23.08.2023

Wohin entwickeln sich die Preise?

Brigitte Adam, Geschäftsführende Gesellschafterin von ENA Experts im Interview

Brigitte Adam, Geschäftsführende Gesellschafterin, ENA EXPERTS GmbH & Co. KG Real Estate Valuation
Brigitte Adam

Die Frage nach der Entwicklung der Immobilienpreise ist aktuell besonders spannend für die Immobilienwirtschaft. Brigitte Adam, Geschäftsführende Gesellschafterin von ENA Experts, bewertet jeden Tag Immobilien. Im Interview erklärt sie, wie sich das Nutzerverhalten bei einigen Immobilien substanziell verändert hat und welche Effekte dies auf Immobilieninvestments hat. Bei Immobilienfonds sieht sie die Lage relativ entspannt, vorausgesetzt die Zeit kann genutzt werden, um die Immobilien in der Zwischenzeit zukunftssicher zu machen.

The Property Post: Sie haben schon mehrere Zyklen auf dem Immobilienmarkt miterlebt. Blickt man dann gelassener auf Krisenzeiten wie aktuell?
Brigitte Adam:
Definitiv ja. Wenn man über 30 Jahre Immobilienerfahrung hat, entwickelt man eine gewisse Resilienz und ist entspannter als jene Kolleginnen und Kollegen, die nur die letzten zehn oder 15 Jahre miterlebt haben, als der Markt nur eine Richtung kannte. Angst oder Hysterie nutzen niemandem. Ich habe Vertrauen in die Immobilienwirtschaft und die dort agierenden Personen. Wir werden auch aus dieser Krise gestärkt hervor gehen.

TPP: Wie hoch waren die Immobilienfinanzierungszinsen bei Ihrem Berufseintritt?
BA:
Diese betrugen bei einer zehnjährigen Finanzierung für private Häuslebauer unvorstellbare elf Prozent p.a. Aber das war vor 30 Jahren. In der Immobilienwirtschaft sind das Welten.

TPP: Im Q1 2023 sanken die Immobilienpreise laut statistischem Bundesamt im Schnitt um 6,8 Prozent im Vergleich zum Q1 2022. Wie ordnen Sie das ein?
BA:
Also die 6,8 Prozent sind ein Durchschnittswert über alle Immobilien. Daraus möchte ich keine Pauschalaussage zum Markt ableiten. Man sollte sich vielmehr fragen, in welchen Assetklassen, in welchen Standorten und aus welchen Gründen die Preise tatsächlich zurückgehen. Liegt es an der Situation des Käufers oder des Verkäufers? Welche Mieter können in Zukunft welche Mieten zahlen? Liegt es daran, dass ein großer Instandhaltungsstau oder Investitionsbedarf besteht aufgrund der politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen?
Ein ganz anderes Thema, und das ist wirklich neu, ist eine fundamentale Veränderung des Nutzerverhaltens. Dazu zwei Beispiele. Viele Büromitarbeiter haben entdeckt, dass sie nicht zwingend im Büro arbeiten müssen – gerade im Dienstleistungsbereich. Ergo braucht man in Summe weniger Büroflächen. Ein anderes Beispiel aus meiner Praxis kommt aus dem Einzelhandel: Viele Handelsmieter finden keine Mitarbeiter mehr und sind auf der Suche nach anderen Vertriebswegen Auch dies kann zu einem sinkenden Flächenbedarf führen
Diese Veränderungen im Nutzerverhalten haben wir so in der Dotcom-Krise oder in der Finanzkrise nicht gesehen. Das sind wirklich neue Entwicklungen.

TPP: Nochmal zurück zum Zinsanstieg: Wir haben einen außergewöhnlich schnellen und starken Zinsanstieg hinter uns. Eigentlich müssten die Immobilienpreise rein rechnerisch deutlich sinken. Warum tun sie es (bislang) nicht?
BA:
Ein Teil der Antwort ist, dass einige Verkäufer den Schuss immer noch nicht gehört haben und daher Käufer und Verkäufer derzeit noch nicht zusammenfinden. Aber wir sehen auch hier Bewegung. Langsam beginnt die Verkäuferseite zu erkennen, dass sie bei einer Transaktion nicht mehr jeden Faktor realisieren kann. Aber das findet noch nicht flächendeckend statt.

