29.08.2023

„20 Euro Mieten werden kommen“

Empirica-Chef Braun weiß, warum Wohnen noch teurer wird

Reiner Reichel, Redakteur, The Property Post

Der deutsche Wohnungsmarkt ist in der Krise. „The Property Post“ fragte Reiner Braun, den Vorstandsvorsitzender der Analysefirma empirica AG, was schieflief und was daraus folgt.

The Property Post (TPP): Herr Braun, die Wohnungspreise sinken, die Mieten steigen. Wie lange wird das noch so weitergehen?
Reiner Braun:
Das fragen zurzeit alle Journalisten. Und jeder, der behauptet eine konkrete Antwort geben zu können, der lügt.

TPP: Zum Lügen will ich Sie nicht verführen, aber zum Lesen in der Glaskugel. Was sehen Sie darin?
RB:
Ich sehe, dass die Fertigstellungen bis zum Jahr 2025 sinken. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn wir heute das Allheilmittel zur Ankurbelung des Wohnungsbaus fänden. Es hilft nichts, dass viele Wohnungen genehmigt sind. In der gegenwärtigen Situation wird mit dem Bau nicht begonnen werden.

TPP: Was zu weiter steigenden Mieten führt.
RB:
Wenn nicht mehr gebaut wird, wird sich der Mietmarkt nicht entspannen.

TPP: Welche Rolle spielen Flüchtlinge auf dem Wohnungsmarkt?
RB:
Eine sehr große Rolle für die Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt spielen zurzeit Ukrainerinnen und Ukrainer. Entspannt sich die Lage in der Ukraine, werden Menschen wieder zurückgehen. Verschärft sie sich, kann es sein, dass etwa eine weitere Million Menschen aus diesem Land nach Deutschland kommen. Und nicht zu vergessen: Wir wissen nicht, ob Konflikte in anderen Ländern eine zusätzliche Zuwanderung provozieren.

TPP: Wäre der Wohnungsbedarf ohne den Zuzug von Flüchtlingen gedeckt worden?
RB:
Nach unseren Berechnungen wären die Wohnraumversorgung zumindest auf dem Weg dorthin gewesen. Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat diesen Weg auf zwei Seiten abgeschnitten. Die Flüchtlingswelle hat den Bedarf erhöht. Die auch aufgrund des Konflikts ausgelösten Steigerungen bei der Inflationsrate und den Zinsen haben den Neubau ausgebremst.

TPP: Bereits die Vorgängerregierung unter Angela Merkel hat den Bau von 400.000 neuen Wohnungen jährlich als Ziel ausgegeben. Es wurde bekanntlich nicht erreicht. Bundeskanzler Olaf Scholz und Bauministerin Klara Geywitz hielten aber daran fest. War das jemals realistisch?
RB:
Nein, denn bis ein Grundstück beschafft, der Bauantrag gestellt und genehmigt und das Gebäude bezugsfertig ist, vergeht mehr als eine Legislaturperiode. Es ist völliger Quatsch zu glauben, dass eine Bundesregierung auf dem Wohnungsmarkt den Erfolg der von ihr zu Beginn ihrer Amtszeit eingeleiteten Maßnahmen noch innerhalb einer Legislaturperiode erlebt. Das ist rein mathematisch nicht möglich.

TPP: Ist mangelnde Neubauförderung der Grund für die mietpreistreibende Knappheit?
RB:
Die Mieten steigen ja nicht nur, weil Wohnungen knapp geworden sind. Sie gehen auch hoch, weil Vorgaben zur Energieeffizienzsteigerung Investitionen erfordern. Kurz gesagt: Umwelt- und Klimaschutz, aber auch Schall- und Brandschutz kosten uns Geld und Wohlstand.

TPP: Wie stark müssen die Mieten noch steigen, bis der Wohnungsneubau wieder interessant wird?
RB:
Vonovia-Chef Rolf Buch hat vor ein paar Monaten auf eigene Modellrechnungen verwiesen, wonach es sich ab 20 Euro Monatsmiete pro Quadratmeter lohne, wieder zu bauen. Wir haben festgestellt, dass die Angebotsmieten bei höherwertigen Wiedervermietungen in den Top-Sieben-Städten München, Hamburg, Frankfurt, Stuttgart, Düsseldorf, Köln und Berlin zum Teil bereits bei 16 bis 18 Euro liegen und für möblierte Wohnungen 30 bis 40 Euro betragen. Ohne Mietpreisregulierung und Mietpreisbremse wären wir schon bei 20 Euro pro Quadratmeter. Die 20 Euro werden kommen.

