24.03.2023

Lieber ESG light

Von der Schwierigkeit einen Artikel 9-Fonds zu emittieren.

Reiner Reichel, Redakteur, The Property Post

Für viele Gespräche, die INTREAL-Chef Michael Schneider mit Fondsmanagern führt, gilt: Nicht ohne meine ESG-Expertin. Und so nahm selbstverständlich Hannah Dellemann, die ESG-Beauftragte der INTREAL, am Gespräch mit „The Property Post“ (TPP) teil.

 

The Property Post: Seit zwei Jahren müssen Fondsanbieter ihre Produkte bezüglich der Nachhaltigkeit nach der EU-Offenlegungsverordnung deklarieren. In der Fachsprache ist von Artikel 6-, 8- und 9-Fonds die Rede. Erstere investieren nicht explizit nachhaltig, Artikel-8-Fonds erfüllen Nachhaltigkeitskriterien, Artikel-9-Fonds müssen weitere Kriterien erfüllen und werden auch als „dunkelgrüne“ Fonds bezeichnet. Wie viele „dunkelgrüne“ Immobilienfonds gibt es aktuell?

Hannah Dellemann: Im Vergleich zur Anzahl der Artikel-8-Fonds sind es wenige. Ich komme aktuell auf etwa zehn in Deutschland zugelassene Artikel-9-Immobilienfonds, von denen vier durch die INTREAL betreut werden.

TPP: Auffällig ist, dass es sich ausschließlich um Fonds für Institutionelle Anleger handelt. Warum ist das so?

Michael Schneider: Das liegt daran, dass Fondsinitiatoren im Vorfeld mit den Geldgebern die Investitionskriterien und deren Umsetzung nach Artikel 9 der EU-Offenlegungsvorschriften absprechen können. Publikumsfonds investieren traditionell breiter, ihre Anlagekriterien sind weiter gefasst. Ihre Altbestände wären kaum auf ein Niveau zu heben, das Artikel 9 erfüllt. Mit dem für „dunkelgrüne“ Fonds eingeschränkten Anlagespektrum würden Neuemissionen nur schwer das kritische Volumen erreichen. Außerdem können sich durch Neuinterpretation der Offenlegungsvorschriften Veränderungen der Investitionskriterien ergeben. Diese lassen sich gegenüber einigen wenigen institutionellen Anlegern leichter kommunizieren als gegenüber einem breiten Publikum.

TPP: Immerhin scheint es deutlicheren Zuwachs bei Artikel 8-Fonds zu geben. Worin liegt der Unterschied?

HD: Die Ansprüche an Artikel 8-Fonds sind wesentlich geringer. Das erleichtert es, Artikel 8-Fonds auf den Markt zu bringen.

TPP: Worin liegen die Unterschiede?

HD: Einen Beitrag zur Nachhaltigkeit müssen beide Fonds leisten. Der Emittent eines Artikel 8-Fonds definiert spezifische Nachhaltigkeitsindikatoren und listet sie im Infodokument und Jahresbericht auf. Der Initiator eines Artikel 9-Fonds muss sich darüber hinaus zur Umsetzung mindestens eines konkreten nachhaltigen Anlageziels verpflichten und nachweisen, dass er dieses Ziel auch erfüllt. Die Nachhaltigkeitsziele eines 9er-Fonds müssen dabei wesentlich ambitionierter sein. Außerdem dürfen die Investitionen keinem anderen Nachhaltigkeitsziel wesentlich schaden. Wer ein Umweltziel der Taxonomie verfolgt, muss insbesondere darauf achten, dass bei den Investitionen keines der fünf weiteren Taxonomie-Ziele wesentlich geschädigt wird. Die sechs Ziele gemäß Taxonomie lauten: Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, Schutz der Wasser- und Meeresressourcen, Kreislaufwirtschaft aufrechterhalten, Biodiversität ermöglichen und Umweltverschmutzung vermeiden oder wenigstens verringern.

TPP: Das klingt sehr abstrakt. Können Sie Beispiele nennen, die die Unterschiede verdeutlichen?

HD: Ja. Der Emittent eines Artikel 8-Fonds kann festlegen, dass 60 Prozent der Fondsgebäude selbst gewählte ESG-Kriterien erfüllen müssen, der eines Artikel 9-Fonds muss die Kriterien zu 100 Prozent erfüllen. Ein Fonds, der die Qualifikation nach Artikel 8 anstrebt, könnte festschreiben, dass er nur Gebäude kauft, die die Energieeffizienzlassen A und B erfüllen. Dagegen müsste ein Artikel 9-Fonds sich mindestens verpflichten, ausschließlich in A-Klasse-Gebäude zu investieren.

TPP: Es ist schon erstaunlich, wer für sich Nachhaltigkeit reklamiert – so beispielsweise der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) e.V. für seine Mitglieder. Der BDSV vertritt die Position: Ohne Rüstung keine Nachhaltigkeit und sieht seine Position durch die ESG-Kriterien gedeckt. Investmentfonds, die sich ethischen Zielen verschrieben haben, kaufen keine Wertpapiere von Rüstungsunternehmen. Kann ein Immobilienfonds, der an Rheinmetall vermietet, noch Artikel 8 oder 9 erfüllen?

HD: Das kommt auf die Fondsstrategie an. Nehmen wir an, dass Anlageziel lautet: Der Fonds investiert in Gebäude, um sie energieeffizienter zu machen. Dann ist die Branche des Mieters für einen Artikel 8-Fonds irrelevant. Anders kann es aussehen, wenn der Fonds das Artikel 9-Label bekommen möchte. Die Anlageziele eines solchen Fonds darf keinen signifikanten Schaden auf einem anderen Gebiet anrichten. Doch wodurch ein signifikanter Schaden entsteht, ist nicht exakt definiert. Ein Produktanbieter könnte allerdings von sich aus Verträge mit Rüstungsunternehmen ausschließen.

