14.05.2024

Chancen werden langsam erkannt

Immobilienwirtschaft entdeckt Potenziale von KI, digitalem Zwilling & Co.

Dr.-Ing. Christian Westphal, CEO, Crem Solutions GmbH & Co.KG
Dr.-Ing. Christian Westphal

Schlagworte wie künstliche Intelligenz (KI) oder digitaler Zwilling sind in der Immobilienbranche immer häufiger zu hören, sorgen aber in vielen Unternehmen immer noch eher für Unsicherheit als für konkrete positive Erwartungen. Über die Gründe dafür und über neue Perspektiven, die sich dadurch erschließen, sprach The Property Post mit Dr.-Ing. Christian Westphal, CEO der Crem Solutions GmbH & Co. KG.

The Property Post: Herr Dr. Westphal, wo hakt es denn beim Thema Digitalisierung in der Immobilienwirtschaft aus Ihrer Sicht am meisten? Wo sehen Sie aktuell die größten Defizite und Probleme?
Dr.-Ing. Christian Westphal:
Wenn man sich ansieht, was in den letzten Jahren zum Teil in Umfragen erfasst wurde oder aus Gesprächen mit Kollegen, Geschäftspartnern und potenziellen Kunden zu erfahren war, dann fällt vor allem eine Divergenz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung auf. Viele Unternehmen befinden sich in der Betrachtung von außen nicht dort, wo sie selbst zu sein glauben. Und sie nutzen die digitalen Potenziale noch weitaus weniger, als sie könnten.

TPP: Können Sie das bitte noch etwas näher erklären? Was sind Ihre Meinung nach die Ursachen dafür?
C. W.:
Bis vor einigen Jahren wurde das Thema Digitalisierung in der Immobilienwirtschaft vernachlässigt, und es gab – verglichen mit anderen Branchen – lange Zeit auch vergleichsweise wenig Druck, in diese Richtung aktiv zu werden. In den zurückliegenden Jahren hat sich zwar schon einiges geändert, aber es gibt noch viel „Luft nach oben“. Viele Unternehmen wissen, dass sie etwas tun müssen, um zukunftsorientiert am Markt zu bestehen. In der Praxis werden die Themen jedoch sehr verschieden angegangen. Viele wissen gar nicht um die Möglichkeiten und vor allem, bislang werden kaum komplette Prozesse digitalisiert, sodass Unternehmen oft bei einzelnen Teil- oder Insellösungen stehen bleiben.

TPP: Welche Lösungsansätze gibt es aus Ihrer Sicht, um die Situation zu verbessern?
C. W.:
Zum einen können Anbieter von Softwarelösungen für die Immobilienwirtschaft den Unternehmen beispielsweise bei der Optimierung und Automatisierung von Arbeitsabläufen mithilfe von ERP-Systemen helfen. Teilweise werden diese immer noch so genutzt wie vor fünf Jahren. Zwischenzeitliche Weiterentwicklungen, die maßgebliche Unterstützung liefern, werden kaum wahrgenommen.
Zum anderen gibt es interessante Ansätze von verschiedenen PropTechs. Ein Hindernis dabei ist allerdings, dass sich diese oft auf die Optimierung eines ganz bestimmten Prozesses fokussieren – wir nennen das Insellösungen - beispielsweise auf die Vermietung. Somit decken sie wieder nur einen Teilbereich im Unternehmen ab. Mit Blick in die Zukunft ist es hier wichtig, übergreifende bzw. ganzheitliche Prozesse zu nutzen. Softwarelösungen müssen daher untereinander kompatibel sein und diese PropTechs müssen in ein übergreifendes ERP-System integrierbar sein, was mitunter nicht immer gegeben ist. Wir haben hier einige wertvolle Partner gefunden, mit denen wir den Funktionsumfang von iX-Haus erweitern können. Gleichzeitig sind wir immer offen für neue Tools, die hilfreich sein können.

TPP: Worin könnten Anreize bestehen, dass Unternehmen dem Thema mehr Priorität geben?
C. W.:
Zuerst einmal müssen Unternehmen einen gewissen „Schmerz“ empfinden, sonst wird in der Regel kein neues IT-Projekt begonnen. Wenn aber zum Beispiel ein Wettbewerber plötzlich viel schneller ist und Kunden abzuwandern drohen, Mieter immer unzufriedener werden oder wenn Anforderungen die personellen Ressourcen überfordern, dann ist die Aufgeschlossenheit für neue IT-Lösungen und für die Gestaltung neuer, digitaler Prozesse oft viel größer. Ein wichtiger Treiber der Entwicklung könnte zudem die Ausweitung der Verpflichtung zu ESG-Reportings sein. Das erfordert eine umfangreiche Datenerfassung, die ohne digitale Lösungen kaum zu bewältigen ist. Gleichzeitig könnte das auch die Standardisierung von den in der Immobilienwirtschaft erfassen Daten und den Umgang mit diesen Daten weiter voranbringen.

