25.01.2021

„ESG wird unterschätzt“

Was bedeutet ESG und wie lässt es sich in ein digitales Bewertungssystem integrieren.

Reiner Reichel, Redakteur, The Property Post

Thomas Krings, Geschäftsführer der Softwarefirma IRM Management Network GmbH, hätte lieber persönlich mit „The Property Post“ (TPP) gesprochen. Denn abstrakte Begriffe und komplizierte Sachverhalte rund um ESG statt im Vier-Augen-Gespräch am Telefon zu erläutern, braucht mehr Zeit und Geduld. Doch beides brachte er zum Telefonat mit „The Property Post“ (TPP) reichlich mit.

The Property Post (TPP): Herr Krings, können Sie in drei Sätzen erklären, was IRM macht?
Thomas Krings (TK):
Ja! Wir unterstützen unsere Kunden bessere Entscheidungen zu treffen, komplexe Strukturen einfach in Simulationen abzubilden und einem modernen Controlling zu unterziehen. Unsere Real-Time-Lösung für die Planung, das Stressing und das Controlling komplexer mehrstöckiger Vehikel setzt Maßstäbe in der Branche.

TPP: Das waren sogar nur zwei Sätze. Ihr Kernprodukt ist der Real Estate-Value Creator. Was kann es?
TK:
Der Real Estate-Value Creator, kurz RE-VC, verfolgt die Idee alle Leistungsbereiche rund um das Immobilienvermögen, vom Asset- über das Beteiligungs- und Fondsmanagement sowie die Unternehmensplanung, in Ursache und Wirkung miteinander zu vernetzen. Zu den Stärken des RE-VC gehört die Simulation der künftigen Immobilien- und Beteiligungswerte sowie des Unternehmens- beziehungsweise Fondsvermögens. In diese Berechnungen fließen alle immobilien-, produkt- und marktspezifischen Faktoren ein. Die parallele Konsolidierung über lokale und internationale Rechnungslegungsstandards ist einmalig in der Branche.

TPP: RE-VC berechnet Szenarien anhand einer Vielzahl von Parametern. Welche Parameter sind die wichtigsten?
TK:
Die Parameter lassen sich grob in zwei große Bereiche unterteilen: den direkten Einflussbereich des Unternehmens sowie marktbezogene Parameter. Im Einflussbereich des Unternehmens liegen die bestehenden Vertragsverhältnisse zu Mietern, Partnern, Geldgebern. All diese Verträge sind im RE-VC abgebildet und bilden die Grundlage einer parameterorientierten Fortschreibung. Alle Investitions- und Desinvestitionsstrategien können ebenfalls mit ihren Wirkungen auf die Vermögenswerte und Renditen mit Parametern belegt werden. Daneben sind jene Parameter wichtig, auf die das Unternehmen keinen direkten Einfluss hat. Marktmieten, Steuern, Währungs- und Zins- sowie makroökonomische Entwicklungen. Diese sind zugleich Kernstück des Stresstests.

TPP: Im Moment stresst Covid-19 die Branche, demnächst werden es die europaweiten Vorschriften über klimaverträgliche sowie soziale Investitionen und ethische Unternehmensführung – kurz ESG genannt – sein. Sind Ihre Kunden darauf vorbereitet?
TK:
Wahrscheinlich nicht alle. Manche unterschätzen die Wirkung des ESG. Irrtümlich glauben sie, ESG formuliere lediglich Anforderungen an das Reporting. ESG wird jedoch unsere Branche stark verändern. Künftig werden im gesamten Lebenszyklus die mit nachhaltigen Immobilien verbundenen Chancen und Risiken und deren Auswirkungen auf die Wertentwicklung der Immobilien stärker in den Vordergrund rücken.

TPP: Inwiefern?
TK:
Immobilien sind für 30 bis 40 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich. Damit die Erwärmung der Erde unter zwei Grad Celsius bleibt, muss der weltweite Energieverbrauch von Gebäuden bis 2030 um mindestens 30 Prozent sinken. Darüber hinaus muss der gewaltige Ressourcenverbrauch bei Bau und Abriss von Gebäuden reduziert werden. Denn auch die Herstellung von Ziegeln, Beton und Stahl verursacht hohe CO2 Emissionen. Gebäude sollten daher viel häufiger als bislang aus Holz oder anderen emissionsfreien oder emissionsspeichernden Materialien gebaut werden oder nach dem Cradle to Cradle-Prinzip, so dass Bauteile im Hochbau wiederverwendet werden können.

TPP: Wie sollen die unscharf gefassten ESG-Vorschriften erreichen, was durch nationale Bau- und Umweltgesetze geregelt werden müsste?
TK:
Indem ESG in die Bewertung der Gebäude einfließt. Je weniger ESG-Kriterien erfüllt werden, umso höher werden künftig die Abschläge auf den Gebäudewert sein. Das macht ESG zum strategischen Faktor für Immobilieninvestoren.

TPP: Eigentümer und Mieter interessieren sich nicht für ESG-Kriterien, sondern für die Betriebskosten beziehungsweise Warmmiete.
TK:
Wenn auf energiesparende Maßnahmen verzichtet wird und deshalb die zu zahlenden Betriebskosten steigen, interessieren die sich sehr wohl für die ESG-Kriterien. Ignorieren Eigentümer ESG-Kriterien, müssen sie mit Vermögensverlusten rechnen. Ein Beispiel: Schließen Anlagevorschriften von Investoren den Ankauf Nicht-ESG-konformer Liegenschaften aus, nimmt das Interesse an solchen Gebäuden ab. Der Wert sinkt, was auch die Finanzierungskosten negativ beeinflusst. Solche Ankaufsrestriktionen gibt es bereits seitens einiger Staatsfonds sowie neuer nachhaltiger Investmentprodukte.

