13.06.2016

Wohnungsbedarf von Flüchtlingen

Große Herausforderungen für den Wohnungsbau

Prof. Dr. Michael Voigtländer, Leiter des Kompetenzfelds Finanzmärkte und Immobilienmärkte, Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.
Prof. Dr. Michael Voigtländer

Die große Zahl von Schutzsuchenden in Deutschland wird sich auch auf den Wohnungsmarkt auswirken. Nach Schätzungen des IW Köln erhöht sich die Wohnungsnachfrage pro Jahr etwa um 160.000 Wohneinheiten, der jährliche Baubedarf steigt bis 2020 auf fast 400.000 Wohnungen. Gefragt sind daher innovative und flexible Lösungen, um diese gesellschaftliche Herausforderung zu meistern.

Die große Zahl von Schutzsuchenden aus Syrien, dem Irak, Afghanistan oder Nordafrika ist das derzeit dominierende gesellschaftliche Thema. Die Zahl der Flüchtlinge betrug 2015 rund eine Million Menschen, und auch in den ersten Monaten des neuen Jahres ist kein merklicher Rückgang zu verzeichnen. Viele der Schutzsuchenden werden abgewiesen, andere werden weiterziehen oder nach kurzer Zeit wieder in die Heimat zurückwandern und wieder andere werden sich hier integrieren und ihre Familie nachholen.

Wie sich die Zuwanderung in den nächsten Jahren tatsächlich darstellen wird, bleibt ungewiss. Niemand weiß, wie sich die geopolitische Lage in den nächsten Jahren verändern wird, wobei es derzeit wenig Grund für Optimismus gibt. Auch die weitere Gestaltung der Asylpolitik in Deutschland bleibt ebenso wie die Entwicklung auf europäischer Ebene ungewiss. Dennoch brauchen Akteure am Immobilienmarkt sowie die Politik eine Orientierung. Schließlich ist unstrittig, dass zur Integration auch Wohnungen gehören. Gerade in den von Flüchtlingen ebenso wie von Deutschen besonders beliebten Großstädten herrscht jedoch schon heute eine Wohnungsknappheit. Der vorliegende Beitrag versucht daher, den Baubedarf für Deutschland angesichts der neuen Zuwanderungsentwicklung zu schätzen. Basis für die Berechnungen bildet dabei die Baubedarfsprognose von Henger et. al. (2015), in der der langfristige Baubedarf abgeleitet wurde. Außerdem werden die Ergebnisse kurz diskutiert.

Annahmen für die Berechnung

Grundlage für die Bestimmung des Wohnungsbedarfs ist zunächst einmal die Einschätzung der Bundesregierung zur weiteren Flüchtlingsentwicklung. Nach dem aktuellen Szenario, das im Februar 2016 veröffentlicht wurde, sinkt die Zahl der Flüchtlinge zwischen 2016 und 2020 auf 500.000 jährlich. Die Schutzquote liegt erfahrungsgemäß bei rund 60 Prozent, was vor allem an dem hohen Anteil an syrischen Staatsangehörigen liegt, die fast alle den Flüchtlingsstatus erhalten und somit im Land bleiben dürfen. Im Vergleich zur Studie von Deschermeier et. al. (2015) ist die Quote aufgrund der aktuellen Zahlen daher nach oben korrigiert worden. Von den 40 Prozent angenommenen Asyl- und Schutzsuchenden holen rund 65 Prozent der Männer zwischen 18 und 35 Jahren ihre Familie nach, die im Schnitt aus drei Personen besteht. Zur Wohnungsbedarfsermittlung wird bei den verbliebenden Schutzberechtigten inklusive ihrer Familien ein ähnlicher Wohnungskonsum wie Grundsicherungsempfänger unterstellt. Dies erscheint realistisch, da viele Schutzberechtigte sich zunächst für den Arbeitsmarkt qualifizieren müssen und daher auf Transfers angewiesen sind.

