Was bedeuten sie für Immobilieninvestoren?
Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, setzt auch der stationäre Einzelhandel immer stärker auf digitale Technologien. The Property Post sprach mit Susanne Klaußner MRICS, Geschäftsführende Gesellschafterin der Deutsche Investment Retail GmbH, über die aktuellen Trends in diesem Bereich und deren Implikationen für Immobilieninvestoren.
The Property Post: Einige Einzelhandelsketten testen zurzeit verschiedene neue Konzepte und realisieren in ihren Shops Digitalisierungsmaßnahmen. Was sind dabei aus Ihrer Sicht die wichtigsten Trends und Ansätze?
Susanne Klaußner: Der aktuellste Trend ist die Ergänzung des uns bekannten klassischen Lebensmittelmarktes durch volldigitalisierte Abholstationen, in denen die Warenzusammenstellung über eine App läuft und der Kunde seinen digital zusammengestellten Warenkorb erhält, nachdem er zum Beispiel auf dem Bahnhof nebenan angekommen ist. Damit bleibt die Küche zu Hause auch dann nicht kalt, wenn der Zug deutlich verspätet ankommt, denn der Markt ist immer offen.
Während der Corona-bedingten Lockdown-Phasen sind die Menschen zu anderen Zeiten einkaufen gegangen und die Gewohnheiten haben sich verändert. Hierauf kann der Lebensmitteleinzelhandel gut mit derartigen Konzepten als Ergänzung reagieren. Das wird den Einkauf im Markt vor Ort nicht ersetzen, aber eben sinnvoll ergänzen. Ich denke, die Kassenzonen, wie wir sie kennen, wird es nach und nach in den nächsten Jahren nicht mehr geben. Der Bezahlvorgang wird digital vonstattengehen, die Kassenzone wird zur Warenpräsentation genutzt und kann attraktiver gestaltet werden. Das derzeit größte Problem hierbei dürfte die Vermeidung von Diebstählen sein. Wenn diese Problematik gelöst ist, dann muss die Ware nicht mehr auf das Band gelegt werden. Sicher wird es auch in den nächsten Jahren noch jeweils eine oder zwei Kassenzonen geben, bis sich alle Kunden mit dem digitalen Verfahren angefreundet haben, aber irgendwann wird der Ladenbetrieb weitgehend digital stattfinden.
TPP: Betrifft das nur den Lebensmitteleinzelhandel oder rechnen Sie im Non-Food-Bereich mit ähnlichen Trends? Und welche Aspekte spielen dabei noch eine Rolle?
S. K.: Das gilt auch für Modehändler, die ihre Läden ergänzend zum normalen Tagesbetrieb auch 24/7 öffnen können. TYPY ist sicher eine sehr attraktive Alternative zum klassischen Laden und klassischen Öffnungszeiten. Hier müssen natürlich die Politik und das Baurecht mitspielen. Die bisherige Rechtslage ist zu hinterfragen und wir müssen uns überlegen, wo wir den Handel haben wollen. Dort muss er dann auch die passenden Rahmenbedingungen für neue Konzepte vorfinden. Vorgeschriebene feste Ladenöffnungszeiten sind eigentlich nicht mehr zeitgemäß. Gleichzeitig geht der Trend weiter zu nachhaltigen Gebäudekonzeptionen und einer ansprechenderen Gestaltung der „Marktplätze". „Das Auge isst mit" ist keine neue Erkenntnis, aber heute aktueller denn je. Frischeprodukte zum Selberernten aus dem Gewächshaus mit Abwiegen und Bezahlung per App sind enorm nachhaltig. Die Plastikverpackung fällt bei der Ware weg und der Kassenbon ist nicht mehr aus Papier, sondern wird digital auf die Bezahlfunktion des Mobiltelefons geschickt. Das ist wesentlich ressourcenschonender als die herkömmliche Verfahrensweise.
TPP: In welchen dieser neuen Ansätze sehen Sie das größte Zukunftspotenzial? Was wird sich durchsetzen und warum?
S. K.: Was sich durchsetzt, entscheidet am Ende natürlich der Kunde, aber es gab noch nie so viele interessante Ansätze wie heute und daher bleibt es sehr spannend, wohin sich die Vertriebskonzepte im Lebensmitteleinzelhandel, aber auch bei allen anderen Händlern entwickeln. Durchgesetzt haben sich bis dato ja schon die regionalen Produktangebote und nachhaltige Produkte. Inzwischen kauft kaum noch ein Kunde Eier, die nicht mindestens aus Bodenhaltung kommen und am gefragtesten, daher rar, sind die Eier aus Freilandhaltung. Diese Trends muss der Handel aufnehmen. Da kommt es den Händlern zugute, dass alle Marktteilnehmer über ein engmaschiges Filialnetz verfügen und Lieferwege optimiert werden können.
