Wie sich Immobilieninvestoren vor Wertverlusten schützen
Wann bekommt man bei einem Professor am schnellsten einen Interviewtermin? In der vorlesungsfreien Zeit, weil er da am wenigsten zu tun hat, dachte The-Property-Post-Redakteur Reiner Reichel, als er bei Immobilien-Professor Steffen Sebastian Ende Februar anfragte. Ein Irrtum, belehrte ihn Sebastian freundlich. Während der Vorlesungszeit staut sich in der Regel viel Arbeit an, so dass danach erst recht viel zu tun ist. Dennoch gab er kurzfristig seine Einschätzung zu Investmentstrategien gegen Inflationsrisiken und Folgen einer Zinserhöhung am Telefon ab.
The Property Post: Vertreter der Europäischen Zentralbank erklären der Öffentlichkeit, die aktuell hohen Inflationsraten seien ein kurzfristiges Phänomen. Teilen Sie diese Auffassung?
Prof. Steffen Sebastian: Jein. Die Umstände, die jetzt zu den hohen Inflationsraten geführt haben, werden nicht von Dauer sein. Ein Grund für die hohen Raten ist, dass wir bei momentan nahezu stagnierender Wirtschaft große Lieferengpässe bei vielen Gütern haben. Es kann sein, dass sich die durch knappe und somit teurer werdenden Güter ausgelöste Preissteigerung wieder abschwächt. Wenn es so kommt, heißt das aber nicht, dass die Inflationsrate dadurch sinkt.
TPP: Sie haben einen häufig genannten Inflationstreiber nicht genannt: die steigenden Energiepreise. Werden sie sinkende Inflationsraten verhindern?
SS: Steigende Energiekosten treiben sicherlich kurzfristig die Preise, aber in der Wissenschaft sprechen wir in diesem Zusammenhang bereits von grüner Inflation. Damit ist gemeint, dass Maßnahmen gegen den Klimawandel, die zu klimaneutraler und nachhaltiger Produktion führen, Waren und Dienstleistungen verteuern werden. Darüber hinaus kann es sein, dass die Anbieter ihre aktuell hohen Preise auch dann beibehalten, wenn die Lieferengpässe vorüber sind. Wir Ökonomen beobachten sehr häufig das Phänomen, dass die Preise bei abnehmenden Kosten nicht sinken. Insofern kann es sein, dass vergleichsweise hohe Inflation sich verstetigt.
TPP: Angenommen, die Inflationsrate bleibt bei drei Prozent und mehr. Welchen Sinn macht es dann in Immobilien zu investieren, deren Mietrenditen geringer sind?
SS: Derzeit sind die Zinsen weiterhin sehr niedrig. Und für Immobilieninvestitionen spricht, dass ihr nominaler Wert normalerweise mit der Inflationsrate eher zunimmt. Der Investor wird durch den Wertzuwachs für die Inflation entschädigt. Steigende Inflationsraten bei gleichbleibend niedrigen Zinsen machen eine Immobilienanlage also nur noch attraktiver.
TPP: Ich vermute, dass sich die Immobilieninvestoren mit einem Wertzuwachs allein in Höhe der Inflationsrate nicht begnügen. Werden jetzt auf der Suche nach höheren Renditen weitere Nischennutzungen aufgepumpt?
SS: Jetzt? Ist die Suche nach Nischen nicht ein Verhaltensmuster, das wir bereits seit Jahren sehen? Wir erleben, dass Investoren immer wieder andere Nutzungsarten suchen, die überdurchschnittliche Wertsteigerungen versprechen. Logistikimmobilien waren einmal eine solche Nische. Lange Zeit hat man sich gefragt, woher noch die Wertsteigerungsfantasie kommen soll. Aktuell ist die Argumentation, dass die möglichen Standorte immer knapp bleiben werden, weil keine Kommune mehr Lagerhäuser haben will, die viel Verkehr, aber wenig Gewerbsteuer und Arbeitsplätze bringen. Ob das wirklich eine neue Erkenntnis ist, lasse ich mal offen.
TPP: Einmal abgesehen davon, dass weiterhin Nischen gesucht werden, was könnte eine weitere Reaktion sein?
