25.02.2022

Bauordnung behindert

Experte empfiehlt gespeichertes CO2 zu verbauen, statt neues zu produzieren

Reiner Reichel, Redakteur, The Property Post

Als The-Property-Post-Redakteur Reiner Reichel vor fünf Jahren zum ersten Mal über das Bauen mit Holz mit Professor Ludger Dederich sprach, waren Brandschutzvorschriften das dominierende Thema. Schon damals schüttelte Dederich über diverse Vorschriften den Kopf.

TPP: Herr Dederich, ist es heute leichter, Häuser aus Holz zu bauen als damals?
Ludger Dederich
: Eigentlich kaum. Wir hatten und haben in Baden-Württemberg die holzfreundlichste Landesbauordnung Deutschlands. Sie erlaubt es, bis zur Hochhausgrenze in Holz zu bauen. Dem Vorbild Baden-Württembergs sind Berlin, Hamburg und mittlerweile auch Nordrhein-Westfalen gefolgt. Den Politikern der Stadtstaaten war klar, dass sich angesichts fehlender Neubaugrundstücke zusätzlichen Wohnraum am schnellsten durch Aufstocken bestehender Gebäude schaffen lässt. Es ist einfacher, Gebäude mit Holz aufzustocken als mit Beton und Steinen, weil Holz viel leichter ist als diese Materialien, sodass Fundamente und Statik ausreichen.

TPP: Ein Fortschritt?
LD:
Ein kleiner. Denn ein Grundproblem des deutschen Baurechts ist nicht gelöst. Es gibt vor dem Hintergrund der Landesbauordnungen die Parallelität von nationalen und europäisch harmonisiertem Normen, wobei letztere auf formaler Ebene und in der Begrifflichkeit nicht zum deutschen Bauordnungsrecht passen. Daraus resultiert große Unsicherheit bei allen am Bau Beteiligten, da sich daraus in nahezu jedem Bauvorhaben Abweichungen ergeben.

TPP: Was bedeutet das für die Praxis?
LD:
So orientieren sich Akteure auf Seiten der Bauaufsicht nicht danach, was technisch möglich ist, sondern halten sich strikt an die die nationalen Regeltexte.

TPP: Also besteht keine Hoffnung auf Veränderungen?
LD:
Doch. Es läuft aktuell eine Diskussion über die sogenannte Musterholzbaurichtlinie in der Bauministerkonferenz. Aber einigen derer, die diese Regeln mit beschließen sollen, fehlt die Erfahrung im Umgang mit mehrgeschossigen Holzgebäuden.

TPP: Woran hakt es konkret?
LD:
Nach wie vor am Brandschutz, bei dem die Feuerwehr ein gehöriges Wort mitredet. Weil Feuerwehrleute keine Erfahrung mit mehrstöckigen Holzgebäuden haben, leiten sie ihre Argumente gegen Holzhäuser aus Erfahrungen mit Bränden von Einfamilienhäusern aus Holz und anderen Holzbauten wie z.B. in der Landwirtschaft ab. Das ist nicht sachgerecht. Wir Holzbauer sind darauf getrimmt, die Schutzziele zu erreichen, die für alle Bauweisen gleichermaßen gelten. Brandschutz lässt sich auch mit einem ingenieurtechnischen Ansatz abseits von Ordnungsregeln erreichen.

TPP: Was müsste sich ändern?
LD:
Der Blickwinkel. Die Anforderungen sollten nicht mit der Materialität des Bauteils verknüpft sein, sondern damit, welche Schutzziele es erfüllen muss und kann. Nehmen wir den Baustoff Stahl. Er ist zwar nicht brennbar, verliert aber im Feuer schon nach zehn Minuten seine Festigkeit in erheblichem Maße. Gewöhnliche moderne Holzbauteile können einem Feuer etwa 30 Minuten widerstehen, ohne ihre Tragfähigkeit komplett zu verlieren.

