Wilhelm Breuer zum starken Rückgang der Kurse von börsennotierten Wohnungsunternehmen.
Wohnungspakete kaufen, Konkurrenten übernehmen – Deutschlands börsennotierte Wohnungsgesellschaften konnten gar nicht genug Wohnungen bekommen. Doch jetzt wollen sie verkaufen. Immobilienfinanzierungsexperte Prof. Dr. Wilhelm Breuer kennt die Gründe für den Sinneswandel.
The Property Post: Vonovia, LEG und TAG haben angekündigt, Wohnungen zu verkaufen. Herr Prof. Breuer, sind Sie überrascht?
Wilhelm Breuer: Nein, vor dem Hintergrund des Zinsanstiegs wundert mich das nicht. Die gestiegenen Finanzierungskosten und schlechtere Refinanzierungsbedingungen sind ausschlaggebend für die Verkaufsabsichten.
TPP: Aber die Paketkäufe der vergangenen Jahre haben die Aktiengesellschaften doch überwiegend zu höheren Zinsen als den aktuellen finanziert, die teuren Kredite zwischenzeitlich teils getilgt, teils in der Niedrigzinsphase mit billigerem Geld refinanziert und dabei noch die LTVs auf Werte um 45 Prozent gedrückt. Warum reagieren sie jetzt so verschreckt auf den Zinsanstieg?
WB: Schauen wir mal genauer auf die Renditen und LTVs. Als die großen Paketkäufe abgewickelt wurden, lagen auch die Einstandsrenditen höher. Heute sind bei ähnlichen Zinsniveau die Einstandsrenditen viel niedriger als damals. Und 45 Prozent LTV scheint zwar gemessen an den damaligen Werten wenig. Aber die aktuellen EPRA-Zahlen zeigen, dass 45 Prozent LTV im internationalen Vergleich ein hoher Wert sind. Der LTV-Durchschnitt der deutschen Immobiliengesellschaften beträgt 42 Prozent, der französischen 37 Prozent, der europäischen im Durchschnitt ebenfalls 36 Prozent und in UK liegt der Wert bei knapp 27 Prozent. Der Kapitalmarkt preist derzeit diese höheren Verschuldungen deutscher Gesellschaften angesichts steigender Zinsen entsprechend ein.
TPP: Ist das eine reale Gefahr?
WB: Die deutschen Wohnungsgesellschaften haben aus der Vergangenheit gelernt. Nach der Subprime-Krise und Lehman-Pleite führten steigende LTVs infolge sinkender Bewertung bei bereits hohen Verschuldungsgraden und verschärfte Refinanzierungsbedingungen zu Refinanzierungsproblemen bei einige Immobilien-AGs. Dem haben viele AGs Rechnung getragen, indem man in den letzten Jahren zahlreiche Kapitalerhöhungen durchgeführt hat und so die Eigenkapitalausstattung verbessert hat. Allerdings darf man nicht vergessen, dass die LTVs in den vergangenen Jahren nicht nur durch Kapitalerhöhungen und Tilgungen, sondern vor allem auch durch die Aufwertungen der Immobilien gesunken sind. Dieser Effekt könnte sich nun umkehren.
TPP: Aus Käufer werden Verkäufer. Ist nun zu befürchten, dass die Unternehmen damit selbst die Wohnungspreise drücken und am Ende sogar ihre Bestandsbewertungen korrigieren müssen?
WB: Aktuell sieht man das so in den Marktdaten in der Breite noch nicht. Momentan ist das Transaktionsvolumen niedrig, so dass sich dies noch nicht in den Preisen widerspiegelt. Die Marktteilnehmer warten ab. Mit steigenden Zinsen steigen aber auch die Renditeanforderungen bei Immobilieninvestitionen, was Druck auf die Bewertungen ausübt. Die hohen Aktienkurs-Abschläge auf den Net Asset Value der Immobilien nehmen dies bereits jetzt vorweg. Allerdings gibt es auch stabilisierende Faktoren. Die Mietnachfrage nach Wohnraum in deutschen Ballungszentren ist nach wie vor hoch und übersteigt das Angebot. Das Produkt deutsche Mietwohnungen in Ballungsräumen ist im Kern damit weiterhin intakt. Unter anderem auch, weil Mieter, die mit den Kauf von Eigentumswohnungen dem engen Mietmarkt entfliehen wollten, als potenzielle Käufer von den gestiegenen Zinsen abgeschreckt werden und weiterhin auf den Mietmarkt angewiesen sind. Der Miet-Cash-Flow deutscher Wohnungen wird deshalb auch weiterhin attraktiv bleiben. Außerdem stehen den Verkäufern auch eigenkapitalstarke Investoren gegenüber, für die die Verschuldung keine große Rolle spielt. Und sollte die Bewertung sinken, können diese das aussitzen.
TPP: Sie rechnen also auch nicht mit einer Situation, in der die Wohnungsunternehmen Bestände unter Wert verkaufen.
WB: Verkäufe unter dem aktuellen Fair Value sicherlich nicht, aber vielleicht unter dem Fair Value des letzten Bilanzstichtages. Da viele ihre Bestände bereits länger im Bestand haben, dürften die Verkaufspreise aber immer noch zum Teil deutlich über den Einstandspreisen liegen.