Wohnungsbedarf und Baubedarf

Auf Basis der getroffenen Annahmen lässt sich für das unterstellte Szenario ein Wohnungsbedarf von rund 160.000 Wohnungen ermitteln. Der Wohnungsbedarf entspricht aber nicht dem Baubedarf, da die Wohnungsnachfrage auch über Leerstand bedient werden kann. Vereinfacht wird im Folgenden davon ausgegangen, dass die Schutzberechtigten gleichmäßig auf alle Kreise verteilt werden. Dann könnte rund 28 Prozent des Wohnungsbedarfs über Leerstand gedeckt werden. Würde bewusst in Regionen mit hohen Leerständen verteilt, könnte diese Quote weiter erhöht bzw. der Baubedarf weiter gesenkt werden. Allerdings erfordert eine solche Verteilung auch eine entsprechende Infrastruktur im Bildungsbereich sowie Arbeitsmarktchancen, so dass der Leerstand nicht vollständig genutzt werden kann. Addiert man den Baubedarf, der sich aus der Anzahl der in Deutschland verbleibenden Schutzsuchenden und deren Familiennachzug ergibt, zum bereits existierenden Baubedarf, der sich aufgrund der langfristigen demografischen Entwicklung und aus dem Nachholbedarf als Folge der zu geringen Bautätigkeit zwischen 2010 und 2014 ergibt, müssen zwischen 2015 und 2020 jährlich fast 400.000 Wohnungen gebaut werden. Hiervon ist die aktuelle Bautätigkeit mit 245.000 Wohnungen im Jahr 2014 noch weit entfernt.

Schlussfolgerungen

Der abgeleitete Baubedarf ist eine große Herausforderung. Schließlich hinkt in einigen Ballungsräumen die Bautätigkeit schon seit einigen Jahren der Nachfrage hinterher. Ursächlich hierfür sind vor allem fehlende Neubauflächen, aber auch immer weiter steigende Kosten im Neubau aufgrund steigender Standards. Es ist zu erwarten, dass die Anspannung und damit auch die Wohnkosten in diesen Märkten weiter zunehmen werden, zumal die Arbeitsmarktchancen in den Ballungsräumen deutlich größer sind als in vielen strukturschwachen Regionen. Notwendig sind daher insbesondere eine schnelle Anpassung der Planung und die Ausweisung neuer Flächen, um mehr Neubau zu ermöglichen. Darüber hinaus sollte auch das Umland besser mit einbezogen werden, da hier entweder noch Leerstände vorhanden sind oder aber zumindest leichter gebaut werden kann. Hierzu ist unbedingt eine Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur erforderlich. Erforderlich ist aber auch eine Überprüfung der Bautätigkeit selbst. Wie die Annahmen verdeutlichen, unterliegt die zukünftige demografische Entwicklung zahlreichen Unsicherheiten. Wie lange die Zuwanderer und Asylberechtigten tatsächlich bleiben, hängt maßgeblich von der weiteren geopolitischen Entwicklung ab, über die Prognosen kaum möglich sind. Das Aufkommen neuer Krisen hätte weitere Flüchtlingsströme zur Folge. Jedoch ist auch eine Entspannung der Lage nicht auszuschließen. Auch der Familiennachzug ist mit großen Unsicherheiten behaftet. Dies erschwert die Planung für Investoren, da Immobilien typischerweise Nutzungsdauern von mehreren Jahrzehnten haben. Um die aktuellen Herausforderungen zu meistern, bedarf es jedoch Lösungen mit einem kürzeren Zeithorizont, die gegebenenfalls auch mit geringeren Kosten verbunden sind. Hier ist die Kreativität von Architekten, Stadtplanern und Immobilieninvestoren gefragt, um Wohnlösungen zu finden, die einerseits den aktuellen Bedarf decken, andererseits aber auch flexibel anderen Nutzungen zugeführt werden können, sollte der Bedarf wieder rückläufig sein.

Dieser Beitrag fußt auf der Studie von Deschermeier et. al. (2015): Auswirkungen der erhöhten Zuwanderung auf demografische Prognosen und die Folgen für den Wohnraumbedarf in Deutschland, Köln. Die Berechnungen zum Baubedarf wurden an die aktuellere Datenlage angepasst.


Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V.
Erstveröffentlichung: ZIA Geschäftsbericht 2016