Die Immobilienwirtschaft steckt in Teilen in einer Krise. Der Koalitionsvertrag der Ampel wird diese Krise alleine nicht lösen, ist Dr. Paul Kowitz, Politikberater von KPC Berlin, überzeugt. Er hält Koalitionsverträge ohnehin in Teilen für politische Folklore und nimmt im Gespräch eine differenzierte Lageeinschätzung vor.
The Property Post: Sie beraten Unternehmen der Immobilienwirtschaft in politischer Hinsicht. Seit 2,5 Jahren regiert die Ampel, die sich selbst „Fortschrittskoalition“ taufte. Was sagen Sie Ihren Kunden: Hat die Ampelregierung der Immobilienwirtschaft einen Fortschritt gebracht?
Paul Kowitz: Die Frage ist aus zwei Gründen schwer zu beantworten. Zum einen haben sich die äußeren Rahmenbedingungen, unter denen beispielsweise der Koalitionsvertrag geschlossen wurde, massiv verändert. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat eine Energiepreiskrise ausgelöst, hat in der Folge die Inflation getrieben und damit auch Geld teurer gemacht, was viele Bauprojekte erschwert. Das erklärt nicht alles, aber zumindest in Teilen, warum in der Anfangszeit kein Fortschritt sondern Krisenmanagement zu erwarten war. Zum anderen kann man die Bilanz des Koalitionsvertrages als vermeintlichen Gradmesser sehr unterschiedlich bewerten?
TPP: Inwiefern?
PK: Nun, quantitativ könnte man die Anzahl der im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben zählen und schauen, was man erreicht hat. Diese reine Zahlenmessung würde ein sehr enttäuschendes Bild für die Ampel abgeben. Von den 48 Vorhaben im Baukapitel, die wir zählen, sind gerade einmal 18 Projekte abgeschlossen und neun weitere in der Pipeline. Wenn man also sagt, dass zwei Drittel der Legislaturperiode um sind und bestenfalls knapp die Hälfte überhaupt erst in Angriff genommen ist, mag das – diplomatisch formuliert – ein überraschendes Bild sein.
TPP: Sie sehen das aber nicht so kritisch?
PK: Zumindest halte ich die quantitative Messung für nicht allein urteilsrelevant. Schaut man sich die Vorhaben an, die man zwar vereinbart, aber noch gar nicht begonnen hat, dann sind darunter vor allem Projekte, die der Immobilienwirtschaft ziemlich wehtun würden. Beispielsweise die Teilwarmmiete, die man einführen wollte, oder die Milieuschutzregelungen, die man verlängert wollte, ebenso wie das kommunale Vorkaufsrecht, das man stärken und die Kappungsgrenze, die man absenken wollte. In der qualitativen Betrachtung sollte die Branche also eher froh sein, dass der Statusbalken beim Abarbeiten des Koalitionsvertrages nicht so weit fortgeschritten ist.
TPP: Dann würde der „Fortschritt“ der selbsternannten Fortschrittskoalition für die Immobilienwirtschaft also vor allem im Status Quo bestehen. Wo hätten Sie sich denn mehr Fortschritt gewünscht?
PK: Ich will nicht in alte Floskeln verfallen, die von Bürokratieabbau oder Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung sprechen. Beides finde ich natürlich wichtig. Aber ich habe tatsächlich relativ wenig Verständnis dafür, dass wir angesichts einer wirklich akuten Krise am Bau eigentlich keine echte, staatlich induzierte Investitionsoffensive erleben. Ich meine, die deutsche Volkswirtschaft wächst quasi gar nicht im Moment, auch weil das Exportmodell wegen der geopolitischen Risiken an seine Grenzen geraten ist. Als Regierung kann ich nicht die geopolitischen Risiken wegzaubern. Umso wichtiger wäre es, die Binnenkonjunktur zu stärken. Was läge da näher, eine Branche zu stärken, die für 19 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich ist – nämlich die Bau- und Immobilienwirtschaft. Ich hätte mir in der aktuellen Lage schon einmal eine Sonderkonferenz der Bundes- und Länderbauminister gewünscht, die ein Papier mit Maßnahmen erstellen, die binnen eines halben Jahres umgesetzt werden können.
TPP: Was wären das aus Ihrer Sicht für Maßnahmen?
