11.04.2023

Wohninvestments in der Zeitenwende

Fondsstrategie für ein herausforderndes Marktumfeld

Arnaud Ahlborn, Geschäftsführer, INDUSTRIA WOHNEN GmbH
Arnaud Ahlborn

Die Einflussfaktoren auf den Wohninvestmentmarkt könnten aktuell kaum widersprüchlicher sein. Während sich das Zinsumfeld und die wirtschaftliche Situation negativ auf Investments auswirken, ist der Bedarf an Wohnungen ungebrochen. Arnaud Ahlborn gibt einen Überblick zur derzeitigen Lage am Wohninvestmentmarkt und erläutert Chancen im aktuellen Marktumfeld.

Der russische Überfall auf die Ukraine markiert eine Zäsur in Politik und Wirtschaft weltweit. Große Unsicherheiten prägen das makroökonomische Umfeld seither und die Kapitalmärkte verhalten sich volatil. Der Immobilienmarkt hat seine zwölf Jahre andauernde Boomphase beendet und muss sich neuen Realitäten stellen.

Mit der 2022 eingeleiteten Zinswende haben Immobilieninvestments zunehmend Konkurrenz bekommen. Inzwischen erreichen risikoarme Anlagen wie Staatsanleihen ähnliche Renditen wie hochwertige Bestandsimmobilien und Neubauentwicklungen in guten Lagen und stellen für Investoren eine attraktive Alternative dar.

Die Finanzierungskosten für Immobilien haben sich innerhalb eines Jahres vervierfacht. Dadurch lässt sich mit Fremdkapitalaufnahme meist kein positiver Leverage-Effekt mehr erzielen. Wirtschaftliche Unsicherheit sowie der geringe Renditeabstand zwischen Immobilien und risikoarmen, liquiden Anlagen sorgten zusammen mit den hohen Finanzierungskosten bereits 2022 für Zurückhaltung auf dem Investmentmarkt und für sinkende Immobilienpreise.

Wohnungsnot erreicht Rekordhöhe
Währenddessen ist der Wohnungsmangel so groß wie seit mehr als 20 Jahren nicht mehr. Ende 2022 haben rund 700.000 Wohnungen gefehlt. Das geht aus einer Studie hervor, die das Verbändebündnis "Soziales Wohnen" beim Pestel-Institut und beim Bauforschungsinstitut ARGE in Auftrag gegeben hat. Besonders eklatant fällt der Mangel bei Sozialwohnungen aus: Mehr als elf Millionen Mieterhaushalte hätten in Deutschland einen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein, aber nur für jeden Zehnten davon gebe es eine Sozialwohnung, so die Studie.

Der eklatante Wohnraummangel, die gestiegenen Finanzierungs- und auch Baukosten sowie die höheren Renditeanforderungen der Investoren treiben die Mieten auf dem freifinanzierten Wohnungsmarkt. Nach einer Analyse des Maklerhauses JLL sind in den acht Metropolen Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Köln, Leipzig, München und Stuttgart die Angebotsmieten im zweiten Halbjahr 2022 im Schnitt um 6,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Gleichzeitig dürfen aber Vermieter nicht die Belastungsgrenzen der Mieter und ihre soziale Verantwortung aus den Augen verlieren.

Fonds verzeichnen geringere Mittelzuflüsse, aber gestiegenes Vermögen
Für Immobilienfonds haben sich somit die Rahmenbedingungen im Vergleich zu den Vorjahren völlig verändert. Sowohl professionelle als auch Privatinvestoren legen weiterhin ihr Geld in Immobilienfonds an, aber etwas zurückhaltender. Laut der Service-Kapitalverwaltungsgesellschaft INTREAL, die Zahlen der Bundesbank ausgewertet hat, sind die Nettomittelzuflüsse in offene Publikumsfonds von Januar bis November 2022 im Jahresvergleich um rund 30 Prozent zurückgegangen. Gleichzeitig ist aber das Nettofondsvermögen der Immobilienfonds zwischen Januar und November 2022 um rund 5 Prozent gewachsen, während es bei Aktienfonds um rund 11 Prozent und bei Rentenfonds um rund 18Prozent zurückgegangen ist. Hier zeigt sich ein gewichtiger Vorteil der Immobilienfonds: die geringere Volatilität.

