Das dominierende Thema am Kapitalmarkt ist derzeit die Inflation. Im April stiegen die Inflationsraten in Deutschland und den USA überraschend auf 2 Prozent bzw. auf über 4 Prozent. Die Angst vor einer restriktiveren Geldpolitik mit höheren Zinsen beschäftigt auch Immobilieninvestoren: Handelt es sich um einen strukturell bedingten Preisanstieg, der in den nächsten Jahren für permanenten Preisauftrieb sorgt?
Die Inflation war fast vergessen. Stehen wir nun am Beginn einer neuen Zeit mit Preissteigerungen und hohen Zinsen?
Prof. Straubhaar: Voraussagen über die Preisentwicklung sind deutlich schwieriger geworden, weil wir eine Verschiebung alter Gesetzmäßigkeiten zur Kenntnis nehmen müssen. Etwa seit dem Jahr 2010 beobachten wir, dass die Theorie der Monetaristen, nach der das Wachstum der Geldmenge und das Wachstum der Gütermenge in einem funktionalen Zusammensteht steht, nicht mehr der Realität entspricht. Uns fehlen im Moment überzeugende Theorien, die die Realität erklären können. Ich denke, für das Jahr 2021 ist es aber Konsens, dass die Preise steigen. In Europa und Deutschland dürfte sich das in der Größenordnung von wohl etwas mehr als den an sich angestrebten 2 Prozent bewegen, aber ob das schon eine Inflation im klassischen Sinne ist, da würde ich drei Fragezeichen machen.
Prof. Schindler: Wir werden in Europa kurzfristig höhere Inflationsraten bekommen, meines Erachtens sogar noch höher als die zuletzt erreichten. Die Ursachen hierfür liegen in diversen Einmaleffekten, die sich in den nächsten Monaten verstärkt in der Inflationsrate widerspiegeln dürften. Beispielsweise sind Steuereffekte zu nennen, wie das Zurücknehmen der Mehrwertsteuerreduzierung und die Einführung der CO2-Steuer. Außerdem sind die Sparraten mit Werten um die 20 Prozent in der Pandemie außergewöhnlich hoch gewesen. Es ist damit zu rechnen, dass aufgestauter Konsum nachgeholt wird. Weitere preistreibende Faktoren beobachten wir in den Rohstoffmärkten. Ob dies aber zu einer klassischen Inflation mit Zweitrundeneffekten führt, wie etwa Lohnsteigerungen, das sei tatsächlich einmal dahingestellt. Hierfür dürfte eine stärkere und nachhaltige Auslastung der Produktionskapazitäten erforderlich sein.
Obwohl die Preise steigen, sehen Sie also noch keine klassische Inflation. Liegt das an der Kernteuerung?
Prof. Straubhaar: Ja, das kann man so sagen. Die starken Preissteigerungen des Jahres 2021 sind keine Basiseffekte, sondern wie Herr Prof. Schindler schon sagte, handelt es sich um Einmaleffekte. Die Kerninflationsrate, die die Preise für den Energiesektor und Lebensmittel ausblendet, ist bezogen auf den Euroraum tatsächlich nur noch halb so hoch – also eher bei einem als zwei Prozent. Das heißt aber nicht, dass deswegen schon Entwarnung angesagt ist. Es können und werden andere Einmaleffekte kommen. So wie es beispielsweise mit dem Suez-Kanal-Effekt bereits der Fall war. Hier steigen die Preise, weil Wertschöpfungsketten gestört werden. Wir werden in diesen disruptiven Zeiten dauerhaft mit verschiedenen Sondereffekten rechnen müssen.
Wagen Sie dennoch einen Ausblick auf die Inflationsraten in den nächsten Jahren?
Prof. Straubhaar: Ich erkenne nicht, dass es zu eigendynamischen, sich selbst verstärkenden realwirtschaftlichen Schüben kommt. Diese können nach bisherigen Erfahrungen nur entstehen, wenn das Lohnniveau nach oben schnellt. Ich bin daher etwas entspannter, was den mittelfristigen und längerfristigen Inflationsdruck anbetrifft. In den 2010er Jahren hat die Globalisierung die Inflation gefressen, in den 2020er Jahren wird die Digitalisierung diese Rolle übernehmen.
Prof. Schindler: In den letzten drei Dekaden hat die weltweite Arbeitsteilung den Inflationsdruck in der Tat niedrig gehalten. Künftig wird sich der Digitalisierungseffekt in gleicher Weise niederschlagen, aber auch Faktoren wie Produktionspotenziale, Protektionismus und Demografie sind zu beachten. Ich denke, wir werden künftig höhere Inflationsraten sehen als in den letzten fünf bis zehn Jahren, aber ich erwarte sie auf längere Sicht niedriger als in den Jahren 2021 und 2022.
Welche Auswirkungen hat die Inflation für die Immobilienmärkte?
