Ein Gespräch über fragwürdige Prognosen und digitale Unterstützung beim Vertrieb von Eigentumswohnungen
Die Coronavirus-Krise schien zunächst eine echte Bedrohung für die Immobilienmärkte, wird jetzt aber zunehmend als Katalysator für bereits vorhandene Entwicklungen wahrgenommen. Vieles, was ohnehin auf der Tagesordnung stand und manches, was ohne zusätzlichen Impuls eventuell anders verlaufen wäre, findet nun quasi im Zeitraffer statt und stellt nahezu alle Markteilnehmer vor vor einem Jahr noch nicht vorstellbare Herausforderungen. Besonders betroffen ist die Bauträgerbranche mit ihren vergleichsweise langen Produktentwicklungszyklen. Entsprechend sehen sich die Entwickler von Eigentumswohnungen mit einer Vielzahl unterschiedlicher Prognosen zu manchmal widersprüchlichen Trends konfrontiert. Wir haben dazu mit dem Datenspezialisten Florian Frey, Geschäftsführer von allmyhomes, gesprochen.
The Property Post (TPP): Herr Frey, welche Hypothese zu künftigen Wohntrends hat sie am meisten überrascht?
Florian Frey (FF): Da möchte ich kein Ranking machen. Grundsätzlich überrascht mich das Selbstbewusstsein, mit dem Aussagen zur Zukunft des Wohnens in die Welt gesetzt werden, ohne dass es dafür eine belastbare Grundlage gibt. Jüngstes Beispiel ist ein angeblicher Trend zu wieder abgeteilten Küchen. Weil die Menschen vermehrt zu Hause kochen, würden sie sich wegen der Dünste wieder vom Wohnbereich abgeteilte Kochbereiche wünschen. Genauso könnte man sagen, der Trend geht zur offenen Küche, weil gemeinsames Kochen und Essen als sozialer Akt während des Lockdowns an Bedeutung gewonnen haben. Es gibt jedenfalls keine Statistik, die das widerlegt.
TPP: Wie ist es mit dem Umzugsverhalten? Der Trend ins Umland gilt seit diesem Sommer als gesetzt.
FF: Das ist ähnlich wie bei der Küche. Es gibt sicherlich viele Haushalte, die jetzt lieber ins Grüne ziehen, weil man sich dort auch unter Coronabedingungen freier bewegen kann, man zusätzlichen Platz fürs Homeoffice braucht und die Toleranz gegenüber längeren Fahrzeiten in die Innenstadt gewachsen ist. Was plausibel klingt, stellt Bauträger allerdings vor eine kaum zu überschätzende Herausforderung. Sollen Sie auf der Basis dieser Vermutung ein mehrere Jahre dauerndes Projekt anschieben und einen siebenstelligen Betrag auf diese Karte setzen oder doch lieber weiter bauen wie bewährt? Das Dilemma lässt sich auf der Basis der verfügbaren Daten kaum lösen. Die Mehrzahl der kurzfristig publizierten Vorhersagen dient offensichtlich vor allem dem Zweck, den Analysten im Gespräch zu halten und dessen Positionen öffentlichkeitswirksam zu bestimmen. Der Nutzwert der Prognosen für die Akteure auf den Immobilienmärkten bleibt dagegen überschaubar und wird umso geringer, je langfristiger der Marktteilnehmer orientiert ist.
TPP: Was raten Sie Projektentwicklern?
FF: Wer Eigentumswohnungen baut, ist weniger an allgemeinen Trends als an konkreten Aussagen zu den Vermarktungschancen seines Projektes interessiert, die wiederum stark von der jeweiligen Mikrolage und den architektonischen Möglichkeiten abhängen. Wir führen daher für unsere Kunden Testings in den Soziale Medien durch und messen die Reaktion der Interessenten auf mögliche Angebote. Im Ergebnis haben wir dann die Datengrundlage, die Entwickler für Planung und Vermarktung ihres Projektes brauchen.
TPP: Was aber ist, wenn sich im Projektverlauf das wirtschaftliche Umfeld so plötzlich ändert, wie wir das in diesem Jahr erlebt haben?
FF: Wer heute größere Wohnungsbestände im Einzelverkauf anbietet, sollte sich kontinuierlich versichern, ob seine aktuellen Vermarktungsmaßnahmen Wirkung zeigen, die Zielgruppe noch interessiert ist oder eventuell neue Käufergruppen unterwegs sind. Denn inzwischen plagen sich sogar Berufsgruppen, wie zum Beispiel Piloten, mit Existenzsorgen, denen früher noch jedes Darlehen hinterhergetragen wurde. Währenddessen sehen andere die wirtschaftliche Unsicherheit geradezu als Aufforderung, um ihr lang erspartes Geld in einer Immobilieninvestition zu parken. Im Ergebnis müssen Vermarktungskonzept sowie Produkt- und Preisgestaltung oftmals schneller und häufiger angepasst werden. Das heißt: Wichtiger als jede Prognose ist momentan die Fähigkeit zur raschen Datenanalyse und die Möglichkeit, auf Veränderungen der Nachfragesituation flexibel und schnell reagieren zu können.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von allmyhomes
Erstveröffentlichung: The Property Post, Oktober 2020