09.07.2024

“Banken müssen früher proaktiv werden!“

Gläubiger können ihre durch Not leidende Projekte verursachten Verluste deutlich reduzieren.

Thomas Richter, Partner / München, avocado rechtsanwälte
Thomas Richter

The Property Post (TPP): Sie haben Sibeth Arnecke Dabelstein verlassen und sind mit Ihrem Team zum 1. Januar 2024 als Partner bei Avocado Rechtsanwälte eingetreten. Worauf werden Sie hier künftig Ihre Schwerpunkte in der Rechtsberatung legen?

Thomas Richter (TR): Ein wesentlicher Schwerpunkt der Beratung ist, wie in meiner vorherigen Position auch, die Projektbegleitung, nicht nur in der Immobilienwirtschaft, sondern auch in der Industrie, beispielsweise beim Anlagenbau. Im Bereich Real Estate begleiten wir von der Strukturierung bis zur Verwertung die vollständige Wertschöpfungskette. Unsere Beratung geht dabei über rein rechtliche Aspekte deutlich hinaus. Dank unserer Projekterfahrung und meines in vielen Berufsjahren gewachsenen Netzwerks können wir auch das Prozessmanagement von Projekten wirksam unterstützen. Auf der Investorenseite beraten wir neben institutionellen Investoren vor allem auch Family Offices.

TPP: Im Moment finden relativ wenige Immobilientransaktionen und Neubaumaßnahmen statt. Wann rechnen Sie mit einer Wiederbelebung? Und was ist sind aus Ihrer Sicht hierfür notwendige Rahmenparameter?

TR: Die Branche hofft bekanntlich auf die Absenkung des Leitzinses durch die Europäische Zentralbank, die ja auch schon eingeleitet wurde. Der Bankensektor hingegen rechnet meiner Beobachtung nach nicht mit einem deutlichen Rückgang. Ich glaube, es wird immer mindestens eine Drei vor dem Komma stehen. Auf der Fremdkapitalseite wird die eigentliche Veränderung nicht in einer signifikanten Zinssenkung, sondern in der Wiederherstellung der Zinsstabilität bestehen. Auf der Marktseite üben hohe Baukosten und gestiegene Finanzierungskosten weiterhin Druck auf die Bewertungen aus. Die derzeit noch relativ moderaten Abwertungen werden ja gern mit dem Fehlen von Vergleichswerten begründet, aber das wird sich nicht dauerhaft durchhalten lassen. Kurzum, die Marktbereinigung ist noch nicht zu Ende, und sie hat auch den Bausektor erfasst. Bauunternehmen bemühen sich intensiv um Aufträge, weil sie hohe Kapazitäten aufgebaut haben, die sie nun auslasten müssen. Die Situation erinnert an die auf den Nachwendeboom folgende Katerstimmung. Im internationalen Vergleich ist die deutsche Bauwirtschaft zu wenig digitalisiert und arbeitet auch deshalb nicht effizient genug. 

TPP: Sie verfügen bei der Begleitung von Bauprojekten über einen breiten und historisch gewachsenen Erfahrungsschatz. Welche Trends beobachten Sie aktuell?

TR: Liquidität ist zu einem zentralen Engpassfaktor geworden. Deshalb versuchen einige institutionelle Investoren derzeit Mittel und Wege, um aus existierenden Forward Fundings wieder herauszukommen. Käufer stellen zudem verstärkt wieder Bedingungen, beispielsweise Vorvermietungsquoten, Exit-Optionen und andere Garantien. Wir sehen in Kaufverträgen Vereinbarungen, die es früher nicht gab. Die Phase des „Gekauft wie besehen“ ist definitiv vorbei. Bei Gewerbemietverträgen sehen wir einen Trend zur Indexierung.

TPP: Die Zahl und das Volumen notleidender Projektentwicklungen ist seit dem Zinsanstieg sprunghaft gestiegen. Gibt es dafür einen Markt? Welche Käufergruppen sehen Sie in diesem Feld?

TR: Theoretisch wären jetzt vor allem eigenkapitalstarke Family Offices am Zug, zumal in den Büromärkten ein Unterangebot droht. Tatsächlich ist die Zurückhaltung noch recht ausgeprägt, unter anderem wegen der mit Developments verbundenen Risiken. Selbst spektakuläre Projekte sind nur mit hohen Eigenkapitalquoten finanzierbar, oder mit Abschlägen, die von den Banken nicht oder noch nicht akzeptiert werden. Die Finanzierer sind ohnehin derzeit das Fragezeichen im Markt. Streben sie die Fertigstellung mit Servicern an oder suchen sie den schnellen Exit mit entsprechenden Haircuts? Noch fallen die Antworten sehr unterschiedlich aus. In vielen Fällen versuchen die Banken, den Projektentwickler über Wasser zu halten. Wir begleiten aber zunehmend auch Vertragsübernahmen, bei denen die Gläubiger einen Servicer mit der Fortführung des Projekts beauftragen. Die Finanzierer sind hier oft die treibende Kraft.