SS: Dass sich die Investoren jetzt mit Fremdkapital vollpumpen, soweit es eben geht. Das geschieht bereits. Denn es war absehbar, dass die EZB mit ihren Zinsentscheidungen der Inflationsentwicklung hinterherhinken würde. In einer Situation, in der die Preise steigen und die Zinsen nahezu gleich bleiben, sinken die realen Zinsen.
TPP: Eine rationale Entscheidung, oder?
SS: Bedingt rational. Insbesondere Privatanleger sollten nicht vergessen, dass Immobilien zu den riskanten Investitionen gehören. Kredite müssen auch zurückgezahlt werden. Und bei gebrauchten Objekten müssen die Eigentümer mit gewaltigen Kosten für die energetische Sanierung rechnen, die es zu finanzieren gilt. Bei vermieteten Objekten kommt das Risiko weitere politischer Eingriffe ins Mietrecht hinzu. Schutz vor Inflation sollte in dem Kontext die kleinste Sorge sein.
TPP: Vor 15 Jahren hatten sich in Deutschland vor allem professionelle Immobilieninvestoren mit Fremdkapital vollgesaugt. Einige wurden insolvent, manche schrammten geradeso an der Pleite vorbei. Steuern wir auf eine neue Schulden- und Finanzkrise hin?
SS: Nein, die Gefahr sehe ich eigentlich nicht, zumindest dann nicht, wenn es sich um reine Bankenfinanzierungen handelt.
TPP: Warum nicht?
SS: Weil ich nicht erkennen kann, dass Banken ihre Anforderungen an Sicherheiten zurückgeschraubt haben. Und die wenigen, die es früher getan haben, haben ihre Bedingungen inzwischen so geändert, dass eine 100-Prozent-Finanzierung nur sehr schwer zu bekommen ist. Größer ist meine Sorge, wenn sich Gesellschaften über den Kapitalmarkt finanziert haben. Zu dem haben kleine Gesellschaften aber nur sehr eingeschränkt Zugang.
TPP: Wagen Sie doch bitte noch einen Blick in die Glaskugel. Wie lange bleibt die Inflationsrate wie hoch?
SS: Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise ist das ganz schwer zu sagen. Energiepreise könnten weiter steigen, aber das ist keineswegs sicher. Wenn die Sanktionen entschieden ausfallen, könnten sich der Rohstoffmangel verschärfen und sich die pandemiebedingt ohnehin noch gestörte Versorgung weiter verschlechtern. Ich erwarte aber nicht, dass die Sanktionen so stark ausfallen, dass die wirtschaftliche Situation in Europa ernsthaft verschlechtert. Solidarität wird allenthalben beteuert, das wird aber leider nicht lange halten. Wahrscheinlich wird sich in diesem Jahr die Drei vor dem Komma halten. Ich glaube, dass sich die EZB auch dem öffentlichen Druck beugen wird und die Zinsen im nächsten Jahr erhöhen wird. Derzeit sind aber Prognosen besonders schwierig, weil es so viele widerstreitende Prozesse in der Wirtschaft gibt.
TPP: So sehr sich viele Menschen Zinserhöhungen von der EZB wünschen, so wenig glauben sie daran. Gehen Sie davon aus, dass die EZB mit ihrer Niedrigzinspolitik weiterhin hochverschuldete Mitglieder der Europäischen Union schützen wird, um eine erneute Staatsschuldenkrise zu verhindern? Besteht die Gefahr einer erneuten Krise der Staatsfinanzen.
SS: Nein, das glaube ich nicht. Zinserhöhungen werden langfristig angekündigt und behutsam ausfallen. Zudem haben sich auch die hochverschuldete EU-Mitgliedsstaaten langfristig verschuldet. So beträgt etwa die durchschnittliche Restlaufzeit italienischer Staatsanleihen immerhin sechs Jahre. Insgesamt bedeutet, dass das Land Zeit hat, sich auf einen Zinsanstieg vorzubereiten. Ein Zinsanstieg würde nicht sofort in voller Höhe auf den Staatshaushalt durchschlagen. Mit einer erneuten Weltfinanzkrise ist nicht zu rechnen. Ein langsamer Zinsanstieg ist sehr viel besser beherrschbar.
TPP: Herr Prof. Sebastian, vielen Dank für das Interview.
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Erstveröffentlichung: The Property Post, März 2022