wie lange wo und in welchem Umfang in einer Pandemie-Situation Präsenzunterrichtet stattfinden kann, ist eine Frage des Schulbetriebs und nicht von mir zu entscheiden. Ich kann nur sagen, was technisch möglich ist. So könnte eine Klasse auf Unterrichtsraum und den Lernbereich im Flur davor verteilt werden. Die Übertragung des Unterrichts über WLAN aus dem Klassenraum auf den Flur oder in andere Räume ist baulich jedenfalls kein Problem.

TPP: Nicht nur das Schulgebäude besitzt Top-Technik. Auch die Sporthalle der „Willy-Brandt-Gesamtschule“ soll eine Ausstattung vom Feinsten bekommen. Wie sieht die aus?
PR:
Schulsporthallen werden meistens auch von Vereinen genutzt. Im Weidenbruch sogar durch den Spitzensport. Auf dem Boden einer typischen Dreifachsporthalle markieren dauerhaft angebrachte, verschiedenfarbige Linien die Spielfeldmaße für unterschiedliche Sportarten. Je nach Sportart sind die Linien für mehrere Felder quer angebracht, bei Sportarten mit größerem Platzbedarf wie Handball oder Basketball längs. Je mehr unterschiedliche Sportarten in einer Halle ausgeübt werden, desto unübersichtlicher sind die Bodenmarkierungen und irritieren die Spieler. Sportverbände verlangen von den Austragungsorten für Spiele in den obersten Spielklassen häufig, dass ausschließlich die Linien für ihre Sportart sichtbar sind. Diese Voraussetzung soll die Halle auf Wunsch der Stadt Köln erfüllen. Dies ließe sich über zeitraubende und auf Dauer kostspielige Wechsel der Böden erreichen. Wir haben einen Hersteller gefunden, der die Spielfeldlinien nur für die jeweils aktuell gespielte Sportart in einem transparenten Boden über eingelassene LED-Leuchten erzeugt. Das ist zunächst einmal teurer, aber über die gesamte Nutzungszeit gesehen wirtschaftlicher als ständiger Bodenaustausch.

TPP: Werden Sie angesichts der neuen Möglichkeiten als ehemals hochklassige Volleyballspielerin ein wenig neidisch?
PR:
Nein. Es ist schön, dass die Stadt Köln jetzt diese Technik für Schul- und auch Hochleistungssport bieten kann. Zu meiner aktiven Zeit im Leistungssport war eine solche Form der Spielfeldmarkierung nicht denkbar. LEDs waren noch nicht bekannt. Um Missverständnisse zu vermeiden: Nicht jede neue Schulturnhalle bekommt diese Technik. Die Schülerinnen und Schüler der „Willy-Brandt-Gesamtschule“ haben das Glück, in einer Halle zu trainieren, die auch für den Spitzensport gebaut wird.

TPP: Frau Rinnenburger, vielen Dank für das Interview.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Gebäudewirtschaft der Stadt Köln
Erstveröffentlichung: The Property Post, Januar 2021

Konversation wird geladen
Reiner Reichel, Jahrgang 1956, war viele Jahre Immobilienredaktuer des Handelsblatts. Journalismus betreibt er, wie er Fußball spielt: hart aber fair.

Pekoeln_rinnenburge_buecher_0033matthias_jung (002).jpgtra Rinnenburger (58), Mitglied der Geschäftsführenden Betriebsleitung und Technische Betriebsleiterin der Gebäudewirtschaft der Stadt Köln, wusste schon als Kind, was sie werden wollte: Architektin! Wenn sie über die Auslöser für ihren Berufswunsch erzählt, muss sie schmunzeln: Abbruchhäuser, noch „dekoriert“ mit Tapetenresten, nicht abgefallenen Badezimmerkacheln und alten Lampen, faszinierten sie, regten ihre Fantasie an. Ein Freund ihres Vaters, ein Bauingenieur, der unter anderem Staudämme in Afrika baute, bestärkte sie in ihrem Berufswunsch und lenkte diesen unbeabsichtigt in eine besondere Bahn. Statt wie 90 Prozent Ihrer Studienkolleginnen und -kollegen Wohnungen zu entwerfen, wollte sie Sonderbauten und Großprojekte verantworten. Dass sie heute im Öffentlichen Dienst arbeitet, liegt auch daran, dass männliche Führungskräfte in der freien Wirtschaft damals über Frauen grundsätzlich das heute Undenkbare dachten und sogar formulierten: „Wir stellen keine Frauen ein“, las die junge Architektin mehrfach in den Absagen privater Bauunternehmen auf ihre Bewerbung.

Schriftzug TPP Homepage_Empfehlung der Redaktion.jpg
 


Contentpartner

#