TPP: Setzen nicht viele auch auf eine Strategie des Aussitzens?
BA:
Das machen in der Tat noch einige. Allerdings sollte man diese Wartezeit nicht nutzlos verstreichen lassen. Dies wäre fatal. Wichtig ist jetzt, den Immobilienbestand zu analysieren und in die Immobilie zu investieren.

TPP: Blicken wir auf die regulierten Fonds (Offene Immobilien-Spezialfonds und offene Immobilien-Publikumsfonds). Alle Vehikel haben mittlerweile mindestens eine Bewertung im „neuen“ Zinsumfeld hinter sich. Wie fallen die turnusgemäßen Bewertungen im Fondsbereich aus?
BA:
Grundsätzlich habe ich nach den ersten Bewertungen nicht den Eindruck, dass die Fondsprodukte deswegen bei der Qualität oder Attraktivität stark nachgelassen haben. Es gibt leichte Abwertungen in verschiedenen Objekten und Assetklassen in unterschiedlicher Höhe. Bei Einzelimmobilien sind Werteänderungen nach unten zwischen minus fünf und minus zehn Prozent partiell erkennbar. Aber daneben gibt es auch Immobilien, Assetklassen und ganze Fonds, die wertstabil sind. Es ist derzeit alles dabei – nur Wertsteigerungen sehen wir keine.
Mein Fazit: In Summe und über die gesamten Portfolios gleicht sich Vieles aus. Hier wirkt die Diversifikation, die ja auch einer der großen Pro-Argumente der Publikumsfonds ist.

TPP: Das deutsche Bewertungsregime steht in dem Ruf, dämpfend und verzögernd auf Marktentwicklungen zu reagieren. Beobachten Sie das in der aktuellen Krise wieder?
BA:
Grundsätzlich sind die Bewerter gehalten, nach der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) zu bewerten, die sich wiederum am Baugesetzbuch Paragraph 194 orientiert. Da ist definiert, dass der Verkehrswert dem Marktwert entspricht, und unterstellt dabei einen gewöhnlichen Geschäftsverkehr. Daher werden Spitzen nach oben wie nach unten nicht vollumfänglich berücksichtigt. Die Frage nach dem gewöhnlichen Geschäftsverkehr ist bei jeder Bewertung zu stellen.
Allerdings geht der Bewerter in der Praxis aktuell so vor wie sonst auch: Er recherchiert, was in der Vergangenheit für Objekte vergleichbarer Art bezahlt wurde. Anschließend werden die Chancen und Risiken für die Zukunft analysiert und entsprechend gewürdigt. Ein Investor macht unterm Strich nichts anderes. 

TPP: Derzeit wird viel diskutiert, ob man mit Immobilien die Inflation schlagen kann. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?
BA:
Ich würde das nicht mit einem eindeutigen Ja beantworten. Aber eine Immobilienanlage ist im Vergleich die Anlage, die am meisten Inflationsschutz bietet. Mit anderen Worten: Die Performance der Immobilie wird nicht immer die Inflation schlagen. Aber sie ist, was den Inflationsschutz angeht, gegenüber den anderen Anlageklassen – vor allem Anleihen und Aktien – überlegen.

TPP: Es gibt aktuell viele Debatten um Wertabschläge bei nicht energieeffizienten Immobilien. Wie berücksichtigt der Bewerter den energetischen Zustand aktuell? Wird dieser stärker gewichtet?
BA:
Ja, natürlich. Wir berücksichtigen ihn stärker, weil ihn der Markt auch stärker einpreist. Und wenn die Marktteilnehmer das Thema sehr stark im Fokus haben, haben wir es natürlich bei der Abbildung in der Bewertung genauso stark im Fokus. Wie gesagt, wir simulieren bei einer Bewertung den Markt.
Eine Ergänzung noch: Ich persönlich finde es schade, dass wir das Thema erst wirklich berücksichtigen, wenn Druck vonseiten des Gesetzgebers wie aktuell mit dem GEG kommt. Meiner Meinung nach hätte der Markt schon viel früher mehr Gewicht auf die Energieeffizienz einer Immobilie legen können.

TPP: Vielen Dank für das Gespräch!

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von ENA EXPERTS GmbH & Co. KG Real Estate Valuation
Erstveröffentlichung: The Property Post, August 2023

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