Das Verbot pauschaler Mietkürzungen provoziert komplizierte Rechtsstreitigkeiten
The Property Post: Herr Bottermann, das aktuelle Urteil des Bundesgerichtshofs zu Gewerbemietzahlungen während eines Lockdowns hat eine Vorgeschichte, die vor zwei Jahren begann. Bitte rekapitulieren Sie kurz, wie es zur aktuellen Situation kam.
Uwe Bottermann: Gerne. Ende März 2020 trat das ‚Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht‘, in Kraft. Die die Immobilienwirtschaft betreffende Passage im Gesetz untersagte Vermietern, ihren Mietern zu kündigen, wenn diese für die Monaten April bis Juni 2020 keine Miete zahlten. Die Mieter wurden verpflichtet, die Mieten bis Ende Juni dieses Jahres zurückzuzahlen. Doch mit dem Zahlungsaufschub waren viele Mieter, die im Lockdown ihre Geschäfte schließen mussten, nicht einverstanden. Sie verweigerten Nachzahlungen. Immer häufiger landeten diese Mietstreitigkeiten vor Gericht.
TPP: Wie urteilten die Gerichte?
UB: Unterschiedlich. Denn es gab unterschiedliche Begründungen, mit denen die Mieter Mietminderungen rechtfertigten. Dies änderte sich erst als Ende des Jahres 2020 Paragraf 7 in Artikel 240 im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch in Kraft trat. Darin wird die Vermutung geäußert, dass Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid 19 zum Wegfall der Geschäftsgrundlage zwischen Mietern und Vermietern führen. Eine solche Situation ist im Paragraphen 313 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs beschrieben. Diesem Ansatz ist der Bundesgerichtshof wie die Vorinstanz, das Oberlandesgericht Dresden, gefolgt.
TPP: Wenn der BGH diesem Grundsatz gefolgt ist, was ist dann das Besondere an diesem Urteil?
UB: Das OLG Dresden hatte entschieden, dass der Mieter berechtigt war, die Miete für den Zeitraum der Ladenschließung um die Hälfte zu kürzen. Der Vermieter klagte vor dem BGH auf volle Mietzahlung. Die Richter in Karlsruhe verwarfen die pauschale 50:50 Regelung des OLG. Nun muss das OLG Dresden neu entscheiden, ob eine Mietminderung gerechtfertigt war und wenn sie es war, in welcher Höhe.
TPP: Was bedeutet das in der Praxis?
UB: Der Mieter muss konkret nachweisen, welche finanziellen Nachteile er durch die Schließung seines Ladens hatte und welche Maßnahmen er getroffen hat, um die Umsatzausfälle zu verringern. So müssen staatlichen Überbrückungsleistungen und gegebenenfalls Leistungen einer Betriebsunterbrechungsversicherung gegengerechnet werden. Dem gegenüberzustellen sind auch die Interessen des Vermieters, wobei der Bundesgerichtshof dazu keine konkreten Hinweise gegeben hat.
TPP: Wie sollen Beihilfen gegen Mietkürzungen gerechnet werden?
UB: Wichtig ist: Der Bezug staatlicher Hilfe schließt den Anspruch auf Mietkürzungen nicht aus. Aber das Verrechnen führt zu neuen Problemen. Beihilfeanträge wurden vielfach mit der Fixkostenbelastung unter anderem durch Mieten begründet. Wenn sich aber die Mietparteien nach Stellung des Beihilfeantrags auf Mietkürzungen geeinigt haben, sind die Angaben im Antrag falsch. Wie dann Beihilfen und Mietminderungen gegeneinander aufgerechnet werden, ist noch nicht geklärt.
TPP: Wäre eine pauschale Regelung der Mietminderungsansprüche in der Praxis nicht einfacher umzusetzen gewesen?
UB: Ja! Aber diese Entscheidung ist typisch für den BGH, der die Einzelfallgerechtigkeit über pauschale Regelungen stellt.
TPP: Der dem BGH zugrunde liegende Fall fiel in die Phase des ersten Lockdowns. Hat das Urteil Konsequenzen für später entstandene oder noch entstehende Mietstreitigkeiten?
