Die Teuerungsrate steigt, die Zinsen nicht. Finanzierungsexperte Francesco Fedele erklärt, warum das so ist.
Als The Property Post-Redakteur Reiner Reichel vor gut zwei Wochen zum zweiten Mal mit Francesco Fedele, Geschäftsführer und Mehrheitseigner von BF.direkt, telefonierte, stellte er fest, dass dessen vor einem Jahr abgegebenen Prognosen zum Immobilienkreditmarkt eingetroffen sind. Im Laufe dieses Gesprächs stellte sich allerdings heraus, dass die Gesprächspartner unterschiedliche Erwartungen zur Inflations- und Zinsentwicklung haben. Nun sind sie gespannt, wessen Erwartungen sich erfüllt haben werden, wenn sie in zwölf Monaten wieder miteinander sprechen.
The Property Post (TPP): Herr Fedele, als wir vor einem Jahr miteinander sprachen verunsicherte die Covid-19-Pandemie die Immobilienbranche. Sie prognostizierten, Kredite würden nicht knapp, aber die klassischen Immobilienfinanzierer würden weniger Risiken eingehen. Mit dem ersten Teil ihrer Prognose behielten sie recht. Aber: Sind die Banken tatsächlich vorsichtiger geworden?
Francesco Fedele: Allgemein betrachtet sind die Kreditgeber tatsächlich vorsichtiger geworden. Doch wir müssen nach Asset-Klassen differenzieren. Hotels werden auch heute noch mit großer Vorsicht finanziert, ebenso Einzelhandelsimmobilien, sofern es sich nicht um Lebensmittelmärkte handelt. Lebensmittelmärkte haben von der Pandemie sogar profitiert. Für Büroinvestoren ist die Situation schon besser geworden. Bei der Finanzierung von Wohnungen war seitens der Geldgeber keine besondere Vorsicht geboten.
TPP: Es gibt verschiedene Stellschrauben, um das Ausfallrisiko zu kompensieren. Welche wurde gewählt?
FF: Die Investoren mussten mehr Eigenkapital mitbringen. Während der Pandemie stiegen die Eigenkapitalquoten, was man auch an unserem Quartalsbarometer zu Finanzierungen ablesen kann. Darüber hinaus konnten die Banken leicht höhere Margen durchsetzen.
TPP: Heute haben Kreditgeber aus meiner Sicht ein anderes Problem. Wenn sie Geld für ein bis zwei Prozent verleihen, ist das bei vier Prozent Inflation kein Geschäft.
FF: Das ist auf den ersten Blick richtig. Aber, ich gebe zu bedenken: Das Geld, das sich die Bank zur Refinanzierung am Kapitalmarkt besorgen, bekommen sie zu einem Zinssatz von nahe null. Sparkassen und andere Institute, die sich wie die Sparkassen besonders stark über Spareinlagen refinanzieren, zahlen ebenfalls kaum Zinsen für das Geld, das sie weiterverleihen. Inflation spielt also keine Rolle für die Zinsentwicklung
TPP: Das mag im Moment so sein. Wie geht es weiter?
FF: Es gibt dazu verschiedene Theorien. Für mich ist die hohe Inflationsrate Folge eines Nachholeffektes, ausgelöst unter anderem durch noch nicht wieder intakte Lieferketten. Der Materialmangel treibt die Preise. Dass die Lieferketten nachhaltig gestört sind, glaube ich nicht. Ich sehe mich in der Meinung, dass die Inflation ein temporäres Problem ist, dass es auszusitzen gilt, durch Aussagen von Bundesbank und Europäischer Zentralbank bestätigt. An den Refinanzierungsätzen am Kapitalmarkt wird sich deshalb nichts ändern. Es gibt einen weiteren Grund, der mich darin bestärkt, dass die EZB die Zinsen nicht erhöht und die Zinsen am Kapitalmarkt nicht steigen. Jede Zinserhöhung würde die Refinanzierung der hoch verschuldeten europäischen Staaten verteuern – und dies in einer Situation, in der die europäischen Staaten wegen der Pandemie zusätzlichen Kreditbedarf haben. Würde die EZB die Zinsen nennenswert erhöhen, könnte dies viele Staaten in den Ruin treiben. Die EZB hat also nur wenig Spielraum für Zinserhöhungen.
TPP: Ein weiterer Inflationstreiber sind die gestiegenen Energiekosten. Ich gehe davon aus, dass die Bekämpfung der Klimakrise die Energiepreise nachhaltig hochtreiben werden. Steigende Energiepreise werden nicht nur die privaten Haushalte treffen, sondern alle Hersteller energieintensiv produzierter Waren und angebotener Dienstleistungen. Deshalb rechne ich mit dauerhaft höheren Preissteigerungsraten als in den vergangenen Jahren.
