Weg vom städtebaulichen Einheitsbrei
Bei der Planung von Wohnungen und neuen Quartieren stehen Projektentwickler vor der spannenden Aufgabe, nicht nur ansprechenden Wohnraum zu schaffen, der die Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner erfüllt und sich nahtlos in die bestehende Umgebung einfügt. Vielmehr geht es auch darum, eine Balance zwischen Tradition und Innovation zu finden, also alte Werte und zukunftsweisende Ideen zu verbinden, damit Wohnimmobilien nachhaltig gesellschaftlich und wirtschaftlich Bestand haben.
Immobilien sind das gebaute räumliche Bindeglied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Jede Projektentwicklung sollte zum Ziel haben, das Erbe der Vergangenheit, die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Verhältnisse der Gegenwart und absehbare zukünftige Entwicklungen in die Planung integrieren. Das hat nicht nur bau- und planungsrechtliche Gründe, sondern geschieht auch aus betriebswirtschaftlicher Notwendigkeit, attraktive Immobilien zu bauen, die von Käufern, Mietern und Nutzern auch langfristig stark nachgefragt werden.
Bauliche Strukturen überdauern die Zeit, so dass die Ergebnisse dieser Ideen und Experimente bis heute deutlich sichtbare positive, aber zum Teil auch negative Spuren in den Städten hinterlassen haben. Ob und inwieweit diese Spuren nun positiv oder negativ bewertet werden, hängt vom Wandel der kulturellen Werte und vom technischen Fortschritt ab. In manchen Bereichen kann beides bis hin zur vollständigen Umkehr der Vorzeichen führen. Was damals als erhebliches Problem galt, kann heute als Nonplusultra gesehen werden oder andersherum.
Ein Beispiel hierfür ist die Renaissance der Innenstädte. Die damalige Flucht aus den überfüllten lauten und schmutzigen Zentren hat sich heute umgekehrt. Der Kulturwandel, der dazu führte, äußert sich im zunehmenden Individualismus und in der Abkehr vom Materialismus. „Nutzen statt haben“ ist die neue Devise, Zeit ist das kostbarstes Gut, Dienstleistungen werden in Anspruch genommen, anstatt alles selbst zu machen. In der Freizeit verliert Materielles an Bedeutung und Soziales und Digitales wird immer wichtiger. Zentral gelegene, kompakte Wohnungen liegen im Trend, Parkmöglichkeiten sind kein Muss mehr, dafür aber ein schneller Internetanschluss. Das private Auto verliert die Rolle als Statussymbol. Es wird als Luxus empfunden kurze Wege zu haben, flexibel je nach Bedarf verschiedene Verkehrsmittel nutzen zu können und nicht mehr auf das Auto angewiesen zu sein.
Dieser Wandel ist kaum zu verstehen, wenn man den technischen Fortschritt ausklammert. Damit ist nicht nur die Digitalisierung gemeint, sondern auch Naheliegendes, das uns oft gar nicht mehr bewusst ist: Technische Innovationen haben die Belastung der Innenstädte durch Abgasemissionen deutlich reduziert. Busse und Lkws erzeugen schon lange keine schwarzen Rauchwolken mehr, die Hustenanfälle provozieren. Moderne Fenster und Dämmungsverfahren sorgen für mehr Ruhe in der Wohnung, Aufzüge für eine komfortablere und barrierefreie Zugänglichkeit der oberen Stockwerke. Innovationen in der Ver- und Entsorgung haben die Geruchsbelästigung durch Müll und Abwässer auf ein Minimum reduziert. Der Komfort der öffentlichen Verkehrsmittel ist deutlich gestiegen, Carsharing, Leihfahrräder und Elektrofahrzeuge erleichtern es, schnell von A nach B zu kommen. Hinzu kommen große Balkone und Dachterrassen, die den direkten Zugang ins Freie ermöglichen und städtisches Grün, das die Aufenthaltsqualität in der unmittelbaren Umgebung verbessert.
In früheren Zeiten waren die Vorzeichen in zentrumsnahen Gebieten noch andere. Die Industrialisierung führte zu einer massiven Zunahme der Stadtbevölkerung, einhergehend mit einer großen Wohnungsnot, die sich durch die Kriegszerstörungen zusätzlich verschärfte. Die unzumutbar engen und unhygienischen Lebensverhältnisse führten zu einem Sinneswandel in der Stadtentwicklung. Wohnungen mussten gebaut werden, und zwar sehr viele. Dem quantitativen Problem konnte durch technische Lösungen begegnet werden. Industrielles serielles Bauen ermöglichte den kurzfristigen Bau großer Zahlen an Wohnungen. Licht, Luft und Sonne sowie die Nutzungstrennung nach der Charta von Athen (1933) wurden zum Leitbild der Stadtentwicklung. Das Auto als technische Errungenschaft hatte als Inbegriff des modernen Lebens einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Autofahren wurde nicht als notwendiges Übel empfunden, sondern als Privileg, ebenso das Leben in einer autogerechten Stadt.
Die in den 1960er und 1970er Jahren erbauten Trabanten- und Satellitenstädte, die zumeist auf der grünen Wiese in Randlagen entstanden, waren damals eine attraktive Alternative zu den überfüllten Kernstädten. Bis heute haben sie aber mit Problemen zu kämpfen. Ihr uniformes Erscheinungsbild, die Anonymität, die langen Wege und Infrastrukturdefizite machen sie in der Gunst der meisten Mieter, Eigentümer und Nutzer nur zur zweiten oder dritten Wahl. Dabei spielt es keine Rolle, dass sie inzwischen durch das Wachstum der Städte Teil des urbanen Kontinuums geworden sind, sich die Infrastruktur erheblich verbessert hat, mehr Vielfalt durch Umnutzungen entstanden ist und sie verkehrstechnisch sehr viel besser an die Zentren und Subzentren angebunden sind.
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Erstveröffentlichung: Polis Magazin "Roots", Oktober 2018