Ein Gespräch über den makroökonomischen Ausblick und die Folgen für institutionelle Portfolios.
Die große Angst vor steigenden Inflationsraten ist nicht mehr gerechtfertigt, analysiert Dr. Gertrud R. Traud. Bereits 2024 wird die Teuerungsrate auf das Jahr gerechnet bei 3,5 Prozent liegen und 2025 wieder unter der Drei-Prozent-Marke. Auch beim Zinsanstieg liege der allergrößte Teil des Weges nach oben hinter uns. Anleihen und Aktien haben 2022 bereits deutlich korrigiert, bei Immobilien ist die Preiskorrektur das dominierende Thema des Jahres 2023. Über den makroökonomischen Ausblick und die Folgen für institutionelle Portfolios sprach The Property Post mit der Chefvolkswirtin der Helaba.
The Property Post Institutional: Wir scheinen den Peak bei der Inflation hinter uns zu haben. Im März 2023 sank die Rate von 8,7 auf 7,4 Prozent. Wird die Inflation weiter sinken und auf welchem Level wird sie sich mittelfristig bewegen?
Gertrud R. Traud: Die Rahmenbedingungen für eine weiter sinkender Inflation sind ziemlich gut. Die Situation bei den Einkaufspreisen der Unternehmen hat sich deutlich entspannt, da die Lieferkettenproblematik aufgrund des Auslaufens der letzten Corona-Restriktionen – auch in China – weitgehend vom Tisch ist. Hinzu kommt die aktuelle Aufwertung des Euros. Auch dies wirkt dämpfend auf die Inflation, da importierte Güter günstiger werden. Dagegen kommt Druck von der Binnenseite, was sich aktuell an den relativ hohen Lohnforderungen der Gewerkschaften zeigt. Ich rechne für 2023 mit einer Inflationsrate von jahresdurchschnittlich 6,0 Prozent und für 2024 von 3,5 Prozent. Erst 2025 werden wir wieder eine Zwei vor dem Komma sehen.
TPP: Also sind wir dann wieder auf einem Level wie in der Zeit vor der Pandemie?
GRT: Nein. Da würde ich widersprechen. Von Beginn der Währungsunion bis 2019 lag die Inflationsrate im Schnitt bei rund 1,5 Prozent. Wenn wir uns künftig zwischen 2,5 und 3,0 Prozent bewegen, sind das bis zu 150 Basispunkte mehr. Mit anderen Worten: Wir müssen uns langfristig auf strukturell höhere Inflationsraten einstellen. Gründe dafür sind die Kosten für die Dekarbonisierung und Digitalisierung, ein Abflachen der Globalisierung und die Demografie. Aber die ganz große Angst vor weiter steigenden Inflationsraten ist derzeit nicht mehr gerechtfertigt. Die einzige Ausnahme wäre ein unvorhersehbarer externer Schock. Aber wie der Name schon sagt. Dies lässt sich nicht prognostizieren.
TPP: Inflation und Zinsen müssen immer zusammen betrachtet werden. Die Zinsen sind sowohl in den USA als auch in der Eurozone im historischen Vergleich sehr schnell angehoben worden. In den USA liegt der Leitzins jetzt bei 5,0 Prozent, in der Eurozone bei 3,5 Prozent. Ist damit das Ende der Fahnenstange erreicht?
GRT: Der Blick auf die eingepreisten Erwartungen des Kapitalmarkts zeigt, dass die Zinsen bereits im laufenden Jahr wieder runtergehen sollten. Wir hingegen erwarten, dass die Fed und die EZB noch einen kleinen Zinsschritt nach oben machen und 2023 noch keine Zinssenkungen vornehmen. Warum denken wir das? In den USA ist keine heftige Rezession in Sicht, außerdem sind die Kerninflationsraten – das ist die Inflation ohne Lebensmittel- und Energiepreise – immer noch vergleichsweise hoch. Die Trendwende steht noch aus. Erst wenn sich diese manifestiert hat, werden die Notenbanken die Zinsen senken.
Mittlerweile zeigt sich, dass der sehr rasche Zinsanstieg an verschiedenen Stellen negative Folgen nach sich zieht – beispielsweise bei der Abwertung von lang laufenden Anleihen aus der Niedrigzinsära. In den USA sind deswegen schon kleinere Banken in Schieflage geraten – Stichwort Silicon Valley Bank und First Republic Bank. Wo rechnen Sie mit weiteren negativen Folgen der Zinswende?
GRT: Ein derart schneller Zinsanstieg tut natürlich weh – auch den Banken. Neben positiven Effekten wie steigenden Zinsgewinnen stehen auf der Negativseite die Bewertungsabschläge bei Vermögenswerten und ein rückläufiges Neugeschäft. Abwertungen bei Anleihen sind solange kein Problem wie ausreichend Liquidität vorhanden ist. Wer die Anleihen bis zum Ende der Laufzeit halten kann, kommt nicht unter Druck. Mit anderen Worten: Das Problem kann einfach ausgesessen werden. Schwierig wird es, wenn – wie jetzt in den USA – Einlagen abfließen und dieses Risiko nicht abgesichert wurde. Buchverluste müssen dann zu den niedrigeren Kursen realisiert werden. Das hat Folgen. Grundsätzlich muss jede Bank das Zinsänderungsrisiko managen.