Das Ende der klassischen Kassenzone gilt nicht nur für den Lebensmitteleinzelhandel. Wer seine Mitarbeiter mit iPads ausrüstet, die mit online Bezahlsystemen kommunizieren können, der spart sich auch in anderen Handelsformaten die Kassen, und die Kunden zahlen gleich online beim Verkäufer oder der Verkäuferin. Das spart Wartezeit und Wege, die uns keinen Mehrwert bieten und eher das lästige Ende eines Einkaufs sind.
TPP: Welche Konsequenzen haben diese Entwicklungen für Investoren, die sich für Einzelhandelsimmobilien interessieren?
S. K.: Die Trends im Lebensmitteleinzelhandel setzen ein engmaschiges Filialnetz voraus und daher sind Investoren, die über gute Handelsstandorte in ihrem Portfolio verfügen, auch sicher gut aufgestellt. Allerdings werden sich die Anforderungen an die Immobilien verändern, denn die Gebäude werden nachhaltiger und nicht mehr ohne Zertifizierung gebaut. Mit sich verändernden Konzepten werden sich auch die Anforderungen verändern, insbesondere an die Haustechnik und vor allem natürlich an die Leistungsfähigkeit des Internetanschlusses. Ohne leistungsfähigen Datenanschluss keine Digitalisierung! Entscheiden wird aber immer die Umsatzstärke des Standortes: Wenn der Standort umsatzstark ist, wird der Händler ihn nicht aufgeben. Sofern Investoren also ausreichend CAPEX-Budgets einplanen, werden sie noch lange Freude haben an ihren Investments. In Highstreet-Lagen bin ich allerdings nicht so optimistisch, denn dort werden zwar nicht mehr zeitgemäße Konzepte verschwinden, jedoch nicht immer durch neue ersetzt werden. Will heißen, die Fußgängerzone als reine Shoppingmeile wird uns nicht erhalten bleiben, aber der Handel wird auch dort immer eine wesentliche Rolle spielen, ergänzt durch andere Angebote.
TPP: Bei welchen Trends sind Sie eher skeptisch und warum?
S. K.: Auch wenn Lieferservices immer wieder an den Start gehen, glaube ich nicht, dass sie flächendeckend die Versorgung über den stationären Handel ersetzen oder diesen nachhaltig gefährden werden, vor allem nicht im periodischen Bedarf. Hier entscheidet die kurzfristige Verfügbarkeit, denn ich will den Lebensmitteleinkauf dann erledigen, wenn ich die Lebensmittel benötige, und zudem nicht stundenlang warten bis die Lieferung kommt. Als Ergänzung in besonderen Lebenslagen kann ich mir den Lieferservice vom Laden aus als Angebotsergänzung gut vorstellen. Das ist aber nicht neu. In ländlichen Regionen lohnt sich ein autarker Lieferservice nicht.
TPP: Welche regionalen Unterschiede sind dabei zu erwarten, beispielsweise zwischen Entwicklungen in Metropolen und im ländlichen Raum?
S. K.: Der Konkurrenzkampf um gute Standorte wird in den Metropolen weiter gehen und dort wird es zuerst Veränderungen geben, weil durch den Wettbewerb ein Zwang besteht, immer attraktiv zu bleiben. In den ländlichen Regionen haben wir dort eine stabile Entwicklung, wo der Handelsbesatz so verträglich ist, dass auch ein Bevölkerungsrückgang die Umsätze nicht so schwinden lässt, dass ein Standort aufgegeben werden muss. Das ist ja auch ein wesentlicher Teil der Analyse in der Ankaufsphase. Letztlich ist das in der aktuellen Preisentwicklung ablesbar. In den Metropolen liegen die Multiplikatoren selbst für Lebensmitteleinzelhandelsimmobilien deutlich über dem 20-fachen, während wir in der Fläche noch deutlich darunter liegen. Das Preisniveau ist schon sehr hoch, aber das spiegelt eben die Erfahrung der letzten 14 Monate wider.
TPP: Frau Klaußner, vielen Dank für das Gespräch!
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Deutsche Investment Retail GmbH
Erstveröffentlichung: The Property Post, Juni 2021