TPP: Wer soll diese Mieten bezahlen?
RB:
Die Mieten sind in Deutschland eigentlich nie gefallen. Sie wurden immer nur durch steigende Einkommen wieder tragbar. Die Inflation führt jetzt dazu, dass Lohnabschlüsse in Richtung sieben Prozent Plus gehen. Ich will damit aber nicht sagen, dass die Mieten durch die Lohnerhöhungen für alle wieder bezahlbar werden. Eine andere Ausweichmöglichkeit für Mieter ist der Umzug ins Umland, wo die Mieten geringer sind.

TPP: Steht Deutschland deshalb vor einer Trendumkehr – Flucht aufs Land statt Urbanisierung?
RB:
Jeder Trend trägt quasi einen Gegentrend in sich. Die Urbanisierung hält an, aber sie schreitet mal schneller, mal langsamer fort. Wenn man das Phänomen weltweit betrachtet, dann setzt sich der Zuzug in den großen Städten fort. In Deutschland war dieser Trend lange Zeit unterentwickelt, so dass hierzulande ein Nachholeffekt eingesetzt hat. Die jungen Leute zieht es zur Ausbildung und zum Berufseinstieg nach wie vor in die Städte. Den Gegentrend lösen junge Familien auf der Suche nach großen bezahlbaren Wohnungen aus. Der Gegentrend ist nicht so groß, dass die Bevölkerung in den Schwarmstädten abnimmt und auch bei abnehmendem Zuzug wird es in diesen Städten keinen Leerstand geben, nur der Neubaubedarf wird dort kleiner werden.

TPP: In strukturschwachen Regionen gibt es Leerstand. Sorgt das dort niedrige Mietniveau nun dafür, dass der Leerstand geringer wird?
RB:
Die leerstehenden Gebäude sind häufig unattraktiv, wie etwa Plattenbauten im Osten. Wenn deren Mieter sterben oder aus Altersgründen die Wohnungen verlassen müssen, zieht häufig keiner nach. In ländlichen Gebieten ist Bauland vergleichsweise billig, so dass Neubau zur Alternative für alte, unattraktive Wohnungen wird. Menschen aus Schwarmstädten ziehen eher nicht dorthin. Eine Ausnahme sind ukrainische Flüchtlinge, die erkannt haben, wo es Leerstand gibt. Wir schätzen, dass diese Flüchtlingsgruppe rund 200.000 leerstehende Wohnungen belegt hat. Man darf aber auch nicht vergessen, dass die Hälfte der leerstehenden Wohnungen in einem Zustand ist, in dem man sie nicht beziehen kann. Als Saldo bleiben noch etwa 500.000 ungenutzte, aber bewohnbare Wohnungen übrig, die aber zu einem großen Teil sich an Orten befinden, in die niemand ziehen will.

TPP: In dieser Legislaturperiode wird sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht ändern. Wie beurteilen Sie die Bemühungen für spätere Zeiten gegenzusteuern?
RB:
Wir haben in Deutschland das Problem, das klare Zuständigkeiten fehlen. Die Kommunen entscheiden über das Bauland und die Auflagen für Bauwillige. Die Länder setzen das Baurecht. Der Bund setzt die Rahmenbedingen, wenn es um Klimaschutz und Förderung geht. Jeder kann den anderen beschuldigen, dass er zu wenig macht. Hinzu kommen persönliche und parteipolitische Interessen. Ich habe nicht den Eindruck, dass an einem Strang gezogen wird. Das Paradebeispiel ist die Grunderwerbsteuer, über deren Ausgestaltung seit 15 Jahren diskutiert wird. Der Bund könnte es den Ländern überlassen, Eigennutzern Freibeträge für Erstkäufe zu gewähren. Länder blockieren das Gesetz, obwohl sie nicht verpflichtet wären, Freibeträge einzuräumen. Würden Freibeträge gewährt, würden Käufer schnell 30.000 bis 50.000 Euro zusätzliches Eigenkapital gewinnen.

