Analystin Sonja Knorr erläutert, welche Folgen die Corona-Pandemie für die Anleger Offener Immobilienfonds hat
Wenn Sonja Knorr, Leiterin des Alternative-Investments-Team der Ratingagentur Scope, sich zu Offenen Immobilienfonds äußert, bedeutet das häufig Mehrarbeit für die Marketingabteilungen der Fondsanbieter. Mal gilt es, Ratinghochstufungen zu vermarkten, mal muss der Vertrieb auf kritische Fragen von Anlegern vorbereitet werden. „The Property Post“ (TPP) fragte Sonja Knorr, ob nun eine Fondskrise wie nach der Lehman-Pleite 2008 bevorsteht.
TPP: Frau Knorr, welche Immobilienfonds sind besonders stark von der Corona-Pandemie betroffen?
Sonja Knorr: Vor allem Fonds, die große Hotel-Bestände haben. Die großen Publikumsfonds haben typischerweise in Großstadthotels investiert, die von Geschäftsreisenden gebucht werden. Die Unternehmen haben in der Corona-Krise ihre Reisekostenbudgets radikal zusammengestrichen, so dass bei diesen Hotels die Umsatzeinbrüche besonders hoch sind. Besonders schwierig ist die Lage für Eigentümer von US-Hotels. Denn die Pachtzahlungen sind überwiegend an den Umsatz gekoppelt. In Deutschland ist es umgekehrt. Der fixe Anteil an den Pachtzahlungen überwiegt.
TPP: Der zweite Sektor, der den Fonds Einnahmeeinbrüche beschert, dürfte der Einzelhandel sein, oder?
SK: Ja, aber man muss den Einzelhandel differenziert betrachten. Dem Lebensmitteleinzelhandel geht es sehr gut, die Mieten fließen uneingeschränkt. Einkaufszentren mit hohen Anteilen an Textilgeschäften und anderen Läden außerhalb des Lebensmittelsektors leiden derzeit hingegen deutlich. Denn die Corona-Pandemie hat den Trend zum Online-Kauf noch einmal verstärkt.
TPP: Gleich mehrere Fonds verwalten Portfolios, die zwischen 35 und 50 Prozent aus Einzelhandels- und Hotelimmobilien bestehen. Was soll der Manager eines solchen Fonds jetzt tun?
SK: Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass sich die Hotelbranche wieder erholen wird. Ob in vollem Umfang, lässt sich noch nicht sagen. In einer solchen Phase ist es vielfach hilfreich, die Pacht zu stunden. Dies geschieht häufig, indem im Gegenzug der Pachtvertrag verlängert wird. Es kann auch sinnvoll sein, Investitionszuschüsse zu gewähren, um die Zeit der niedrigen Auslastung zur Modernisierung des Objektes zu nutzen. Selbstverständlich müssen die Fondsmanager aufpassen, dass sie nicht gutes Geld schlechtem hinterherwerfen.
TPP: Und wie sollen die Fondsmanager mit Einzelhändlern umgehen?
SK: Die Besucherfrequenzen in den Shoppingcentern steigen wieder. Das liegt daran, dass die Leute weniger verreisen und gehen dafür häufiger bummeln. Dennoch werden nicht alle Shoppingcenter überleben. Schließlich wird der Onlinehandel nach dem Ende der Pandemie nicht zugunsten des stationären Handels errungene Marktanteile wieder abgeben. Der boomende E-Commerce hat allerdings die Centerbetreiber auf neue Ideen gebracht. Eine ist es, einen Teil der Flächen für innerstädtische Warenverteilzentren umzurüsten. Solche Logistikflächen sind nötig, damit der boomenden Onlinehandel auch künftig funktioniert.
TPP: Die Einnahmen aus der Einzelhandels- und Hotelvermietung sind bereits gesunken. Der zweite große Vermögensblock der Fonds mit Anteilen von etwa 60 Prozent sind Büros. Viele Menschen werden auch zu Hause arbeiten wollen, wenn Covid-19 besiegt ist. Laut einer Studie sinkt der Nutzungsgrad von Büroräumen bei zwei Tagen Homeoffice auf 40 Prozent. Die Unternehmen werden ihre Büroflächen verringern. Wird der dadurch entstehende Mietausfall unterschätzt?