TPP: „Hindernisse für ökologische Baumaterialien im Baurecht werden wir beseitigen“ stand im Wahlprogramm der Linken zur Bundestagswahl. So deutlich haben nicht einmal die Grünen sich zu nachhaltigem Bauen bekannt. Erwarten Sie Erleichterungen für das Bauen mit Holz nach dem Regierungswechsel?
LD:
Ja und nein. Der Umgang mit der Politik bleibt hochkomplex, egal wer der Bundesregierung angehört. Denn die Bauordnungen werden weiterhin von den Ländern formuliert. Nichtsdestotrotz erwarte ich von der Regierungsbeteiligung der Grünen Fortschritte für das Bauen mit Holz. Das leite ich ab aus den Erfahrungen in Baden-Württemberg, wo die Grünen seit 2011 Regierungsverantwortung tragen. Die Voraussetzungen für das Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen sind in diesem Bundesland einzigartig in Deutschland. 

TPP: Schüren Politiker die Erwartungen der Bevölkerung, dass das Bauen mit Holz hilft die Wohnungsnot zu mildern?
LD:
Ja, aber die, die diese Erwartungen erfüllen sollen, kennen den Stand der Technik nicht. Das liegt unter andrem daran, dass in den Studiengängen für Bauingenieure und Architekten zu wenig über den Umgang mit nachwachsenden Rohstoffen gelehrt wird. Den Absolventen fehlt anschließend die Kompetenz, um über den Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen entscheiden zu können.

TPP: Kommen wir von den politischen und rechtlichen Grenzen zu den technischen. Wie hoch kann man mit Holz bauen? 
LD:
Auf eine technische Grenze haben sich die Experten noch nicht festgelegt. Diskutiert wird über 42 Stockwerke, was etwa 130 Meter Höhe entspricht, und 300 Metern. Zum Vergleich: Der Bau von Holzhochhäusern ist in Deutschland noch immer nicht möglich. Zum Hochhaus wird ein Haus in Deutschland, sobald der oberste Fußboden eine Höhe von 22 Metern über dem Gelände liegt. Aber, selbst wenn es möglich wird, Holzhochhäuser zu bauen, gibt es hierzulande allenfalls eine Handvoll Unternehmen die dazu in der Lage sind.

TPP: Nach landläufiger Meinung ist Bauen mit Holz teurer als mit Beton und Steinen. Ist das richtig?
LD:
Es gibt keine Studien, die diese Aussage belegen. Es gibt aber genügend Beispiele, die das Gegenteil zeigen. Einer meiner Freunde plante Hallen für einen großen deutschen Logistiker in Holz zu Preisen, die in Beton-Skelett-Bauweise nicht erreichbar wären. Ein Grund: Beim Bauen mit Holz lässt sich bei der Fundamentierung enorm viel Geld sparen. Das liegt daran, dass der Kubikmeter Beton zweieinhalb Tonnen wiegt, der Kubikmeter Brettschichtholz aber nur maximal 550 Kilogramm. Immerhin beginnen Edeka und Rewe ihre Märkte in Holz zu bauen, um die Nachhaltigkeit ihres Angebots zu unterstreichen.

TPP: Für die ökonomischen Vorteile des Bauens mit Holz gibt es Beispiele, die ökologischen sind eindeutig, oder?
LD:
Ich gebe Ihnen die Antwort in einem Beispiel. Das Holz für den Dachstuhl der Klosterkirche des Weltkulturerbes Kloster Maulbronn wurde um 1140 eingeschlagen und bindet seitdem den im Holz enthaltenen Kohlenstoff. Würde diese Kirche irgendwann einmal abgerissen, würde man das Holz nicht verwittern lassen oder verbrennen, sondern weiterverwenden. Das heißt, ob und wann der fast 900 Jahre im Holz gebundene Kohlenstoff wieder freigesetzt wird, ist noch gar nicht absehbar. Zugegeben, auch die Ökobilanz von Beton und Stahl wird umso besser, je länger ein damit gebautes Gebäude genutzt wird. Aber, es ist zurzeit wenig wahrscheinlich, dass Betonbauten eine vergleichbar lange Lebendsauer haben wie Holzbauten.