TPP: Bewertungen sind das eine, operative Ergebnisse das andere.
WB: Richtig. Dieser Zinsanstieg ist kein kurzfristiges Phänomen. Die Inflationserwartungen sind nach wie vor hoch und die Staaten erhöhen Ihre Verschuldung zum Teil massiv, um Stützungspakete für private Haushalte und Unternehmen sowie steigende Verteidigungsausgaben zu finanzieren. Das spricht eher für steigende Zinsen. Die Immobiliengesellschaften müssen auslaufende Fremdfinanzierungen ersetzen und dann schmälert jeder Zinsanstieg das operative Ergebnis eines Bestandshalters, den FFO. Die durch Verkäufe gewonnene Liquidität sorgt für zusätzliche Sicherheit und die Möglichkeit, Schulden zu tilgen und Zinszahlungen abzubauen.
TPP: Am Markt wird auch spekuliert, dass die Verkäufe energetische Sanierungen finanzieren sollen. Ist das auch ein Aspekt?
WB: Davon gehe ich aus. Die Gesellschaften wissen, dass sie in Nachhaltigkeit und Energieeffizienz investieren müssen. Sie müssen Auflagen erfüllen, auch, um nach der ESG-Taxonomie der Europäischen Union bestehen zu können. Die Taxonomie übt damit Druck auf sie aus. Stellen sie sich darauf nicht richtig ein, drohen ihnen Kursabschläge. Aber der Zinsanstieg ist der Hauptgrund für die avisierten Verkäufe.
TPP: Kursabschläge sind bereits Realität und der vielfach verbreitete Glaube, dass Wohnimmobilienaktien in Krisenzeiten stabiler seien als die übrigen Aktien scheint ein Irrtum zu sein. Warum sind die Kurse eingebrochen?
WB: Steigende Zinsen wirken grundsätzlich negativ auf Immobilienaktien. Doch die Kursabschläge begannen schon vor dem Zinsanstieg und deutlich vor Kriegsbeginn in der Ukraine, der zum weiteren Anstieg von Inflation und Zinsen und explodierenden Energiekosten führte. Die Kurse gaben bereits im Verlauf des Jahres 2021 nach. Die Finanzierungsprobleme der chinesischen Evergrande-Gruppe und die Turbulenzen um Adler Real Estate warfen bereits im letzten Herbst einen Schatten auf das deutsche Immobilienaktien-Segment. Auch die Energiekosten zogen bereits damals an. Inzwischen sind die hohen Energiepreise in den Kursen eingepreist. Der Kapitalmarkt hat steigende Zinsen und Energiekosten bereits in den Kursen eskomptiert. Der durchschnittliche Abschlag auf den Net Asset Value, kurz NAV, der Immobilien von deutschen Immobilien-AGs beträgt aktuell 66 Prozent. Einige liegen sogar bei über 70 Prozent des zum Jahresende erwarteten NAVs.
TPP: Menschen müssen Wohnen. Und wir vermieten an Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen. Deshalb sind unsere Mieteinnahmen sicher, warben die deutschen Wohnungs-AGs für ihre Stabilität. Schon bevor die Energiepries explodierten, ging für viele deutsche Mieter mehr als 40 Prozent des Haushaltseinkommens für die Warmmiete an die Vermieter. Die Relation von Einkommen zu Wohnkosten ist für Mieter noch schlechter geworden. Die großen Gesellschaften haben versprochen, wegen Mietrückständen nicht sofort zu kündigen. Sind die daraus entstehenden Ergebnisbelastungen wirklich schon eingepreist?
WB: Der Kapitalmarkt hat das in den letzten Wochen bereits eingepreist. Natürlich auf Basis der derzeitig bekannten Daten. Erst im Laufe des Winters wird sich zeigen, ob das reicht. Auch kennen wir derzeit noch nicht die genauen Einzelheiten der geplanten Gaspreisbremse. Andererseits ist nicht zu sehen, dass Mietrückständen wegen horrende gestiegener Energiekosten zu einem Massenphänomen werden. Die Entlastungspakete der Regierung wirken dem entgegen.
TPP: Der Gesellschafterkreis der Unternehmen gilt als stabil. Wer hat eigentlich Wohnimmobilienaktien verkauft?
WB: Verabschiedet haben sich kurzfristig orientierte Investoren, wie etwa Hedge Fonds und Generalisten, die den Sektor infolge der Yield Compression erst lange übergewichtet hatten. Vor einem Jahr begannen sie, ihn unterzugewichten beziehungsweise ganz auszusteigen. Geblieben sind die Dedicated Real Estate Investoren, wozu auch viele ausländische Pensionsfonds und -kassen insbesondere aus den Niederlanden zählen. Diese sind vor allem ausschüttungsorientiert. Für sie zählt der Miet-Cash-Flow, genauer gesagt der „Recurring Cash Flow“ und die damit generierten Dividendenausschüttungen der Wohnimmobilien-AGs. Die Gesellschaften liefern also den für die Altersvorsorgeinstitutionen so wichtigen regelmäßigen Cash Flow.
TPP: Herr Breuer, vielen Dank für das Interview.
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Erstveröffentlichung: TPP, November 2022