PK: Im Kern wären das Maßnahmen, die den Unternehmen helfen. Deshalb würde ich als erstes einmal die Unternehmen selbst fragen, statt vom Spielfeldrand aus kluge Ratschläge zu geben. Ich vermisse an manchen Stellen einfach Mut, Pragmatismus und Innovation. Mir scheint die Genehmigungsfiktion noch immer ein spannender Mechanismus zu sein, der kurzfristig greift. Marktunterbietende Zinsverbilligungen, Anwerbeabkommen für Fachpersonal am Bau oder zumindest zeitlich befristete Kaufnebenkostensenkungen wären ein kraftvolles Signal. Daran sieht man aber mal, wie schlecht Koalitionsverträge auf sich ändernde Umstände vorbereitet sind.
TPP: Der Koalitionsvertrag sieht doch eine Flexibilisierung der Grunderwerbsteuer vor oder Typengenehmigungen für modulares Bauen, genauso wie Tilgungszuschüsse zur Bildung von Wohneigentum. Das sind doch handfeste Maßnahmen, die auch in der Krise helfen könnten.
PK: Ja richtig, aber keines der eben genannten Vorhaben befinden sich auch nur in einem Vorstadium zu einem Gesetzentwurf. Das zeigt, wie viel Folklore in einem Koalitionsvertrag steckt. Als angehende Koalition schreiben Sie sich Dinge auf, die Sie zwar für richtig halten, aber genau wissen, dass die niemals kommen werden. Die FDP will einen Freibetrag auf die Grunderwerbsteuer, bei dem die Grünen entweder sagen, dass es gar nicht einzusehen ist, warum allgemeines Steuergeld für die Wohneigentumsbildung einer Familie verwendet werden soll oder warum überhaupt neue Eigenheime entstehen sollten. Die Grünen wiederum wollen die „Neue Wohngemeinnützigkeit“, bei der die FDP sagt, dass man das sprichwörtlich zu Tode prüfen wird, damit das steuergeldverschlingende Vorhaben bloß nicht kommt.
TPP: Dann haben Koalitionsverträge also eigentlich keine Aussagekraft oder Bedeutung in Ihren Augen?
PK: Soweit würde ich nicht gehen. Aber es ist schon etwas paradox: Die erste Koalition der BRD, die im Jahr 1949 geschlossen wurde, kam gänzlich ohne formellen Vertrag aus. Auch vier Jahre später bestand der „Koalitionsvertrag“ aus einem lockeren Briefwechsel, der zwischen den Parteizentralen CDU, CSU, FDP und DP gewechselt wurde. Den ersten echten Koalitionsvertrag gab es 1957 und der hatte acht Seiten! Die erste Koalition von Willy Brandt hatte einen Koalitionsvertrag, der bestand noch aus drei Seiten. Niemand würde behaupten, dass die Koalition nicht handlungsfähig war oder Deutschland in den Abgrund regiert hätte. Heute hat der Ampelkoalitionsvertrag 178 Seiten. Je länger ein Koalitionsvertrag ist, desto weniger gelingt es einer Regierung, alle Vorhaben umzusetzen. Aber je länger er wird, desto stärker hat er einen disziplinierenden Charakter auf die Koalitionäre. Kein Koalitionsvertrag war bislang kürzer als sein Vorgänger und dennoch ist es nicht gelungen, die Komplexität der Welt darin zu erfassen – geschweige denn die Zukunft.
TPP: Was bedeutet das künftig für die Immobilienwirtschaft, wenn wir diesen und die nächsten Koalitionsverträge lesen?
PK: Ich glaube, es gibt ein entscheidendes Missverständnis in der Betrachtung von Koalitionsverträgen, in dem wir dessen Funktion unsachgemäß verzerren. Es geht um Verständigung und nicht um Konkretion. Ein Koalitionsvertrag ist eben kein Vertrag, sein Inhalt daher kein Gesetz, bestenfalls eine Absichtserklärung. Wir sollten mittlerweile gelernt haben, dass das Abarbeiten eines Koalitionsvertrages ohnehin durch Krisen und Veränderungen, durch externe Schocks und Unbeeinflussbares in nahezu jeder Legislaturperiode der Arbeit von Sisyphos gleicht. Wenn die Funktionalität eines Koalitionsvertrages im gemeinsamen Verständnis auf Themen und deren Lesart besteht, kann es ein „Durchsetzen“ in „Verhandlungen“ ohnehin nicht geben. Wir sollten also solche Texte ganzheitlicher lesen und fragen: Ist das plausibel und konsistent, was da steht? Hilft es der Wirtschaft wirklich, auch für Krisen gerüstet zu sein? Und wenn nicht, dann muss die Immobilienwirtschaft darauf hinweisen und für Maßnahmen werben, auch wenn diese nicht oder anders im Koalitionsvertrag vereinbart sind.
TPP: Wir danken Ihnen für das Gespräch.
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Erstveröffentlichung: The Property Post, Mai 2024