TPP: Schauen wir auf die Investoren. Ist jetzt für die typischen Zinshauskäufer die Zeit des Einstiegs gekommen?
RB:
Der kleine Selbstständige als klassischer Käufer von Zinshäusern im Bestand würde gern weiter kaufen. Aber er wird zurzeit extrem verunsichert durch Klimaschutzmaßnahmen wie das Heizungsmodernisierungsgesetz. Ihm würde es helfen, wenn er wüsste: Diese Maßnahmen musst Du umsetzen, das wird es Dich kosten und diese Förderung bekommst Du. Fast noch schlimmer als hohe Kosten ist die Unsicherheit über die Höhe der Kosten und die unklare Rechtslage.

TPP: Lassen sich diese Risiken nicht einpreisen?
RB:
Käufer können jetzt anders als vor einigen Monaten über den Preis verhandeln. Sie können jammern, die Zinsen seien hoch, der Kauf berge das Risiko hoher Investitionskosten aufgrund des Heizungsmodernisierungsgesetzes und kommender Sanierungspflichten infolge neuer EU-Vorschriften. Der Käufer hat jetzt wieder Chancen den Preis zu drücken, anschließend die günstigste Bank zu suchen und dann zu schauen, ob sich der Kauf rechnet. Doch für Leute, die einfach nur ein Schnäppchen machen wollen, ist aufgrund der Sanierungsrisiken jetzt der falsche Zeitpunkt, Bestandsgebäude zu kaufen. Selbstnutzer sollten schauen, dass sie einen Neubau günstig schießen können, etwa weil ein Bauträger Kasse machen muss.

TPP: Was wird aus den Häusern aus den Wirtschaftswunderjahren, die weit weg sind von den angedachten Energieeffizienzstandards?
RB:
Ich gehe davon aus, dass sich Firmen darauf spezialisieren werden, Gebäude aus den 1950er und 60er Jahren preiswert zu kaufen, um sie den geplanten neuen Energieeffizienzklassen entsprechend zu modernisieren.

TPP: Herr Braun, vielen Dank für das Interview.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von The Property Post
Erstveröffentlichung: The Property Post, August 2023

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Reiner Reichel, Jahrgang 1956, war viele Jahre Immobilienredaktuer des Handelsblatts. Journalismus betreibt er, wie er Fußball spielt: hart aber fair.

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Dr. Reiner Braun (56) ist seit 2019 Vorstandsvorsitzender der Immobilienanalysegesellschaft empirica AG und seit 2016 Geschäftsführer des Datenspezialisten empirica regio gmbh. Von sich selbst sagt er, er sei der einzige empirica-Mitarbeiter, der noch nie ein Standortgutachten verfasst habe. Verblüffend, denn solche Untersuchungen sind das wichtigste Geschäftsfeld der Berliner. Als er 1994 als Projektleiter bei empirica begann, war er Experte für Einkommens- und Vermögensanalysen sowie Altersvorsorge. Nun liegen die Disziplinen nicht gar so weit auseinander. Schließlich überwiegt im Vermögensmix deutscher Privathaushalte, sofern sie Wohnungseigentümer sind, sehr häufig das Immobilienvermögen. Und ebenso typisch ist es, dass die Einnahmen daraus das Einkommen im Alter aufbessern sollen. Seit 2007 ist Braun Mitglied im Verbandsrat des deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e.V. Zwei Jahre später wurde er Mitglied im Arbeitskreis Immobilienpreise des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBSR). Seit 2010 arbeitet er im Arbeitskreis Bau- und Wohnungsprognostik mit. Dem beruflichen Dreiklang von Analyse, Beratung und Prognostik entsprechen im privaten Bereich Schwimmen, Radfahren, Laufen – Triathlon genannt. Die Zeiten, in denen Braun über die langen Distanzen gegangen ist, sind vorüber. Vor zehn Jahren ist er zum letzten Mal beim Ironman gestartet. Nun begnügt er sich mit der  „Kurzdistanz“, immerhin 1,5 km Schwimmen, 40 km Radfahren und zehn km Laufen. Seine Lösung für das immer noch beträchtliche Trainingspensum: „Ich mache möglichst kein Homeoffice. So kann ich den Weg von und zur Arbeit ins Trainingsprogramm fürs Laufen und Radfahren integrieren.“

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