Künftig keine Videobesichtigungen. Jens Honigmann erklärt, warum das ein Rückschritt wäre
Als Reiner Reichel, Redakteur „The Property Post" (TPP), das Telefonat mit Jens Honigmann vorbereitete, nahm er an, die Herausforderungen durch plötzlich schnell kletternde Inflationsraten, steigenden Zinsen und galoppierenden Baukosten seien die große Herausforderung für Immobilienbewerter. Doch er stellte fest, dass die Digitalisierung des Bewertungsprozesses den Vorstand der Value AG viel mehr beschäftigt.
The Property Post: Auf der Internet-Seite der Value AG heißt es, das Unternehmen könne alle Immobilien bewerten, von der Ferienwohnung bis zur Fachklinik. Woher kommt die Kompetenz?
Jens Honigmann: Mit ausschlaggebend ist, dass wir bundeweit an neun Standorten vertreten sind und deshalb die regionalen Märkte gut kennen. Wir verstehen uns auch als Ausbildungsbetrieb, der junge Menschen anzieht, weil wir sie systematisch weiterbilden. In diesem Prozess stellt sich immer wieder heraus, dass Kolleginnen und Kollegen Interesse an Immobilien einer bestimmten Nutzungsart haben und eine besondere Expertise in deren Bewertung entwickeln.
TPP: Wer sind Ihre Auftraggeber?
JH: Wir haben in Deutschland rund 500 Auftraggeber. 95 Prozent davon sind Finanzdienstleister, also Banken, Versicherer und Fondsgesellschaften. Nur fünf Prozent sind Private, die uns beispielsweise wegen eines Erbfalls um eine Bewertung bitten. Wir können nicht nur die nach der Beleihungswertermittlungsverordnung klassischen Bewertungsmethoden wie Sach-, Vergleichs- und Ertragswertverfahren anbieten, sondern ebenso Werte nach DCF-Verfahren ermitteln.
TPP: Als wir uns zum Gespräch verabredeten, deuteten Sie an, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht demnächst Maßnahmen ergreifen will, die ihnen und ihren Wettbewerbern die Arbeit erschwert. Worum geht es?
JH: Die Covid-19-Pandemie hat dazu geführt, dass Besichtigungen von Wohnungen und Häusern aus Gründen des Infektionsschutzes vielfach nicht möglich waren. Doch die Banken konnten deswegen nicht auf die Ermittlung der Beleihungswerte vor der Kreditvergabe verzichten. Daraufhin gestattet die BaFin, dass Immobilieneigentümer unter Anleitung von Gutachtern Videos von ihren Objekten erstellen, die als Basis für die Beleihungswertgutachten dienen. Diese bis zum 30.Juni geltende Regelung für das sogenannte Kleinmengengeschäft will die Bafin nicht verlängern.
TPP: Welche Dimension hat dieses Geschäft?
JH: Es betrifft Kredite für Objekte bis zu einem Wert von 400.000 Euro. Allein wir mit unseren rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Deutschland führen im Jahr zwischen 150.000 und 200.000 Besichtigungen durch. Mehr als die Hälfte davon sind inzwischen Videobesichtigungen.
TPP: Wer entscheidet, ob die Value AG einen Mitarbeiter durch Haus oder Wohnung schickt oder der Bankkunde selbst besichtigt?
JH: Der Bankkunde.
TPP: Wie läuft eine solche Besichtigung durch den Kunden konkret ab?
JH: Der Kunde benötigt ein Smartphone oder Tablet, mit dem er Videos erstellen kann. Er vereinbart mit uns einen Besichtigungstermin und verbindet sich im Objekt wie zu einer Videokonferenz durch ein Passwort geschützt mit einem Sachverständigen der Value AG. Der Mitarbeiter liegen die üblichen Dokumente, also Flurkarte, Grundriss und gegebenenfalls Teilungsergebnis vor. Anhand dieser Unterlagen dirigiert er den filmenden Kunden durch das Objekt, während er die Aufnahmen streamt. An vom Mitarbeiter ausgewählten Stellen werden Fotos erstellt. Der komplette Prozess wird protokolliert und dokumentiert. Über Außenaufnahmen und dem Festhalten der Koordinaten ist das Objekt eindeutig zu identifizieren.
TPP: Wer nach Internet-Bildern und Videos Hotelzimmer bucht, Ferienwohnungen mietet oder Wohnungsbesichtigungen vereinbart, hat vor Ort häufig das Gefühl buchstäblich im falschen Film zu sein. Es fällt mir schwer zu glauben, dass die Banken bereit sind solche Risiken einzugehen.