BASF und andere Unternehmen verlagern Jobs ins Ausland. Der Grund sind die im internationalen Vergleich hohen Energiepreise hierzulande. Welche Folgen haben die hohen Energiepreise für Wohlstand und Wirtschaftswachstum? Und was sollte die Politik tun?
GRT: Die Politik hat die Aufgabe, die Rahmenbedingungen für die Unternehmen zu setzen. Darunter fallen u. a. eine gute Infrastruktur, eine Steuer- und Abgabenpolitik, die die Unternehmen wettbewerbsfähig hält, sowie effiziente Prozesse bei Verwaltung und Regulierung. Ausufernde Energiekosten machen einen Standort unattraktiv. Sowohl für die Wirtschaftspolitik als auch die Geldpolitik sollten Stetigkeit und Verlässlichkeit weitere wesentliche Faktoren sein. Die Politik sollte externe Schocks abfedern und nicht noch mehr Stress generieren. Kurz: Viele Faktoren machen den Unternehmen in Deutschland das Leben schwer. In den USA beispielsweise ist vieles einfacher, unkomplizierter und auch günstiger. Das sehen global agierende Unternehmen. Außerdem haben wir ein Problem mit der Wahrnehmung des Unternehmertums. Ich würde mir wünschen, dass Unternehmer und das Erstellen von Gütern und Dienstleistungen in Deutschland wieder als etwas Positives wahrgenommen wird.
Ein Wort zur Energiepolitik: Diese ist von vielen Absurditäten geprägt. Wir wollen uns von Russland unabhängig machen und setzen gleichzeitig auf LNG. Wir tauschen also die eine Abhängigkeit durch die andere. Zudem haben wir in Deutschland genug Fracking-Gas, das wir aber nicht nutzen wollen, weil uns die Technologie zu schmutzig ist. Gleichzeitig tun wir so, als ob das importierte LNG sauber wäre. Außerdem müsste man auch die Kernkraftwerke länger laufen lassen, wenn man das Ziel der Energieunabhängigkeit ernst nähme.
Welche Anlagestrategie würden Sie institutionellen Investoren im aktuell „stagflationären“ Umfeld raten?
GRT: Lassen Sie uns die drei wichtigsten Assetklassen durchgehen: 2022 hatten wir einen Aktiencrash. In diesem Jahr werden dagegen Dividendentitel die Outperformer sein. Ich gehe davon aus, dass wir 2023 sogar neue Höchststände sehen werden. Parallel dazu hatten wir letztes Jahr einen Rentencrash. Die Folge ist, dass Anleihen derzeit in fast allen institutionellen Portfolios untergewichtet sind. Daher kaufen viele Investoren jetzt wieder Rentenpapiere. Dies ist auch sinnvoll, da es positive Nominalzinsen gibt.
Bleiben die Immobilien?
GRT: Korrektur ist das Thema des Jahres 2023 in dieser Assetklasse – und diese ist noch nicht vorbei. Sie wird erst enden, wenn klar ist, dass keine Zinserhöhung mehr kommt bzw. Zinssenkungen anstehen. Kapitalwerte sind somit noch unter Druck, während die Mieten steigen. Der Gesamtertrag muss entsprechend nicht zwingend negativ sein.
2022 ging der mehr als zehn Jahre anhaltende Boom am Immobilienmarkt zu Ende. Mit welcher weiteren Entwicklung rechnen Sie am Immobilienmarkt?
GRT: Vermutlich schon in der zweiten Jahreshälfte wird die Schockstarre, in der wir uns aktuell befinden, enden. Dann wird es wieder zu Transaktionen kommen. Aber das Preislevel wird ein anderes sein als vor dem Schock. Ich bin zurückhaltend bei Aussagen zum Umfang der Korrektur. Es ist aber klar, dass das neue Preisniveau deutlich niedriger sein wird. Niemand wird mehr am Immobilienmarkt zu den Preisen von Ende 2021 kaufen.
Institutionelle haben ihre Immobilienquoten in den vergangenen zehn Jahren massiv ausgebaut. Wird sich diese Entwicklung umkehren?
GRT: Immobilien werden auch weiterhin in den Portfolios allokiert. Aber es wird nicht mehr so sein wie in den letzten Jahren, in denen alle in großem Umfang Immobilien kaufen wollten und Immobilien quasi eine Einbahnstraße – fast ohne Risiko – waren. Was die Assetklasse stützt, sind die gesunden Mietmärkte. Es gibt kein Überangebot an Immobilien – weder auf dem Wohnungsmarkt noch im Büromarkt – so wie das beispielsweise nach der Wiedervereinigung der Fall war, als wir viel zu viele Wohnungen hatten.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Richard Haimann
Erstveröffentlichung: The Property Post print und online vom Mai 2023