TPP: Wo bestehen für Sie als projektsteuernder Anwalt die Unterschiede, die rechtlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen und wie könnten Lösungen aussehen, damit ein neuer Investor einsteigt?

TR: Das ist je nach Situation unterschiedlich. Bei einer Insolvenz im Planungsprozess kommt es darauf an, ob der Entwickler noch in der Baurechtschaffung ist oder schon mit der Realisierung begonnen hat. Im ersten Fall ist die Lösung einfacher, im zweiten kann der Gläubiger versuchen, die Entwicklung neu aufzusetzen. Dazu braucht es ein Team aus Projektentwicklern, Projekt-Managern und Juristen, aber das kostet natürlich und funktioniert nicht ohne Wertabschläge. Dazu sind Gläubiger oft noch nicht bereit. Zudem sind Entscheider auf der Gläubigerseite häufig weit weg vom Projekt und fühlen sich nicht ausreichend informiert. Das liegt auch an den Schwächen des Projektmonitorings: Projektbudgets sind auf eine definierte Dauer hin ausgelegt. Bei einigen Banken klingelt der Alarmknopf erst, wenn dieses Budget ausgeschöpft ist. Vom Beleihungswert geht zudem eine trügerische Sicherheit aus. Es ist zwar richtig, dass der Gläubiger in der Verwertung einen Verkaufspreis lediglich in Höhe des Beleihungswerts erzielen muss. Aber ein Rohbau ist erst einmal unverkäuflich. Meiner Meinung nach müssen die Banken Projektentwicklungen stärker und besser monitoren und früher proaktiv agieren. Oft lohnt es sich, die Entwicklung mit neuer Mannschaft fortzusetzen. Ein erfahrener Projektsteuerer kann dabei helfen, Schnittstellen zu reduzieren, Effizienzen zu heben und so Wertabschläge zu reduzieren.

TPP: Einzelvergabe, GÜ-Auftrag, GU-Auftrag oder Partnering/Bauteam-Modell –welche dieser Vertragsformen sehen Sie als beste Wahl für die Projektfortsetzung?

TR: Keines dieser Modelle ist per se besser oder schlechter. Es geht darum, die Variante auszuwählen, die am besten zum Projekt und zu den Beteiligten passt. Hat der Bauherr die Expertise für eine Einzelvergabe, kann das die beste Lösung sein. Fehlt diese Kompetenz, wäre ein echtes Construction Management at risk theoretisch ein sehr passendes Modell. Es muss ja möglichst schnell weitergebaut werden. Der übernehmende Baupartner ist aber in kurzer Zeit gar nicht in der Lage, den stecken gebliebenen Bau sauber zu erfassen, die vorhandenen Risiken zutreffend zu bewerten und belastbar zu kalkulieren. Also bietet er mit hohen Angstzuschlägen sehr teuer an, wenn er Pauschalpreise oder ähnliches vereinbaren soll. Oder man einigt sich auf ein Selbstkostenerstattungs-Modell, weil die wenigen Unternehmen, die bereit sind, überhaupt einzusteigen, es nur so anbieten. Selbstkostenerstattung ohne echtes Partnering ist aus meiner Sicht aber hochriskant für die Auftraggeber. Partnering meint z.B. echte Transparenz, ein gemeinsames Erfassen und Bewerten der Situation in einem Modell ohne GMP, mit Open Books und einem ganzheitlichen Projektmanagement seitens des Baupartners. Dafür kompetente Partner zu finden ist dabei das Hauptproblem – die Zahl wirklich kompetenter Anbieter ist rückläufig, u.a. weil die Bauindustrie schrumpft, aber auch weil die Erfahrungen der Bauunternehmen mit Partnering sich oft auf GMP-Modelle beschränken, die eigentlich nur GU-Verträge mit einer besonderen Vergütungsabrede sind und deshalb keinen Mehrwert bieten.

TPP: Ihnen wird also auch unter neuer Flagge nicht langweilig. Wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen bei den kommenden Aufgaben eine glückliche Hand.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Avocado Rechtsanwälte
Erstveröffentlichung: The Property Post, Juli 2024

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