TPP: Kritiker des Holzbaus bezweifeln die positive Ökobilanz. Sie sagen, Holz aus Abbruchhäusern könne man nur verbrennen. Haben sie recht?
LD:
Ich habe gestern in einer Vorlesung gesagt: Das Dümmste, was man mit Holz machen kann, ist es zu verbrennen. Wer glaubt, dass man ausgebaute Holzteile nur verbrennen kann, ist nicht auf der Höhe der Zeit, weder intellektuell noch technologisch. Mit solchen Leuten diskutiere ich nicht mehr. Wir haben, das gebe ich zu, ein kleines Problem mit Holz, dass zwischen den 20er- und 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts verbaut wurde, weil es chemisch behandelt werden musste. Das war Vorschrift. Die basierte auf dem von der chemischen Industrie in die Welt gesetzten Märchen, dass man Holz in Innenräumen mit Holzschutzmitteln behandeln müsse, um es – selbst beim Einsatz im Innenraum – haltbar zu machen. Das war schlicht gelogen. Die Konsequenz: So behandelte Hölzer dürfen nicht wiederverwendet werden, sondern müssen als Sondermüll entsorgt und verbrannt werden. Um nicht wieder in vergleichbare Situationen zu kommen, wird heute überlegt, wie man Baustoffe am Ende des ersten Nutzungszeitrums weiterverwenden kann.

TPP: Die Produktion von Beton und Stahl führt zu gewaltigen CO2-Emissionen. Der Ersatzbaustoff Holz bindet CO2 über viele Jahre hinweg. Werden die europaweiten Vorschriften zu klimaverträglichen Investitionen, sozialem Verhalten und ethischer Unternehmensführung, kurz ESG genannt, Bauherren dazu bringen mit nachwachsenden Rohstoffen zu bauen?  
LD
: Ich sehe in der Gesellschaft eine Haltung, die sagt: So kann es nicht weitergehen. Wenn Unternehmen feststellen, dass das E, das für Environmental in den Abkürzung ESG steht, für die Käufer ihrer Produkte immer wichtiger wird, dann wird der Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen zunehmen. Deshalb wird ESG die Wahl der Baustoffe verändern.

TPP: Der Kunde des Immobilieninvestors ist der Mieter. Interessiert der sich für ESG-Kriterien?
LD:
Auch wenn er sich nicht dafür interessiert, der Investor tut es. Bei mir klopfen beispielsweise Versicherungsunternehmen an und fragen, wie sie ihren Milliarden Euro schweren Immobilienbestand, der zu 99 Prozent nicht grün ist, grün und trotzdem renditetauglich umgestalten können.

TPP: Und was antworten sie diesen Investoren?
LD:
Dass sie Aufträge zum ökologischen Um- und Neubau vergeben müssen und ihren Einfluss nutzen sollen, damit Bauordnungen so gestaltet werden, dass mehr nachwachsende Rohstoffe eingesetzt werden können. Wir müssen im Hinblick auf ESG-Anforderungen und Klimaziele Konzessionen im Baurecht machen, damit dieser neue Bedarf gedeckt werden kann. Allerdings werden deutsche Unternehmen den Bedarf im Holzbau nicht allein decken können. Im deutschsprachigen Alpenraum ist das Knowhow vorhanden, dass wir hier zusätzlich brauchen. Gleichzeitig müssen wir eine Qualifizierungsoffensive für die kleinen mittelständischen Holzbaubetriebe in Deutschland starten.