UB: Ja, die Einschätzung des BGH lässt sich anwenden auf Zeiträume, in denen das Mietmoratorium galt, aber auch auf die Zeit, in der die Nutzung der Geschäftsräume erhebliche eingeschränkt war oder ist. Die 2G-Regel könnte so eine Nutzungseinschränkung sein. Der Mieter muss dazu aber die mit der 2G-Regel verbundenen Umsatzeinbußen nachweisen.
TPP: Kommen wir noch einmal zu den Vermietern zurück. Was können sie geltend machen?
UB: Nach unserer ersten Analyse könnte der Vermieter argumentieren, dass es ihm möglich sein muss, das Mietobjekt kostendeckend zu betreiben. Das würde bedeuten, dass die Mieteinahmen laufende Betriebskosten und etwaige Darlehensverpflichtungen decken müssen.
TPP: Mieter und Vermieter sind ja nicht immer Vermietungsgesellschaften und Textilhandelsketten wie im BGH-Fall. Stellen Sie sich vor, der Vermieter hat zur Altersvorsorge ein Zinshaus mit einem Ladenlokal gekauft und die Geschäftsräume an einen Einzelunternehmer vermietet. Muss dann das Gericht zwischen Insolvenzrisiko des Mieters und drohender Altersarmut, wenn nicht sogar Privatinsolvenz des Rentners, entscheiden?
UB: Solche Abwägungen können auf Gerichte zukommen, eben weil der BGH Einzelfallentscheidungen verlangt. Die Gerichte müssen künftig eine Vielzahl von Sachverhalten prüfen. Es ist möglich, dass die BGH-Entscheidung eine Klagewelle auslöst. Ich sehe Gutachterschlachten auf die Gerichte zukommen. Das Zeit- und Prozessrisiko wird für beide Parteien erheblich sein.
TPP: Muss das sein?
UB: Nein! Ich würde den Beteiligten empfehlen, sich in außergerichtlichen Verhandlungen zu einigen oder anderenfalls andere Wege der Einigung zu suchen, etwa über Mediationsverfahren. Das ist zielführender als sich lange vor Landgerichten zu streiten.
TPP: Der BGH äußerte sich nur zur Kaltmiete, nicht zu den Nebenkosten. Wie ist deren Zahlung im Lockdown geregelt?
UB: Die Nebenkosten sind nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen. Insofern kann ich nur eine Interessenabwägung projizieren. Die Deckung der Betriebskosten wäre ein Interesse des Vermieters, das zu beachten wäre. Ich sehe, dass der Mieter die dem Einzelobjekt zuordenbaren Kosten für Strom, Wasser und Heizung tragen muss. Schwieriger erscheint es mir, in einer Mall Gemeinkosten wie Grundsteuern und Müllentsorgungsgebühren auf den Mieter eines geschlossenen Lokals umzulegen, wenn andere Mieter, etwa ein Lebensmittelladen, eine Drogerie oder ein Buchhändler, geöffnet hatten.
TPP: Der vorliegende Fall betraf den Einzelhandel. Ist das Urteil auf Gastronomie und Hotellerie übertragbar?
UB: Ich denke schon.
TPP: Was können Mieter und Vermieter aus dem Urteil für die Zukunft lernen?
UB: Sie sollten möglichen Streitigkeiten über Zahlungsverpflichtungen vorbeugen, indem sie in Neuverträgen die Risikoverteilung im Fall staatlichen Eingriffe regeln. In den Verträgen könnte die Höhe möglicher Mietminderung festgeschrieben und Einigungsverfahren bestimmt werden. Außerdem könnten auch mögliche Absicherungen festgelegt werden, etwa der Abschluss einer Betriebsschließungsversicherung, die auch zahlt, wenn der Betrieb aufgrund einer Pandemie geschlossen wird. Solche Erwägungen könnten auch Gegenstand der von empfohlenen Streitbeilegungsmethoden in bestehenden Mietverhältnissen sein.
TPP: Herr Bottermann, vielen Dank für das Interview.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Rechts- und Steuerberatungskanzlei Bottermann Khorrami
Erstveröffentlichung: The Property Post, Februar 2022