„Wir sind die Schweiz der Immobilienwirtschaft“
Digitalisierung geht nicht ohne Schlagwörter: Künstliche Intelligenz, Virtual Reality, Plattformen, Cloud, Predictive Analytics… die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Was hinter diesen Begriffen steckt und wie sie konkreten Mehrwert für die Immobilienbranche bringen, erklärt Dr. Philipp Päuser, COO des Berliner PropTechs Architrave, im Interview mit „The Property Post“.
TPP: Herr Dr. Päuser, Sie sind nach Stationen bei verschiedenen Unternehmen der Digitalwirtschaft im April 2018 zur Geschäftsführung des PropTechs Architrave gekommen. Stimmt es aus Ihrer Sicht, dass die Immobilienwirtschaft in puncto Digitalisierung hinterherhinkt?
Päuser: Das ist ein immer wieder erhobener Vorwurf, den ich nicht bestätigen kann. Es ist doch klar: Je mehr Umsatz in einer Branche gemacht wird, desto mehr Mittel stehen für die Digitalisierung bereit. Im DAX haben wir genau ein einziges Immobilienunternehmen. Unter den umsatzstärksten Branchen Deutschlands finden sich die historisch gewachsenen Industrien wie Autobau, Elektronik oder Pharma. Die deutsche Immobilienwirtschaft ist kleinteilig bestimmt, bei der Bauwirtschaft ist dieses Phänomen noch ausgeprägter. Sie benötigen daher zwei, drei große Vorreiter, damit der Digitalisierungsprozess gelingt. Wir sind als Plattformgeber gerade dabei, mittels unserer Initiative Real Estate Data Summit (REDS) die Großunternehmen der Branche zusammenzuführen. Insofern sehen wir uns in der Rolle der kleinen Schweiz: Ob UNO, Genfer Konvention oder die zahlreichen Friedenskonferenzen – die großen Staaten treffen sich in der kleinen Alpenrepublik. Analog dazu kommen die großen Immobilienunternehmen beim PropTech Architrave in Berlin-Treptow zusammen, um sich auf ein gemeinsames Verständnis beim Datenaustausch zu einigen.
TPP: Vor Architrave waren Sie Mitgründer eines Startups und zudem lange Jahre in der Energiewirtschaft tätig. Inwieweit ist Digitalisierung denn ein branchenübergreifender Prozess?
Päuser: Sie haben in allen Branchen wiederkehrende Phänomene. Am Anfang steht die Erkenntnis ineffizienter Prozesse, die zu viel Arbeitszeit schlucken und zu viele Materialkosten verschwenden. Gerade wenn es sich um repetitive Prozesse handelt, bietet sich eine Automatisierung mittels Software an. Der zweite Schritt ist in der Regel die Beauftragung eines externen Dienstleisters, da gerade am Anfang die Kosten hierfür niedriger sind als wenn Sie intern ein Digitalisierungs-Team aufbauen. Diese Dienstleister können durchaus branchenübergreifend arbeiten, solange sie die notwendige technologische Expertise aufweisen können. Um eine Branche nachhaltig zu durchdringen, ist Fokussierung jedoch der maßgebliche Erfolgsfaktor. Nur mit Branchen-Knowhow und tiefem Prozessverständnis können wirklich digitale Workflows konzipiert und abgebildet werden. Und nur auf Basis einer gemeinsamen Sprache und enger Vernetzung kann gezielt auf die Bedürfnisse der Kunden eingegangen bzw. können diese vorausgeahnt werden.
TPP: Im Zusammenhang mit der Digitalisierung fallen auch immer wieder Begriffe wie „Datenstandards“, „Plattform“ und die ominöse „Cloud“. Sind das mehr als nur leere Schlagworte oder lässt sich ein vollständig digitalisiertes Unternehmen nicht auch ohne sie denken?