TPP: Sie verbreiten Aufbruchstimmung. Fürchten Sie nicht, dass die in den vergangenen Monaten sprunghaft gestiegenen Holzpreise den Aufschwung abwürgen?
LD:
Nein, inzwischen haben die Preise gegenüber ihren Höchstständen im Frühjahr und Sommer 2021 bereits wieder nachgegeben. Außerdem waren die Holzpreise immer volatil, zugegeben, so hoch wie im Frühjahr waren die Ausschläge noch nie. Als ich in den 80er-Jahren in die Lehre ging, kostete ein Kubikmeter Schnittholz 500 Mark, Brettschichtholz das Doppelte. Bis vor wenigen Jahren konnte man Schnittholz mit definierter Holzfeuchte für 250 Euro kaufen, also zum gleichen Preis wie in den 1980ern. Vielleicht wird jetzt auch ganz einfach der Preis gezahlt, den dieser nachwachsende und Kohlenstoff speichernde Rohstoff wert ist. Ich mache mir keine Sorgen über die mittelfristige Preisentwicklung.

TPP: Laut des Waldschadensberichts von Greenpeace sind in Deutschland allein zwischen 2018 und 2020 Waldbestände von fast 12.000 Quadratkilometern teilweise verloren gegangen. Auf dieser Fläche, dreizehnmal so groß wie das Bundesland Berlin, seien viele Bäume abgestorben und großflächige Kahlschläge erfolgt. Wenn es nicht der Preis ist, ist es dann vielleicht Holzmangel, der das Wachstum des Holzbaus behindert?
LD:
Keine Frage, die Dürreschäden sind in manchen Regionen schlimm, aber bezogen auf die Gesamtfläche und den gesamten Holzbestand ist die Situation noch nicht kritisch. Ich erwarte keine Versorgungsengpässe. Selbstverständlich sollten wir uns mit der Zukunft der Waldbewirtschaftung beschäftigen. Der Wald der Zukunft wächst bereits, denn er wurde bereits vor 40 Jahren gepflanzt.

TPP: Herr Dederich, vielen Dank für das Interview. 

 

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg
Erstveröffentlichung: The Property Post, Februar 2022

Konversation wird geladen
Reiner Reichel, Jahrgang 1956, war viele Jahre Immobilienredaktuer des Handelsblatts. Journalismus betreibt er, wie er Fußball spielt: hart aber fair.

Dederich_Web.jpg  Dass der junge Ludger  
  Dederich, heute 57 Jahre
  alt und Professor für
  Holzbau an der
  Forstwirtschaftlichen
  Hochschule Rottenburg, später etwas mit Bauen zu tun haben würde, hätte man ahnen können. Der Vater ist gelernter Maurer, zwei Cousins sind Zimmerleute. Doch Dederich gefiel es auch, gegen den Strom zu schwimmen. Mit einer Anekdote beschreibt er, wie er damals tickte. Als seine Kunstlehrerin mit guten Kontakten zur Kölner Kultband BAP seiner Klasse den Konzertbesuch zum Spotpreis ermöglichte, ging er bewusst nicht hin. Heute ärgert er sich darüber, nicht aber darüber, dass er von Lehrern und Eltern unverstanden trotz gutem Abiturzeugnis zunächst Zimmermann lernte, statt zu studieren. Inspiriert hatte ihn der Jugendroman „Der lange Weg des Lukas B.“ von Willi Fährmann. Das Buch beschreibt das Erwachsenwerden von Lukas Bienmann, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus Ostpreußen in die USA auswandert und sich dort zum Zimmermannsgesellen ausbilden lässt. Zwischen Berufslehre und Lehrtätigkeit liegen bei Dederich ein Architekturstudium und mehrere Stationen als Architekt, Verantwortlicher für den Informationsdienst Holz und wissenschaftlicher Forschung.
Wenn der in Bonn lebende Dederich heute den Kopf frei bekommen will, liest oder paddelt er, beides am liebsten in Schweden nördlich von Stockholm. Dort geht er auch seiner heimlichen Leidenschaft nach: Im Rospiggarna-Stadion Speedway schauen. In Schweden gilt: „Dann melde ich mich von der Welt ab“, sagt er und zwar konsequent: Handy und Laptop bleiben aus. 

Schriftzug TPP Homepage_Empfehlung der Redaktion.jpg
 


Contentpartner

#