FF: Da halte ich dagegen. Wenn Sie in die Bilanzen der energieintensiv produzierenden Industrieunternehmen schauen, dann machen die sehr, sehr hohe Gewinne. Wenn die gestiegenen Energiekosten eins zu eins an die Verbraucher weitergegeben werden, dann haben Sie Recht. Ich erwarte aber, dass die nach wie vor gegebene Konkurrenz der Unternehmen dazu führen wird, dass die zusätzlichen Energiekosten nicht in vollem Umfang weitergereicht werden können, so dass die Gewinne geringer werden und der Preisauftrieb gedämpft wird. Und ich bleibe dabei: Selbst wenn die Inflation steigt, werden die Zinsen nicht steigen, auch wenn die EZB offiziell den Auftrag hat, sie nicht über zwei Prozent steigen zu lassen. Das große Killerargument ist die Staatsfinanzierung, die die EZB zwar nicht betreiben soll, es aber mit ihrer Niedrigzinspolitik indirekt doch tut. Wollte sie die Zinsen nennenswert erhöhen, wäre zuvor ein Schuldenschnitt für hochverschuldete Länder wie Italien und Spanien nötig. Eine Alternative: Die EZB definiert als neues Inflationsziel drei oder 3,5 Prozent.
TPP: Dafür wird dann die mühsam über Jahre gesparten Altersvorsorge vieler Menschen durch permanente Entwertung geopfert.
FF: Tatsächlich nimmt der Druck, den die Bevölkerung wegen der Entwertung der Vermögen ausübt, enorm zu. Eine Lösung könnte sein, dass die EZB eine Volksanleihe mit einem Kupon von – sagen wir vier Prozent – ausgibt. Die maximalen Zeichnungsbeträge dieser für Kleinsparer reservierten Anleihe könnten sich in einer Spanne zwischen 10.000 und 20.000 Euro bewegen. Damit wäre die Bevölkerung erst einmal ruhiggestellt. Solche Überlegungen werden bereits geprüft.
TPP: Über die Höhe der Inflationsrate und die Dauer von Geldentwertungsraten jenseits des langjährigen Durchschnitts mag es unterschiedliche Erwartungen geben. Aber, verblüfft es Sie nicht, dass es Vonovia schafft, gerade in einer Phase steigender Inflationsraten eine Null-Kupon-Anleihe zu platzieren?
FF: Dass Vonovia dies gelungen ist, stützt eigentlich meine These, dass sich Zinsen und Inflation unabhängig voneinander entwickeln. Für eine Kapitalsammelstelle, die ein Entgelt von 0,5 Prozent für verwahrtes Kapital zahlen muss, ist es sinnvoll, einem Unternehmen, das Sachwerte verwaltet und über ein sehr gutes Bonitätsrating verfügt, zinslos Kapital zur Verfügung zu stellen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Anleihe vielfach überzeichnet war. Wenn die EZB die Zinsen erhöht, wird es kein Verwahrgeld mehr geben und die Ausgabe einer solchen Null-Kupon-Anleihe nicht mehr möglich sein.
TPP: Müssten nun nicht weitere Null-Kupon-Anleihen anderer Immobilienunternehmen folgen?
FF: Ja, bei vergleichbarer Bonität. Immobiliengesellschaften mit etwas schwächerer Bonität könnten sich mit Kupons nahe Null finanzieren. Insofern gehe ich davon aus, dass noch einige Anleihemissionen auf den Markt kommen.
TPP: So außergewöhnlich die Ausgabe einer Null-Kupon-Anleihe durch ein Unternehmen ist, so auffällig sind die vielen „grünen“ Anleihen, die aktuell emittiert werden. Woran liegt das?
FF: Das liegt daran, dass zurzeit in der Immobilienwirtschaft von morgens bis abends über ESG geredet wird, also die Vorschriften über umweltfreundliches, sozialverträgliches Investieren und ethische Unternehmensführung. Vor allem umweltfreundliches Handeln steht im Vordergrund. Institutionelle Anleger haben Vorteile, wenn sie in „grüne“ Produkte investieren, auch Refinanzierungsvorteile. Es kommt hinzu, dass viele Emittenten sich nun als first mover am Markt etablieren wollen. Daher rührt das hohe Emissionsvolumen für „grüne“ Anleihen. Ob die alle so „grün“ sind, wie sie behaupten, wage ich zu bezweifeln. Ich habe den Eindruck, dass viele Angebote „grün“ gewaschen werden. Es gibt allerdings Anzeichen, dass die Aufsicht nun genauer hinschaut, ob das was in der Verpackung steckt, auch wirklich „grün“ ist.
