Angebotsmangel in Citylagen bewirkt Umdenken
In den Diskussionen um die steigende Nachfrage am Berliner Wohnungsmarkt und das weit dahinter zurückbleibende Angebot stehen vor allem Mieter und Wohnungssuchende im Fokus. Doch auch für klassische Kapitalanleger hat diese Situation Folgen. The Property Post sprach darüber mit Jacopo Mingazzini, Vorstand der The Grounds Real Estate Development AG, Berlin.
The Property Post: Herr Mingazzini, in Berlin gab es kürzlich einen Regierungswechsel, und damit verband sich allgemein auch die Erwartung eines Kurswechsels in der Baupolitik. Was bedeutet das für den Berliner Wohnungsmarkt?
Jacopo Mingazzini: Nach mehr als sechs Jahren, in denen die Entwicklung von Stagnation und Rückschritt geprägt war, hoffen tatsächlich viele Marktteilnehmer, aber vor allem auch Wohnungssuchende in Berlin auf eine Baupolitik des neuen Senats, die diesen Namen auch verdient. Unter Rot-Grün-Rot, gingen erst Jahr für Jahr die Baugenehmigungen zurück, und mit einer gewissen Verzögerung auch die Wohnungsfertigstellungen. Im letzten Jahr wurde zwar wieder etwas mehr fertiggestellt, aber dennoch weitaus weniger als der Senat sich zum Ziel gesetzt hatte. Wir werden sehen, inwieweit hier ein Kurswechsel gelingt, aber es ist jetzt schon klar, dass die Effekte davon erst mittel- oder langfristig spürbar wären. Auf absehbare Zeit ist leider keine Entspannung in Sicht.
TPP: Wenn man sich die Entwicklung der Bevölkerungszahlen ansieht, scheinen sich inzwischen viele Berlinerinnen und Berliner – oder Menschen, die es werden wollen – eher außerhalb der Berliner Stadtgrenzen nach Wohnungen umzusehen. Täuscht der Eindruck oder ist das tatsächlich so?
J. M.: Diese Entwicklung zeichnet sich schon seit einigen Jahren ab. Das Berliner Umland hat in der Tat einen enormen Wachstumsschub erlebt, zu dem auch der angespannte Wohnungsmarkt in der Bundeshauptstadt nicht unerheblich beigetragen hat. Allerdings ist das nicht der einzige Effekt.
TPP: Wie meinen Sie das? Was für Effekte gibt es darüber hinaus noch?
J. M.: Die Entwicklung, die sich in den letzten Jahren im Berliner Umland vollzogen hat, beschränkt sich nicht nur auf die steigende Einwohnerzahl, und es wäre zu kurz gegriffen, sie allein mit dem Wohnungsmangel in Berlin zu erklären. Der Umlandreport, den wir im vergangenen Jahr mit dem IW Köln veröffentlicht habe, zeigte zum Beispiel, dass die durchschnittliche Kaufkraft je Haushalt in den Umlandgemeinden inzwischen um 27 Prozent höher ist als in Berlin. Zudem entwickelt das Umland zunehmend eine eigene wirtschaftliche Stärke und Anziehungskraft. Die Tesla-Fabrik in Grünheide und der neue Flughafen BER sind natürlich außergewöhnlich große Beispiele dafür, aber auch an vielen anderen Orten siedeln sich neue Unternehmen an, es entstehen neue Arbeitsplätze und die Infrastruktur wird ausgebaut. Es gibt also auch ganz unabhängig von der Wohnungsmarktsituation in Berlin gute Gründe, warum sich Menschen gern im Umland von Berlin ansiedeln und dort nach Wohnungen zur Miete oder zum Kauf umsehen.
Am Reitplatz, Dallgow-Döberitz. Quelle: The Grounds / www.hauskauf-brandenburg.de
TPP: Trifft das primär für Mieter und Selbstnutzer von Wohneigentum zu, oder auch für diejenigen, die eine Wohnung oder ein Haus zur Kapitalanlage suchen?
J. M.: Natürlich gab es in den vergangenen Jahren auch immer Kapitalanleger, die Wohnungen oder Häuser in Umlandgemeinden gekauft haben, aber unser Eindruck ist, dass Kapitalanleger das Umland inzwischen immer mehr für sich entdecken. Wer sich früher der Einfachheit halber in Berlin umgesehen hat anstatt an verschiedenen Standorten im Umland, steht heute im Prinzip vor demselben Problem wie jemand, der in Berlin eine Wohnung für sich selbst sucht: Es sind nur relativ wenige Angebote auf dem Markt, und die Nachfrage geht weit darüber hinaus.
TPP: Viele Menschen kaufen ja bevorzugt Anlagewohnungen in Innenstadtlagen, weil es dort eine gut ausgebaute Infrastruktur gibt und die Wohnungen für unterschiedlichste Mieterzielgruppen, von Studenten über Familien bis hin zu Senioren, infrage kommen. Spielt dieses Kriterium inzwischen keine so große Rolle mehr?
J. M.: Es ist eher andersherum: Das Kriterium ist weiterhin wichtig, nur findet man entsprechende Bedingungen nicht mehr nur in der Berliner Innenstadt, sondern auch im Umland vor. Manchmal findet man hier sogar Bedingungen vor, die jene in der Innenstadt noch übertreffen und die mich ein bisschen an „Das Ideal“ von Tucholsky erinnern.
TPP: Sie meinen das Gedicht, das mit den Worten beginnt: „Ja, das möchste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße …“?
J. M.: Ja, das war natürlich ironisch gemeint, aber wenn man stattdessen sagen würde „vorn die Kita, hinten die Pferdekoppel“, dann wäre das zum Beispiel eine ziemlich realistische Kurzbeschreibung unseres aktuellen Privatisierungsprojekts in Dallgow-Döberitz. Das liegt nur knapp hinter der Berliner Stadtgrenze, ist mit der Regionalbahn und der Bundesstraße B 5 sehr gut ans Berliner Zentrum angebunden, und neben Kita und Pferdekoppel liegt auch ein größerer Einkaufspark in fußläufiger Entfernung. Wer hier ein Haus zur Anlage kauft, kann seinen Mietern ein Ambiente bieten, das es so in der Innenstadt nicht gibt. Ähnliche Beispiele gibt es inzwischen sogar auch in größerer Entfernung von Berlin.
TPP: An welche Standorte denken Sie dabei?
J. M.: Das gilt vor allem für die Städte und Gemeinden, die zwar nicht mehr zum Umland im engeren Sinne gehören, aber zum Beispiel lokale Verwaltungsfunktionen und damit innerhalb ihrer Umgebung eine gewissen Zentralität haben und durch Regionalbahnverbindungen, Bundesstraßen oder eine Nähe zur Autobahn gut an das überregionale Verkehrsnetz und an Berlin angebunden sind. Charakteristische Beispiel dafür sind Orte wie Bernau, Eberswalde oder Fürstenwalde.
TPP: Herr Mingazzini, vielen Dank für das Gespräch!
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von The Grounds
Erstveröffentlichung: The Property Post, Mai 2023