PwC-Expertin Roland über Versäumnisse der Eigentümer und Betreiber sowie Wege aus der Krise
Die im Januar veröffentlichten Maklerberichte zum Einzelhandelsimmobiliensegment hatten einen überwiegend positiven Tenor. Doch inzwischen ist der Optimismus von damals offensichtlich verflogen. Der vor wenigen Tagen veröffentlichte jüngste Immobilienklimaindex der Deutschen Hypo weist in diesem Segment nicht nur den größten Punktverlust, sondern auch den mit Abstand schlechtesten Wert auf. Anlass für „The Property Post“ (TPP) bei Rita Marie Roland, Partnerin im Bereich Real Estate der Beratungsgesellschaft PwC Deutschland, nachzufragen, wie es um diese Asset-Klasse steht.
The Property Post: Woher kommt der plötzliche Stimmungsumschwung der Akteure auf dem Handelsimmobilienmarkt?
Rita Marie Roland: Gehen wir ein paar Monate zurück. Im Sommer war der gesamte Immobilienmarkt aufgrund der geopolitischen Ereignisse bereits von großer Unsicherheit geprägt, zur Expo Real gab es aber die Hoffnung, dass sich der Markt schnell erholen wird – viele Transaktionen, die zu Beginn des Jahres angestoßen wurden, wurden jetzt erst geclosed, sodass noch Aktivität zu spüren war. Noch Ende des Jahres war die Hoffnung, dass spätestens Ende des ersten Quartals 2023, spätestens im zweiten die Transaktions-Aktivitäten wieder anziehen würden. Auf der Mipim machte sich jedoch Ernüchterung breit: Die Preisanpassung aufgrund gestiegener Zinsen hat noch nicht stattgefunden und der Markt befindet sich in einem Vakuum. Aktuell rechnet niemand mehr mit einer schnellen Rückkehr zum Transaktionsniveau früherer Jahre.
TPP: Aber im Einzelhandelssektor ist das Klima besonders schlecht. Überrascht Sie das?
RMR: Ehrlich gesagt: nein! Wir haben einen strukturellen Wandel im Einzelhandelsbereich. Der Onlinehandel hat dem Einzelhandel schon vor der Corona-Krise zu schaffen gemacht, Corona ihm aber einen weiteren Schub gegeben. Die Einzelhändler, die den Übergang bzw. das Zusammenspiel von stationärem Handel und Onlinehandel verpassen, sind schnell in Existenznot. Die Liste der – teils großen und namhaften – Einzelhandelsketten, die von der Insolvenz bedroht sind oder sogar Insolvenz anmelden müssen ist in den letzten Jahren sehr lang gewesen. Auch jetzt kommen fast täglich Meldungen von Einzelhändlern in Schieflage. Mit den Insolvenzen verschwinden auch die Mieter in den 1A-Einzelhandelslagen und Shopping-Centern, die bis dato stetige Miet-Cashflows lieferten. Das Sterben der Ketten bedeutet, dass weniger Einzelhandelsflächen benötigt werden. Noch ist nicht geklärt, was aus den Flächen wird. Der lokale Einzelhandel wird jedenfalls nicht vollständig absorbieren können, was die Ketten an Leerstand hinterlassen.
TPP: Macht sich das von Ihnen erwartete Flächenüberangebot bereits auf dem Mietmarkt bemerkbar?
RMR: Es gibt zunächst einen positiven strukturellen Effekt, der alle Assetklassen betrifft: Liegt ein Indexmietvertrag vor, was im gewerblichen Immobilienbereich üblich ist, sind die Mieten im vergangenen Jahr aufgrund der Indexierung deutlich angestiegen. Die inflationsbedingt steigenden Mieten haben einen weiteren positiven Nebeneffekt: Die Gebäude wurden aufgrund der steigenden oder zumindest stabilen Mieten zumeist zum Jahresende nicht (wesentlich) abgewertet. Die Bewerter sehen keine Indikationen für Wertanpassungen und es gibt keine Transaktionsevidenz. Klammert man jedoch den Mietsteigerungseffekt durch Indexierung aus, ist das Mietniveau im Einzelhandelsbereich in den letzten Jahren schon deutlich gesunken.
TPP: Indexmieten sind schön, wenn der Mieter sie zahlen kann. Das war in früheren Krisen, etwa im Bürosegment, nicht immer so. Wiederholt sich dieses Szenario nun im Einzelhandelssektor?
RMR: Ich denke nicht, dass die Indexmieten für Leerstand verantwortlich sein werden, denn ich gehe davon aus, dass ein Großteil der verbleibenden Mieter die Indexmieten zahlen können.
TPP: Wie werden sich die Neuvertragsmieten im Einzelhandelsbereich bis zum Jahresende entwickeln?
RMR: Iich gehe davon aus, dass sie stagnieren werden.
TPP: Hilft das den in der Pandemie in die Krise geratenen Shoppingcentern? Ist für diese die Krise zu Ende?
RMR: Nein – das Ende der Krise bedeutet es nicht! Die Situation für kleinere und nicht ganz so professionelle Betreiber, insbesondere für die, die vor etwa zehn Jahren in diesem Markt eingestiegen sind, ohne das nötige Know-how zu haben, ist es schwierig zu überleben. In unserer kürzlich veröffentlichten Studie stellen wir von PwC fest, dass ein Drittel aller Shoppingcenter nicht mehr zukunftsfähig ist.
TPP: Was sind die Gründe dafür?