TPP: Woran denken Sie beim Stichwort Standardisierung, welche Entwicklung erwarten Sie hier?
C. W.:
Die Daten und vor allem die Analyse der Daten wird für die Immobilienwirtschaft immer wichtiger, um ökonomisch und ökologisch nachhaltige Entscheidungen zu treffen. So wird auch der Austausch von Daten entscheidend sein. Dieser kann nur auf der Basis von Standards reibungslos vonstatten gehen.
Wir sind mit iX-Haus nun schon seit über 40 Jahren am Markt präsent und verfolgen die Entwicklung entsprechend lange. Derzeit sehen wir auf der Anbieterseite eine gewisse Konsolidierung. Dadurch werden manche Lösungen nicht bedarfsgerecht weiterentwickelt. Wir hinterfragen uns und unsere Lösungen regelmäßig und passen das System dann orientiert an den Marktanforderungen, neuen Standards und gesetzlichen Vorgaben an, um darauf zu reagieren, was unsere Kunden künftig erwarten und benötigen.
Einige Anbieter machen das nicht. Trotzdem meiden viele Unternehmen einen Wechsel ihres ERP-Systems, weil das aus ihrem Blickfeld sehr zeit- und kostenaufwendig erscheint. Ist es aber mitunter nicht. Und noch einfacher wäre es, wenn es übergreifende Daten- und Prozessstandards geben würde, um Softwarewechsel und Datentransfers noch unkomplizierter zu gestalten oder z.B. neuere Lösungen (PropTechs) direkt mit den am Markt etablierten Systemen kompatibel sind.
Bisher wurde da oft von jedem etwas ein bisschen anders gemacht, allerdings auch oft aufgrund der Arbeitsabläufe der jeweiligen Kunden oder Auftraggeber. Solange die Auftraggeber, Nutzer und Immobilienunternehmen keine übergreifende Standardisierung umsetzen, gibt es auf der Ebene der operativen Dienstleister kaum eine Chance dafür, Softwaresysteme und Daten schnell und problemlos auszutauschen. Das könnte sich durch die Veränderungen bei den ESG-Anforderungen ändern, ähnlich wie wir es in einigen Bereichen schon bei der Einführung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gesehen haben.

TPP: An welchen Herausforderungen und Produkten arbeiten Sie denn im Moment besonders, was ist Ihnen aktuell besonders wichtig?
C. W.:
Ein großes Thema ist für uns die Automatisierung von Prozessen und der Umgang mit Daten oder besser gesagt das Berichtswesen. Wie gesagt, Daten und deren Analyse werden in Zukunft entscheidend sein. Unser Mutterkonzern, die Nemeteschek Group, hat dafür eine komplett neue Lösung für den digitalen Zwilling auf den Markt gebracht. Darin fließen von der Planung, über den Bau bis hin zum Betrieb von Immobilien alle Daten zusammen. Bisherige Lösungen sind oft nicht ganzheitlich und betreffen nur ausgewählte Aspekte, aber nicht das Gebäude und den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie als Gesamtheit. Beim dTwin, dem digitalen Zwilling von Nemetschek, werden die einzelnen Komponenten und Daten aus den unterschiedlichen Phasen einer Immobilie zusammengeführt. Alle relevanten Daten werden an einer Stelle gesammelt, visualisiert und verknüpft, sodass sie natürlich auch für unterschiedliche Reportings nutzbar sind, egal, ob es um ESG, Vermietungsfragen oder um die Brandschutztüren und die Wartungspläne der Feuerlöscher geht. Einerseits werden wir hier als Nemetschek Tochter mit den vielfältigen Nutzungsdaten unserer verschiedenen Lösungen integriert sein. Andererseits ist dTwin ein offenes System, dass auch die Daten anderer externer Lösungen integrieren kann.

TPP: Welche Rolle spielt KI in diesem Zusammenhang?
C. W.:
Hier gibt es noch große Potenziale, aber auch große Vorbehalte. Für manche ist es heute immer noch etwas „spooky“, vor allem weil man nicht genau greifen kann, warum eine künstliche Intelligenz eine Entscheidung trifft. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass auch Menschen Fehler machen, und die Künstliche Intelligenz heute schon eine geringere Fehlerquote aufweist als der Mensch. Wir müssen lernen, diese – unter Umständen von unserer eigenen Meinung abweichende - zweite Meinung bei unserer eigenen Entscheidungsfindung zu berücksichtigen, um der Künstlichen Intelligenz eine Chance zu geben. Ich würde sogar so weit gehen, dass eine Ignoranz der Künstlichen Intelligenz gegenüber das eigene Geschäftsmodell grundlegend gefährdet. Die Künstliche Intelligenz wird die Art, wie wir arbeiten, sehr stark verändern, dabei aber auch Problemlöser für allgemeine Herausforderungen wie z.B. der Fachkräftemangel sein.

Künstliche Intelligenz wird die Branche stark voranbringen, jedoch nicht pauschal und allgemein, sondern durch konkrete Verbesserungen in einzelnen Bereichen. Themen, wo heute schon ein großer Nutzen von KI absehbar ist, sind etwa die Beurteilung von Mietausfallrisiken oder Prognosen zu möglichen Ausfällen wie beispielsweise Heizungsdefekten – das Thema Predictive Maintenance oder vorausschauende Wartung also. Daneben können z. B. Lösungen für das Energiemanagement Abweichungen im Verbrauch erkennen und Anpassungen vorschlagen oder Verträge von Energieanbietern vergleichen und das beste Angebot raussuchen. Wenn Unternehmen diese Potenziale konsequent nutzen, können sie ihre Kapazitäten und Ressourcen wesentlich effizienter und nachhaltiger einsetzen als bisher sowie immense Kosteneinsparungen erzielen. Und Mitarbeiter, die bislang durch repetitive oder wenig anspruchsvolle, aber notwendige Tätigkeiten gebunden waren, können für höherwertige Aufgaben eingesetzt werden.

TPP: Herr Dr. Westphal, vielen Dank für das Gespräch.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Crem Solutions GmbH & Co. KG
Erstveröffentlichung: The Property Post, Mai 2024

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