Päuser: Nur in der Theorie. Denn wer ohne Standards digitalisiert, befindet sich schnell in einem Datensilo. Bei einem Unternehmen geht es ja immer auch um die Interaktion mit externen Dritten, seien es nun Zulieferer oder natürlich Ihre Kunden. Was nutzt Ihnen das perfekte Inhouse-System, wenn Sie Ihre Daten nicht mit Dritten teilen können? Digitalisierung ist viel mehr als nur die Abkehr von Papier und der Einsatz von Software. Ihre größte Errungenschaft ist tatsächlich die reibungslose Austauschbarkeit von Daten. Wenn sich alle Beteiligten auf ein Datenformat, also einen gemeinsamen Standard, einigen, können Sie beispielsweise die Auswertungen verschiedener Dienstleister nahtlos in ihre eigenen Systeme übernehmen – ohne Anpassungen oder umständlichen Export. Wenn dann auch noch sämtliche Teilnehmer einer Branche an einem Ort zusammenkommen, um Dienstleistungen auszutauschen, entsteht mehr Transparenz und damit eine höhere Effizienz. Was in der analogen Welt die Messe, ist in der digitalen Welt die Plattform.
Lassen Sie uns das Ganze noch einen Schritt weiterdenken: Über die Haltedauer einer Immobilie haben Sie sämtliche Informationen in einem standardisierten Datenformat archiviert. Aufgrund der Mengen werden diese Daten heute sinnvoller Weise in der Cloud, das heißt in einem dezentral verfügbaren Speicher, abgelegt. Wollen Sie die Immobilie nun weiterverkaufen, müssen Sie nicht mehr die Daten übergeben. Es genügt, mit der Schlüsselübergabe dem Käufer auch die Zugriffsrechte auf die in der Cloud gespeicherten Informationen zu übertragen. Es gehen keine Daten mehr verloren und – viel wichtiger – der Käufer kann dank des Standards alle Daten direkt und ohne monatelanges Onboarding in seinen eigenen Systemen verwenden.
TPP: Ein weiteres „Buzzword“ der Branche ist Künstliche Intelligenz. Sind wir schon an einem Punkt, wo mit dieser Technologie wirklich Mehrwert geschaffen wird?
Päuser: Absolut. Architrave setzt den Hebel hier bei den Dokumenten an. Ganz einfach, weil die Prozesse der Immobilienbranche immer noch dokumentenzentriert sind. Große Asset Management Unternehmen erhalten jährlich mehrere hunderttausend Dokumente. Viele Workflows gestalten sich deshalb zeit- und ressourcenintensiv. Künstliche Intelligenz hilft schon heute, zahlreiche Routineprozesse im Dokumentenmanagement zu automatisieren. Unser kürzlich gestarteter KI-Roboter DELPHI übernimmt beispielsweise die Sichtung, Klassifizierung, Benennung und Sortierung von Dokumenten. Darüber hinaus werden die relevantesten Daten extrahiert. Für Asset Manager, ihre Teams und externe Dienstleister bedeutet dies eine enorme Arbeitserleichterung.
TPP: Wo steht die Architrave-Plattform in fünf Jahren?
Päuser: Ziel ist es, Architrave zu einer Art „Betriebssystem für Immobilien“ zu entwickeln, zu einer Plattform, die sämtliche Daten, Dokumente, Prozesse und Services zur Bewirtschaftung einer Immobilie im gesamten Life-Cycle zur Verfügung stellt. Im Vergleich zu heute wird der Anteil an digital vorliegenden und digital generierten Daten weiter steigen und somit die Dokumente als Datenheimat Schritt für Schritt ablösen. Perspektivisch steigt dadurch die Datenfülle und das bietet natürlich viele Ansatzpunkte für neue Geschäftsmodelle und Services. Eine umfangreiche und solide Datenbasis ist Ausgangspunkt für Echtzeitanalysen, Benchmarking, Predictive Analytics, Forecasts, Risikoeinschätzungen, Stresstests sowie Bewertungen. So erfahren Asset Manager auf Knopfdruck, wie sich Objekt X an einem ganz bestimmten Standort in den nächsten zehn Jahren entwickelt. Und für Ihre Ankaufentscheidung haben Sie gleich die gesamte Objekthistorie und seine Performance vorliegen. Architrave als Plattform ermöglicht so fundierte, datenbasierte Management-Entscheidungen.
TPP: Herr Dr. Päuser, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Architrave GmbH
Erstveröffentlichung: The Property Post, Januar 2019