Infrastrukturprojekte benötigen partnerschaftliche Vertragsmodelle
Bei komplexen Baumaßnahmen im Infrastrukturbereich spielen unbeeinflussbare Risikofaktoren eine besondere Rolle – mehr noch als im Hochbau. Damit angemessen umzugehen, erfordert ein Umdenken bei allen Beteiligten. Während hierzulande noch zu viele Ressourcen für Rechtsstreitigkeiten aufgewandt werden, werden alternative Vorgehensweisen in anderen Ländern bereits erfolgreich praktiziert. TPP sprach darüber mit Prof. Dr. Antje Boldt, Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht und Partnerin bei ARNECKE SIBETH.
The Property Post: Wie kommt es, dass gerade bei Baumaßnahmen im Infrastrukturbereich so häufig Risiken auftreten, die bei anderen Projekten – zum Beispiel im Hochbau – kaum eine Rolle zu scheinen spielen?
Prof. Dr. Antje Boldt: Es gibt zum Beispiel Risiken aufgrund des Baugrunds oder es kann zu Beeinträchtigungen eines Vorhabens durch die Beteiligung von Bürgern kommen. Diese Risiken gibt es bei anderen Hochbauprojekten grundsätzlich auch, aber bei vielen Infrastrukturprojekten ist zum Beispiel die öffentliche Wahrnehmung stärker. Hinzu kommt, dass bei Baumaßnahmen im Bereich der Infrastruktur häufig ein wesentlich komplexeres Zusammenspiel der einzelnen technischen Bereiche erforderlich ist als bei anderen Bauvorhaben. Daraus resultieren erhebliche Risiken, die es so bei anderen Projekten entweder nicht oder zumindest nicht in dieser Größenordnung gibt.
TPP: Wie geht man in der Praxis mit diesen Risiken um – und wo sehen Sie dabei aktuell die größten Probleme?
A. B.: Bislang ist es in Deutschland weithin üblich, dass die ausführenden Firmen bei solchen Projekten mögliche Lücken in der Leistungsbeschreibung oder Risiken antizipieren und bewerten, bevor sie ein Angebot abgeben. Dabei wird angestrebt, das Angebot so zu erstellen, dass später im Zuge der Bauausführung erhebliche Nachtragsforderungen realisiert werden können. Das ist kein verwerfliches Vorgehen, sondern der bisherigen Vertragsstruktur gängiger Bauverträge in Deutschland geschuldet. Diese sind traditionell darauf ausgelegt, dass jede Seite ihren eigenen Vorteil verwirklicht, weshalb die bisherigen Vertragsmodelle eher konfrontationsgeprägt sind.
TPP: Gibt es denn auch Erfahrungswerte mit anderen Vorgehensweisen – und wie sehen diese aus?
A. B.: An dieser Stelle lohnt sich ein Blick über unsere Landesgrenzen hinaus, insbesondere nach England. Dort besteht schon eine lange Tradition von Vertragsmodellen, die – ganz im Gegensatz zu Deutschland – den Kooperationsgedanken durch besondere vertragliche Regelungen fördern und auch durchsetzen.
TPP: Lassen sich diese Vorgehensweisen auch auf die Situation in Deutschland übertragen und gibt es bereits entsprechende Initiativen?
A. B.: Das Problem ist den Betroffenen auf allen Seiten durchaus bewusst, und die Sensibilität dafür nimmt zu. So kam beispielsweise die deutsche Großprojektekommission des Bundes zu dem Ergebnis, dass sich die Art und Weise der Zusammenarbeit aller am Bau Beteiligten ändern müsse, um insgesamt kostengünstigere und terminsicherere Bauprojekte umsetzen zu können. Gerade im Infrastrukturbereich sollte es das Ziel sein, optimale Projektergebnisse miteinander und nicht gegeneinander umzusetzen.
TPP: Wie sehen das die Unternehmen? Sehen Sie Chancen für neue Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft?
A. B.: Eine Vielzahl von Initiativen in der freien Wirtschaft hat sich bereits mit dem Thema von partnerschaftlichen Vertragsmodellen auseinandergesetzt und fordert nun ein Umdenken in der grundlegenden Art der Vertragsgestaltung. Aber auch der Bund hat Forschungsvorhaben initiiert, die sich mit der Umsetz- und Machbarkeit alternativer Vertragsmodelle in vergabe- und vertragsrechtlicher Hinsicht befassen sollen. Insofern bin ich optimistisch, weil auf beiden Seiten offenkundig ein entsprechendes Interesse besteht.
TPP: Wie könnten konkrete Lösungsansätze dafür aussehen? Welche Modelle werden diskutiert?
A. B.: Derartige Modelle könnten beispielsweise vorsehen, dass die Risiken eines Bauvorhabens zunächst identifiziert und klar ausgesprochen und anschließend sachgerecht zwischen den Parteien verteilt werden. Verwirklicht sich ein Risiko nicht oder kann es durch geeignete Maßnahmen minimiert werden, partizipieren die Parteien hieran entsprechend. Die neuen Vertragsmodelle sehen auch vor, dass der Bauauftragnehmer bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt in die Planungsphase einbezogen wird, um sein Know How miteinzubringen. Dieses wird auch durch den wachsenden Einsatz von „Building Information Modeling“ (BIM) unterstützt. Darüber hinaus können Regelungen aufgenommen werden, die den Auftragnehmer belohnen, wenn er Optimierungen hinsichtlich Kosten oder Terminen vornimmt, die auch dem Auftraggeber zugutekommen.
TPP: Und was geschieht, wenn es dennoch einmal zu Unstimmigkeiten kommt?
A. B.: Ein wesentlicher Themenkomplex ist in der Tat auch die Streitkultur der Parteien untereinander. Diese kann beispielsweise durch Vereinbarungen einer baubegleitenden Streitbeilegung durch Dritte oder aber eines aus Vertretern der einzelnen Vertragsparteien zusammengesetzten Gremiums so gestaltet werden, dass bereits während der Bauausführung Entscheidungen und Streitpunkte von der Sachebene auf eine höhere Ebene delegiert werden. Personen die nicht in das unmittelbare Baugeschehen involviert sind, müssen dann gemeinschaftlich Entscheidungen über den weiteren Fortgang der Baumaßnahme treffen. In Australien geht ein entsprechendes Modell sogar so weit, dass die Entscheidungen eines aus Auftraggeber-, Auftragnehmer- und Planungsvertretern zusammengesetzten Gremiums einstimmig erfolgen müssen. Kommt es daher zu geänderten Leistungen, so können nur alle gemeinsam darüber entscheiden, wie mit diesen umzugehen ist. Ob und inwieweit derartige Vertragsregelungen in Deutschland denkbar und praktikabel sind, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Die Tendenz weg vom Streit der Parteien untereinander hin zu einer größeren Kooperation lässt sich jedenfalls sicher nicht mehr aufhalten.
TPP: Vielen Dank für das Gespräch!
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von ARNECKE SIBETH
Erstveröffentlichung: The Property Post, Oktober 2017