RMR: Die Betreiber haben nicht oder zu spät gemerkt, dass sie sich wegen des durch die Corona-Krise noch einmal beschleunigten Erfolgs der Onlinehändler neu aufstellen müssen. Die Besucher der Center erwarten heute neben der Einkaufsmöglichkeit ein umfangreiches Freizeit- und Gastronomieangebot.
TPP: Betrifft die Misere vor allem die Center in kleinen und mittelgroßen Städten?
RME: Durchaus nicht. Große Center in Großstädten sind ebenso betroffen. Ein Merkmal problematischer Center ist, dass sich die Läden über mehrere Etagen erstrecken. Doch der Kunde geht heute oft nicht mehr freiwillig in den zweiten und dritten Stock, um einzukaufen. Die Betreiber müssen sich Konzepte überlegen, die Besucher auch in die oberen Stockwerke zu locken.
TPP: In Ihrer Studie empfehlen Sie, Flächen in kriselnden Centern für andere Nutzungsarten herzurichten. Welche Mieter können Sie sich vorstellen?
RMR: Die Umwandlung eines Shoppingcenters in ein von unterschiedlichen Mietern genutztes Objekt sollte nur dann erfolgen, wenn Einzelhandel im aktuellen Umfang darin wirklich nicht mehr funktioniert. Denn Umbauten sind kompliziert und deshalb teuer. Eine Variante ist, auf der unteren Ebene weiterhin Einzelhandel anzusiedeln und den etwa durch Arztpraxen oder Büros in den darüber liegenden Stockwerken zu ergänzen. Diese Mieter könnten dann auch höhere Besucherfrequenzen für das Center generieren. Auch die Umwandlung in Wohnflächen ist möglich, aber besonders teuer. Bei allem, was man tut, muss man Wirtschaftlichkeit und die baurechtlichen Möglichkeiten im Auge behalten. Denn ein Umbau tangiert unter Umständen Bebauungspläne und Bauvorschriften.
TPP: Diese Überlegungen gleichen denen, die gegenwärtig für die demnächst leerstehenden Galeria-Kaufhäuser durchgespielt werden. Konkurrieren Shoppingcenter und Warenhäuser um neue Mieter?
RMR: Langfristig ja - wobei in der Regel Kaufhäuser oft gegenüber Einkaufszentren den Vorteil der besseren Lagen haben. Aber auch für diese Objekte ist eine Umnutzung schwierig und sehr kostenaufwändig.
TPP: Ich sehe landauf, landab in Shoppingcentern und Fußgängerzonen die gleichen Kettenläden, deren Waren ich auch im Internet ganz leicht finden kann. Sind Highstreet-Vermieter und Betreiber von Shoppingcentern angesichts des langweiligen Angebots selbst schuld am Desinteresse der Kunden?
RMR: Die Diskussion über den Mietermix wird bereits geführt. Aber lokale, inhabergeführte Einzelhändler waren und sind nicht in der Lage, gleichhohe Mieten wie die Ketten zu zahlen. Deshalb waren und sind die Ketten als Mieter gesetzt. Wo die Ketten ausfallen, wird versucht Leerstand durch Vermietung an Pop-up-Stores zu vermeiden. Die werden meist von kleinen, lokalen und innovativen Händlern eröffnet. Dadurch wird das Angebot vielfältiger. Aber klar ist auch, dass Pop-up-Stores nicht so hohen Mieten wie die Ketten zahlen können und dass die Mietverträge nur kurzzeitige Cashflows erzeugen.
TPP: Wie geht es auf dem Markt für Einzelhandelsimmobilien in diesem Jahr weiter?
RMR: In diesem Jahr werden wir weitere Insolvenzen auf der Mieterseite sehen. Das bedingt auch, dass einige Betreiber und Eigentümer in Schwierigkeiten geraten werden, weil ihnen die Nachvermietung nicht gelingt.
TPP: Das klingt düster.
RMR: Das muss es aber nicht werden. Denn es gibt unter den Shoppingcenter-Betreibern auch die professionellen Player, deren Vermietungsabteilungen über große Netzwerke verfügen, die in der Lage sind, leerstehende Flächen schnell neu zu vermieten. Und viel wichtiger: Viele Betreiber sind sehr gut aufgestellt und haben zukunftsfähige Konzepte und Ideen. Wie eingangs schon erwähnt, geht es darum, zukunftsfähig zu werden und nicht an den alten überholten Konzepten und Mieterstrukturen festzuhalten. Hier gibt es sehr viele gute Beispiele, dass Shoppingcenter heutzutage im gegebenen Marktumfeld auch sehr gut und wirtschaftlich funktionieren können.
TPP: Und was machen die nicht zukunftsfähigen Shoppingcenter?
RMR: Wenn Mieteinnahmen in einer Höhe ausfallen, dass Bankkredite nicht mehr bedient werden können und eine Neupositionierung des Objektes durch den Eigentümer nicht möglich oder bezahlbar ist, werden diese Eigentümer verkaufen oder zusätzliche Maßnahmen finanzieren müssen. Es gibt bereits Investoren, die auf solche Objekte lauern. Wie schnell und häufig es zu dieser Situation kommen wird, kann ich nicht vorhersagen. Vereinzelt werden wir dieses Jahr mit Sicherheit das ein oder andere Shoppingcenter in Schieflage geraten sehen.
TPP: Frau Roland, vielen Dank für das Interview.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von PwC Deutschland
Erstveröffentlichung: The Property Post, Mai 2023