MS: Die Position des BDSV ist nachvollziehbar. Es geht darum, nicht auf eine Negativliste zu kommen. Gleiche Probleme haben mit der Atomkraft verbundene Unternehmen. Gesellschaften, die auf einer Negativliste stehen, sind als Investitionsziel ausgeschlossen.

TPP: Warum gibt es keine Negativlisten für ESG-Fonds?

MS: Weil sich der Gesetzgeber vor solchen Negativlisten als Anhang zu den Offenlegungsvorschriften gedrückt hat. Aber die Emittenten können für ihre Produkte Negativlisten erstellen. Auf jeden Fall tendieren die Anbieter dazu, kritische Themen durch die Formulierung ihrer Kriterien auszuschließen. Man arbeitet auf Fondsebene viel leichter mit einer Negativliste. Einige Immobilienpublikumsfonds haben solche Negativlisten, in denen sie bestimmte Mieter ausschließen, schon sehr früh aufgestellt, lange bevor über ESG gesprochen wurde.

TPP: Im Wertpapiersektor sind bereits viele Artikel 9-Fonds auf Artikel 8 zurückgestuft worden, um nicht weiter dem Vorwurf des Greenwashings ausgesetzt zu sein. Welche Mechanismen greifen bei Immobilienfonds gegen Greenwashing?

HD: Es gibt bereits mehrere Gremien, die sich mit Greenwashing beschäftigen. In der Praxis ist das Grünwaschen nur feststellbar, wenn sehr genau geprüft wird, ob die Investitionskriterien eingehalten wurden. Die Prüfung ist nicht einfach, weil außerhalb der Taxonomie nur wenige konkrete Regeln definiert sind.

TPP: Wie wird sich der Markt der 8er- und 9er-Fonds entwickeln?

MS: Es sind viele 8er-Fonds in Vorbereitung. Die Initiatoren stehen vor der Frage: Wie positioniere ich meinen Immobilienfonds im neuen Zinsumfeld – auch gegenüber nicht ESG-konformen Fonds? Potenzielle Investoren geben zu, dass sie ESG bei ihren Investitionen nicht mehr ausblenden können. Diese Kapitalsammelstellen müssen nach außen dokumentieren, dass sie ESG-konform investieren, etwa weil sie sich verpflichtet haben, 60 oder mehr Prozent ihrer Anlagegelder in ESG-Produkte zu stecken. Der Ansatz, „grün“ zu werden, kommt eindeutig aus der Finanzbranche. Das ist auch so gewollt, weil man die Bauunternehmer nicht mit ESG-Regeln greifen kann.

TPP: Auf den Punkt gebracht: Dass das Segment der Artikel 9-Fonds nicht schneller wächst, liegt nicht an fehlenden Investorengeldern, sondern an fehlenden Immobilien, die die Investitionskriterien erfüllen. Richtig?

MS: Ja, einen 9er-Fonds zu kreieren ist kompliziert. Vergessen wir nicht, dass mit den leichter umsetzbaren 8er-Fonds bereits sehr viel Positives getan werden kann. Zumal es gerade eine Reihe von Bestandsfonds gibt, die den Sprung vom nicht ESG-konformen 6er-Fonds zum 8er-Fonds geschafft haben. Wir handeln deshalb nach dem Motto: Last uns machen, was geht und bereiten weitere Artikel 8-Fonds vor, 9er hingegen nur da wo eine direkte Abstimmung mit den Investoren auch später noch möglich ist - also im institutionellen Umfeld.

TPP: Frau Dellemann, Herr Schneider, vielen Dank für das Interview.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von IntReal International Real Estate
Erstveröffentlichung: The Property Post, März 2023

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Reiner Reichel, Jahrgang 1956, war viele Jahre Immobilienredaktuer des Handelsblatts. Journalismus betreibt er, wie er Fußball spielt: hart aber fair.

Hannah Dellemann 2_copyright Intreal.jpgHannah Dellemann (32) ist seit Februar 2021 die ESG-Beauftragte der INTREAL. Die Absolventin der Bucerius Law School, Hochschule für Rechtswissenschaft, engagierte sich bereits während ihres Studiums im Bildungssektor, gab zeitweise Unterricht in den Fächern Mathematik, Englisch und Umweltkunde in einer Hamburger Stadtteilschule. Geblieben ist die Unterstützung für Schülerinnen und Schüler beim Anfertigen von Bewerbungsunterlagen. Als Ausgleich zum stressigen Alltag praktiziert sie Yoga.

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Michael Schneider (62) ist der Mann, der die IntReal International Real Estate Kapitalverwaltungsgesellschaft groß gemacht hat. Gegründet wurde die Service KVG im Jahr 2009, im Oktober 2010 wurde Schneider nach einem Studium der Wirtschaftswissenschaften in Trier und mehreren Stationen bei anderen Fondsgesellschaften Geschäftsführer der INTREAL. Heute betreut die Gesellschaft fast 300 Fonds mit einem Anlagevolumen von mehr als 60 Milliarden Euro. Der berufliche Erfolg verdrängte sportliche Erfolge als Tennisspieler. Der Schläger liegt inzwischen auf dem Dachboden und im Golfclub ist Schneider zum passiven Mitglied geworden. Die Pandemie, der Überfall Russlands auf die Ukraine und Mahnungen von Kollegin Hannah Dellemann, den eigenen CO2-Abdruck nicht zu groß werden zu lassen, haben Schneiders Reiselust inzwischen auf nahe Ziele in Europa kanalisiert.

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