TPP: Doch, wie sollen Billionen-schwere Bestände ESG-konform werden?
TK:
Zweifelsfrei lässt sich ESG-Konformität am leichtesten beim Neubau erreichen. Nun müssen Eigentümer entscheiden, für welche Immobilien sich Investitionen zur Optimierung der Energieeffizienz oder Maßnahmen zur Verbesserung des Nutzerverhaltens lohnen. Potenzielle ESG-Investitionen könnten sich beispielsweise durch geringere oder nicht vorhandene ESG-Abschläge zum Exit-Zeitpunkt auszahlen. Entscheiden sich Eigentümer gegen Investitionen, sollten sie überlegen, ob es sinnvoller ist, das Objekt zu veräußern, bevor es zum Ballast wird. Auf der anderen Seite werden Käufer soziale, ökologische und wirtschaftliche Gesichtspunkte über den Lebenszyklus des Objektes bewerten.

TPP: Woran können sich Investoren bei der Bewertung von Nachhaltigkeit orientieren?
TK:
An Nachhaltigkeitszertifikaten, wie LEED in den USA, BREEAM in Großbritannien oder dem deutschen DGNB.

TPP: Welche Rolle spielen Mieter in der ESG-Systematik?
TK:
Sie müssen mitspielen, damit ihr Mietverhältnis zum Green Lease wird. Müll trennen, Mehrwegsysteme nutzen, die ÖPNV-Nutzung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fördern und unter ökologischen Gesichtspunkten einkaufen, können in einem Green Lease definierte Verhaltensregeln sein. Mietnachlässe sowie die Verbindung mit Optionsregelungen sind ein möglicher Anreiz, die Verhaltensregeln einzuhalten.

TPP: ESG wird kommen, Sie befürworten dies ausdrücklich, aber auf Ihrer Internet-Seite kommt unter den 15 „TOP-Features unserer Softwarelösung für Portfolio- und Assetmanagement in der Immobilienwirtschaft“ das Kürzel ESG nicht ein einziges Mal vor. Warum?
TK:
Das liegt daran, dass wir uns noch in das Thema einarbeiten. In diesem Zusammenhang entwickeln wir gemeinsam mit unseren Kunden neue Key Performance Indicators. Einer dieser KPIs ist der von der GLS Bank entwickelte nWert, der Nachhaltigkeitswert. Der nWert kombiniert zwei Werte. Der eine liefert eine qualitative Einschätzung der handelnden Personen und der Zukunft. Der zweite Wert spiegelt Miet-, Aufwands- und Wertprognose für die Immobilie wider.  Am Ende steht ein transparenter Vergleich qualitativer und quantitativer Nachhaltigkeitskriterien zur Entscheidungsfindung mit vergleichenden Aussagen zu Investitionshöhen, Kosten-, Ertrags- und Renditeentwicklung für die Eigentümer über alle Ebenen des Vehikels hinweg.

TPP: Wird IRM auch das ESG-Reporting übernehmen?
TK:
Selbstverständlich wird der RE-VC auch das ESG Reporting unterstützen. Deshalb engagieren wir uns im Rahmen der Standarddefinitionen des Arbeitskreises für Datenaustausch der Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung.

TPP: Wer prüft, ob die von Vermögensverwaltern zu ESG-Kriterien bereitgestellten Informationen korrekt sind?
TK:
Die Verantwortung dafür wird bei den Zertifikatsausteller liegen und zunehmen.

TPP: Herr Krings, vielen Dank für das Interview.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von IRM Management Network GmbH
Erstveröffentlichung: The Property Post, Januar 2021

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Reiner Reichel, Jahrgang 1956, war viele Jahre Immobilienredaktuer des Handelsblatts. Journalismus betreibt er, wie er Fußball spielt: hart aber fair.

Reichel_Krings_Interview.JPGAls Thomas Krings (52) sein Diplom in Personal- und Organisationsentwicklung an der Universität und Pädagogischen Hochschule in Freiburg ablegte, war Nachhaltigkeit noch ein Randthema. Allenfalls Utopisten hätten sich ein europaweit gültiges Regelwerk wie ESG zu ökologischem und sozialem Verhalten vorstellen können. Krings, nach Stationen in der Wohnungswirtschaft und einem Beratungs- und Systemhaus seit 2002 mit dem Softwarehaus IRM Management Network selbstständig, sagt heute: „ESG kann ein Anfang sein, den ökologischen und sozialen Fußabdruck von Gesellschaft und Wirtschaft weltweit zu verringern. Wir können unsere Zukunft und die Welt unserer Kinder schützen. ESG wird sich zu einem mächtigen Game Changer entwickeln.“ So sehr er in der digitalen Welt beruflich sozialisiert wurde, so gerne lässt er diese Welt hinter sich, um mit seiner Familie mehrtägig zu wandern – am liebsten dort, wo es anderen schwindelig wird. Besonders stolz ist er auf eine Alpenüberquerung sowie die Umrundung des Mont-Blanc mit Frau und Kindern.

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