Prof. Schindler: Eine steigende Inflation hilft zunächst definitiv bei bestehenden Gewerbemietverträgen, da die Mietpreise vertraglich häufig an die Inflationsrate gekoppelt sind und somit die Indexierung bei höheren Inflationsraten stärker auf die Mieten durchschlägt. Mit Blick auf die Rendite von Immobilieninvestitionen ist es jedoch viel spannender, wie die geldpolitischen Akteure auf eine Inflation reagieren und welche Auswirkungen geldpolitische Entscheidungen auf der Zinsseite und an den Kapitalmärkten mit sich bringen. Die EZB hat sich diesbezüglich bisher noch nicht klar positioniert, während die US-Notenbank ihre Strategie bereits letztes Jahr angepasst hat und zunächst auch Inflationsraten über 2 Prozent über einen gewissen Zeitraum akzeptieren wird. Es ist daher durchaus vorstellbar, dass wir eine Periode mit weiterhin negativen oder Null-Zinsen bekommen, was die Leitzinsen anbetrifft – bei gleichzeitig höherer Inflation. In diesem Umfeld dürften Real Assets in der strategischen Asset Allokation weiter an Bedeutung gewinnen und die Anleihemärkte bieten auf der Renditeseite selbst bei leicht steigenden Zinsen keine echten Alternativen. Somit dürfte auch der Kapitalstrom in die Immobilienmärkte global anhalten und für einen weiterhin hohen Anlagedruck in den Immobilienmärkten sorgen. Genau zu beobachten bleiben Veränderungen in den Finanzierungsbedingungen im Zuge von leichten Veränderungen bei den Kapitalmarktzinsen.
Höhere Inflation und niedrige Zinsen, wie passt das zusammen?
Prof. Straubhaar: Es gibt einige realwirtschaftliche Gründe dafür, dass die Zinsen noch eine Weile tief bleiben und wir zugleich etwas steigende Preise in Kauf nehmen müssen. Unter Makroökonomen gibt es dazu gerade einen heftigen Debattenstreit, ob die niedrigen Zinsen monetär bedingt sind oder durch reale Transformationsprozesse wie Digitalisierung und Demografie. Wenn die niedrigen Zinsen realwirtschaftlich begründet sind, wofür ich selbst eine hohe Sympathie habe, dann können wir natürlich trotzdem eine monetär bedingte Inflation haben. Das schließt sich nicht aus. Aber ein wichtiger Effekt wird in diesem Zusammenhang noch viel zu wenig diskutiert. Ich nenne ihn brutal: ‚Das Ende der Externalitätengesellschaft‘. Damit will ich ausdrücken, dass die Zeit ökonomischer Entscheidungen, für deren ökologische oder soziale Auswirkungen niemand bezahlt oder einen Ausgleich erhält, vorbei sind. In der Vergangenheit waren die Renditen auch deshalb so hoch, weil Umwelt- und Klimakosten oder die gesellschaftlichen Folgen von Billiglohnarbeit nicht wirklich abgebildet wurden.
Haben die steigenden Immobilienpreise in erster Linie monetäre oder reale Ursachen?
Prof. Straubhaar: Nehmen wir zum Beispiel den Wohnungsmarkt. Es ist völlig klar, dass die steigenden Immobilienpreise bei weitem nicht nur monetär bedingt sind, sondern auch realwirtschaftlich. Wir haben es hier mit enormen Nachfrageeffekten und historischen Trends zu tun.
Prof. Schindler: Beispielsweise stieg die Wohnfläche pro Kopf über die letzten Dekaden sukzessive an und besonders Standorte in den wachstumsstarken Metropolregionen mit guter sozialer und verkehrstechnischer Infrastrukturanbindung gewinnen an Bedeutung und besitzen sehr positive demographische Prognosen. Es sind also – neben den niedrigen Realzinsen – auch weitere starke reale Effekte, die zu den steigenden Immobilienpreisen beitragen.
Können Nachfrageeffekte den Einfluss von Inflation und Zinsentwicklung überlagern?
Prof. Straubhaar: Ja, die Rückkehr der Realwirtschaft gegenüber der Geldwirtschaft könnte man sogar als steile Zukunftsthese formulieren. Denn die Bedeutung der Geldpolitik scheint tatsächlich etwas abzunehmen. Das beginnt bei der politischen Neuorientierung in den USA mit dem Stichwort der ‚modernen monetären Theorie‘, das geht weiter bei der Zinsdämpfung realer Faktoren wegen bis hin zum Immobilienmarkt. In diesem Jahrzehnt dürften in der Tat die realwirtschaftlichen Faktoren, verglichen mit den monetären Faktoren, wichtiger werden.
Prof. Schindler: Für die Immobilienmärkte erwarten wir, dass Core-Objekte noch stärker gefragt sein werden. Nicht nur die Lage, sondern auch die Qualität und vor allem die Flexibilität von Immobilien werden wichtiger. Ebenso erlangen Stadtteilentwicklungen, Mixed-Used-Konzepte und city-nahe Logistiknutzungen eine größere Bedeutung. Ein weiterer entscheidender Punkt ist darüber hinaus die Nachhaltigkeit von Gebäuden – insbesondere die ökologischen und sozialen Aspekte mit Blick auf ESG.
Prof. Straubhaar: Wir werden in den nächsten zehn Jahren in unterschiedlichen Sektoren so viele und starke technologische Neuerungen erleben, dass es sich viel mehr lohnt in Szenarien zu denken als nur auf Prognosen der Inflation und der Zinsentwicklung zu achten.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Warburg-HIH Invest Real Estate
Erstveröffentlichung: Warburg-HIHI, Investoren-Newsletter, Ausgabe Q2/2021, Juli 2021