JH: Das Risiko ist viel kleiner als Sie annehmen. Betrugsversuche sind, das kann ich Ihnen aus meiner Zeit bei Hypothekenbanken bestätigen, im Mengengeschäft ganz selten. Sicherlich gilt, wenn ein Kunde etwas partout nicht zeigen will, dann wird er Mittel und Wege finden diese Stellen zu umgehen. Und Schimmelgeruch können Smartphones auch nicht erkennen. Aber noch einmal. Wäre das Betrugsrisiko hoch, würden die Banken diesem Verfahren nicht zustimmen. Tatsächlich ist das Videobesichtigungsverfahren bei den Banken akzeptiert, weil es in Qualität, Umfang, Dokumentation und Rechtssicherheit der Vor-Ort-Besichtigung entspricht.
TPP: Worin liegen die Vorteile?
JH: Eine Videobesichtigung ist einfacher, läuft schneller ab, ist kostengünstiger als eine Vor-Ort-Besichtigung, schont die Umwelt und mindert das Infektionsrisiko. Nach unserer Schätzung werden in Deutschland im Jahr rund eine Million Immobilien besichtigt. Bei einer durchschnittlichen Anfahrt von 50 Kilometern mit dem PKW und einer Akzeptanzquote für die Videobesichtigung von aktuell 50 Prozent ergeben sich ab dem 1. Juli 2022 bis zum Jahresende 25 Millionen Kilometer Fahrleistung zu Besichtigungstermine. Die führen zu einem zusätzlichen CO2-Ausstoß von 8.200 Tonnen. Videobesichtigungen sind also ein Beitrag zum Umweltschutz und bringen uns den Klimazielen der Bundesregierung näher. Zwar ist die Gefahr sich mit Covid-19 anzustecken im Laufe des Jahres gesunken. Aber schon jetzt warnen Experten vor erneut steigenden Ansteckungsraten im Herbst.
TPP: Das klingt nach mehr. Was spricht dagegen, das Verfahren auch über das Kleinmengengeschäft hinaus einzusetzen?
JH: Unsere Position ist eindeutig: Für uns ist es essenziell, dass digitale Besichtigungen über den 30. Juni hinaus stattfinden können. Das kann zunächst durch eine Verlängerung der Ausnahmeregel geschehen. Besser wäre jedoch, wenn in der Beleihungswertermittlungsverordnung Videobesichtigungen vor der Vergabe von Kleindarlehen dauerhaft gestattet würden. Wir und andere in der Branche haben in Systeme investiert, die solche Videobesichtigungen ermöglichen. Eine Rückkehr zur verbindlichen Vor-Ort-Besichtigung wäre ein Rückschritt. Aber, wir sind noch nicht so weit, dass wir fordern die Videobesichtigung auch auf die Erstellung von Gutachten im professionellen Immobilienhandel auszuweiten. Das schließt nicht aus, dass dies in Zukunft ein Thema wird.
TPP: Wie schätzen Sie die Chance ein, dass die BaFin auf Ihre Argumente eingeht?
JH: Wir sprechen mit der BaFin, aber zum Stand der Gespräche kann ich zurzeit noch nichts sagen. Ich sehe die Videobesichtigungen in einen größeren Zusammenhang. Sie sind ein Schritt in Richtung Digitalisierung. Die Bundesregierung hat sich die Förderung der Digitalisierung von Wirtschaft und Verwaltung vorgenommen. Die BaFin bekennt sich zu diesem Ziel.
TPP: Wechseln wir noch kurz von den formalen zu den realen Herausforderungen. Welchen Einfluss haben hochschnellende Inflationsraten, steigenden Zinsen und galoppierenden Baukosten auf die Immobilienwerte?
JH: Die Auswirkungen sind weniger dramatisch als es die Veränderungen der genannten Indikatoren vermuten lassen. Wir halten uns an die Beleihungswertermittlungsverordnung. Im Grunde genommen sehen wir auch jetzt noch, dass die Differenz zwischen Beleihungswert und Marktwert immer größer wird. Letztendlich schreibt die Beleihungswertermittlungsverordnung noch immer einen Liegenschaftszins von fünf Prozent vor. In der Praxis ist er viel geringer.
TPP: Herr Honigmann, vielen Dank für das Interview.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von VALUE AG
Erstveröffentlichung: The Property Post, Juni 2022