SK: Wir sehen kurzfristig keinen dramatischen Rückgang der Büromieteinnahmen Offener Immobilienfonds. Das hat mehrere Gründe. Aktuell kehren viele Arbeitnehmer zumindest zeitweise an ihre Büroarbeitsplätze zurück. Wegen der Abstandsregeln brauchen die Firmen für die Hälfte der Belegschaft die volle Fläche, so dass sie die Flächen nicht reduzieren können. Auch wenn ein Unternehmen später Stellen abbaut und weniger Fläche nutzt, muss es trotzdem bis zum Auslaufen des Mietvertrages die volle Miete zahlen. Die Restlaufzeiten der Mietverträge für Büroflächen der Offenen Immobilienfonds betragen im Schnitt mehr als fünf Jahre. Diese langen Restlaufzeiten geben den Fonds die Chance, die Zeit der Konjunkturdelle zu überbrücken. Wenn trotzdem aufgrund eines geringeren Platzbedarfs Leerstand und damit Mietausfall droht, dann in den sogenannten B-Lagen. Die Bürogebäude der Offenen Immobilienfonds stehen aber überwiegend in erstklassigen Lagen.
TPP: Warum soll der Leerstand die erstklassigen Standorte verschonen?
SK: Ich gehe davon aus, dass sich die Mieten in A- und B-Lagen angleichen. Je geringer der Abstand zwischen den Quadratmetermieten wird, desto eher wechseln Mieter aus den Randlagen in die höherwertigen Innenstadtgebäude. Einen solchen Effekt gab es auch Anfang des Jahrtausends nach dem Platzen der Dotcom-Blase. Damals zogen Unternehmen aus Eschborn und Frankfurt-Niederrad zurück ins Frankfurter Bankenviertel.
TPP: Kann es sein, dass Sie in Ihrem Szenario die Gefahr von Mietausfällen durch Insolvenzen ausblenden?
SK: Keineswegs. Die Offenen Immobilienfonds sind vor Insolvenzen selbstverständlich nicht gefeit. Allerdings haben sie aufgrund ihrer Diversifikation einen Vorteil. Die den Markt dominierenden Fonds mit teils zweistelligen Milliardenvermögen verfügen aufgrund einer Vielzahl von Objekten über ein breit gestreutes Mieterportfolio. Außerdem überwiegen Objekte mit einer Vielzahl von Mietern. Das ermöglicht Flexibilität in der Vermietung und erhöht die Chancen auf zügige und – im Vergleich zu Ein-Mieter-Objekten – kostengünstigere Nachvermietung.
TPP: Ihre Einschätzungen decken sich bis hierher mit dem Eindruck, den die Anbieter Offener Immobilienfonds seit Beginn der Corona-Pandemie verbreiten: Alles nicht so schlimm. Wirklich nicht?
SK: Tatsächlich ist eine Immobilienfondskrise, wie sie deutsche Anleger nach der Lehman-Pleite erlebt haben, aktuell nicht in Sicht. Zur Erinnerung: Damals wurden 18 Fonds mit einem Anlagevolumen von rund 26 Milliarden Euro geschlossen. Anleger verloren in Summe mehrere Hundert Millionen Euro. In der aktuellen Situation gehen wir davon aus, dass die Renditen der Fonds von im Schnitt 3,1 Prozent im Jahr 2019 in diesem Jahr auf etwa 1,5 bis zwei Prozent zurückgehen werden. Im nächsten Jahr erwarte ich nochmals niedrigere Renditen. Das liegt daran, dass sich die zu erwartenden Abwertungen erst mit dem für die Fonds typischen Nachlauf von sechs bis zwölf Monaten in den Anteilspreisen zeigen werden. Und noch einmal: Die langen Restlaufzeiten der Mietverträge rechtfertigen keine kurzfristigen harten Abwertungen, solange die Mieter überleben.
TPP: Doch welche Anleger müssen letztendlich Negativrenditen befürchten, also damit rechnen, Geld zu verlieren?
SK: Die Gefahr besteht besonders für Anleger, die in kleinere Fonds mit höheren Klumpenrisiken und einem vergleichsweise hohen Anteil kritischer Branchen investiert haben. Hier muss jedoch sehr stark auf die einzelnen Objekte geschaut werden. In den vergangenen drei Jahren wurden neun Fonds neu aufgelegt, die inzwischen ein Vermögen von fünf Milliarden Euro erreicht haben. Diese Fonds waren gezwungen. ihre Gebäude in der Hochpreisphase der letzten Jahre zu erwerben. Sie können Abwertungen nicht durch Bewertungsreserven, wie sie die Dickschiffe der Branche über viele Jahre gebildet haben, kompensieren. Zudem verteilen sich ihre Mietausfallrisiken auf wesentlich weniger Objekte und Mietverträge als bei den Großen der Branche. Andererseits haben diese Fonds aufgrund ihrer deutlichen geringeren Liquiditätsquoten einen Renditevorteil. Für Anleger in Wohnimmobilienfonds besteht derzeit keine Gefahr, in negative Renditen zu laufen.
TPP: Frau Knorr, wir danken Ihnen für das Interview.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Scope Analysis
Erstveröffentlichung: The Property Post, September 2020