TPP: Wer verfolgt, für wie viele unterschiedliche Produkte zurzeit getrommelt wird, könnte den Eindruck bekommen, dass das Angebot an Immobilienfinanzierungsinstrumenten zurzeit besonders vielfältig ist. Ist das so?
FF: Nein, nicht unbedingt. Die Branche geht weiterhin von steigenden Immobilienpreisen aus, wenn man von Ausnahmen wie Hotels absieht. Unter diesen Umständen fällt es nicht schwer, Geld für Immobilien über Anleihen, Wandelanleihen, Mezzanine-Finanzierungen oder Fonds für diese Instrumente einzusammeln, wenn eine einigermaßen risikoadäquate Verzinsung geboten wird. Denn es herrscht nach wie vor ein riesiger Anlagedruck. Den versuchen die Emittenten über die Vielfalt ihrer Angebote in voller Breite zu nutzen.
TPP: Kommen wir noch auf ein klassisches Finanzierungsinstrument, den Hypothekenkredit, zu sprechen. Der Verband Deutscher Pfandbriefbanken (vdp) kritisiert die von der Bundeanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vorgeschlagene Änderung der Beleihungswertermittlungsverordnung (BelWertV). Sie führe dazu, dass Beleihungswert und Marktwert zukünftig noch weiter auseinanderklaffen. Haben Sie Verständnis für die Kritik?
FF: Ich verstehe die Hypothekenbanken vollkommen. Die hohe Anlagesicherheit ist der große Vorteil des deutschen Pfandbriefes. Insofern ist ein Puffer zwischen Beleihungswert und Verkehrswert gerechtfertigt. Aber, wenn die Berechnungsmethode des Beleihungswertes jenseits von Gut und Böse ist, machen die Banken kein Neugeschäft. Wenn die Differenz zwischen Verkehrswert und Beleihungswert bis zu 50 Prozent beträgt, dann zeigt mir das, dass mit der Berechnungsmethode etwas nicht in Ordnung ist.
TPP: Die Statistik über umlaufende Pfandbriefe zeigt, dass Pfandbriefe schon vor der Diskussion über die BelWertV an Bedeutung verloren haben. Was ist die Ursache?
FF: Zur Erklärung können wir auf eine zuvor angesprochene Finanzierung zurückkommen. Wenn sich Vonovia nicht in einem durch billiges EZB-Geld getriebenen Markt finanzieren könnte, wäre sie eine nahezu hundertprozentige Abnehmerin von Krediten von Pfandbriefbanken. Wenn sie sich aber zu null Prozent am Kapitalmarkt finanzieren kann, braucht sie nur noch in Einzelfällen Kredite von Pfandbriefbanken. Ich sehe dennoch nicht, dass der Kredit von einer Pfandbriefbank und damit der Pfandbrief ein Produkt von gestern ist. Fremdkapitalfinanzierungen über den Kapitalmarkt gab es in dieser Form vor 15 Jahren noch nicht. Deshalb hat sich die Relation verändert. Ein weiteres Instrument, der Kreditfonds, hat dem Hypothekenkredit Marktanteile abgenommen. Einen Markt für Kreditfonds gab es vor fünf Jahren noch nicht. Allein mit unseren Kreditfonds haben wir 600 Millionen Euro eingesammelt. Dieses Volumen fehlt in Bankenbilanzen.
TPP: Das klingt, als ob Pfandbriefbank-Kredite weitere Marktanteile verlieren werden.
FF: Wir dürfen nicht vergessen, dass viele mittelständische Unternehmen weiter auf Hypothekenkredite angewiesen sind, weil sie sich mangels Bekanntheit und Rating nicht oder nur zu unattraktiven Konditionen am Kapitalmarkt finanzieren können. Zudem kann sich die Situation auch wieder zum Vorteil der Pfandbriefbanken drehen. Wenn die Zinsen am Kapitalmarkt steigen, wird die Finanzierung über Anleihen deutlich abnehmen und die Nachfrage nach Hypothekenkrediten nach oben gehen. Wenn die Bewertungsmethoden dann noch von vorgestern sind, dann werden die Pfandbriefbanken die Nachfrage nicht stillen können.
TPP: Und nun werfen Sie bitte wieder einen Blick in die Kristallkugel. Wie wird sich der Finanzierungsmarkt in den nächsten zwölf Monaten verändern?
FF: Ich sehe leicht steigende Zinsen und einen intakten, weil ausgeglichenen Finanzierungsmarkt.
TPP: Herr Fedele, vielen Dank für das Interview.
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Erstveröffentlichung: The Property Post, November 2021