Die Zahlen für die Spezialfonds der INDUSTRIA bestätigen diesen Trend: Die Eigenkapitalzuflüsse fielen geringer aus als in den Vorjahren , rissen aber nie ab. Für den offenen Publikumsfonds Fokus Wohnen Deutschland bestand bis Mitte Mai 2022 ein Cash-Stop, um die Liquidität in Grenzen zu halten. Nach dem Start des Cash-Calls sind dem Fonds über 107 Millionen Euro an liquiden Mitteln zugeflossen. Seit dem Jahreswechsel beobachtet die INDUSTRIA bei den Spezial- und beim Publikumsfonds ansteigende Zuflüsse und zugleich sinkende Rückgabewünsche.

Kaufpreise für Investmentobjekte deutlich gefallen
Um weiterhin wirtschaftlich erfolgreich zu sein, müssen Wohnimmobilienfonds ihre Strategien anpassen, auch und vor allem, was den Objektankauf betrifft. Auch wenn viele Verkäufer noch an alten Vorstellungen festhalten, sind Kaufpreise wie zu den Hochzeiten des Immobilienbooms wegen der gestiegenen Renditeerwartungen der Investoren und der höheren Fremdfinanzierungskosten nicht mehr darstellbar. Bereits jetzt sind die Kaufpreise um sieben bis neun Faktoren gesunken. Mit Marktexpertise und Verhandlungsgeschick sind Bestandsobjekte mittlerweile für weniger als das 20-Fache zu haben, Neubauprojekte für weniger als das 30-Fache. Der Wettbewerb auf dem Investmentmarkt hat deutlich abgenommen, und Transaktionssicherheit rückt wieder in den Vordergrund. Die langjährig etablierten, verlässlichen Partner können sich nun noch besser in den Vermarktungsprozessen positionieren.

Zinswende macht gefördertes Wohnen attraktiver
Als erfolgreiche Strategie, die schwierigen Marktbedingungen von 2022 zu überbrücken, haben sich Investments in gefördertes Wohnen erwiesen. Denn in diesem Bereich hat bislang de facto die Zinserhöhung noch nicht stattgefunden. Hier sind immer noch bis zu Null-Prozent-Finanzierungen zu finden. Dagegen macht im freifinanzierten Sektor jeder Prozentpunkt gestiegene Refinanzierungskosten zwei bis drei Ankaufsfaktoren aus.

Förderungen wie zinsvergünstigte Darlehen und Zuschüsse haben vor dem Hintergrund steigender Zinsen einen großen positiven Effekt auf die Rendite. Für Investoren sind wieder Ausschüttungsrenditen von bis zu 4 Prozent pro Jahr möglich. Entsprechend stammen bei der INDUSTRIA im zweiten Halbjahr 2022 rund 70 Prozent aller angekauften Wohneinheiten aus dem geförderten Sektor. Hinzu kommt: ESG-Kriterien werden bei der institutionellen und auch bei der privaten Geldanlage immer wichtiger. Mit gefördertem Wohnen lässt sich das S in ESG sehr gut abbilden.
Wenn die Preisfindungsphase am Wohnimmobilienmarkt abgeschlossen ist, womit in der zweiten Jahreshälfte 2023 zu rechnen ist, will die INDUSTRIA wieder stärker auf freifinanzierte Wohnungen setzen. Denn die Anleger bevorzugen eine Mischung aus gefördertem und freifinanziertem Wohnen.

Eigenkapitalstärke wird belohnt
In Zeiten der Zinssteigerung ist es ein großer Vorteil, als eigenkapitalstarker Fondsmanager agieren zu können. Denn Liquidität wird nun nicht mehr negativ verzinst, und Ankäufe lassen sich bei geeigneten Rahmenbedingungen in vielen Fällen ohne Fremdkapital stemmen. Das erhöht die Handlungsfähigkeit der Akquisiteure enorm. So hat der offene Publikumsfonds Fokus Wohnen Deutschland aktuell eine Fremdkapitalquote von rund 16 Prozent und schöpft damit das gesetzlich mögliche Maximum von 30 Prozent bei Weitem nicht aus. Ein zusätzlicher Vorteil ist, dass sich der Fonds bereits vor der Zinswende weitere Darlehen, vor allem KfW-Mittel, in Höhe von 90 Millionen Euro zu sehr günstigen Konditionen gesichert hat. Das Kapital kann nun in den kommenden Monaten abgerufen werden.

Wohnfonds bleiben gefragt
Immobilienfonds sorgen weiterhin für Stabilität und Diversifikation im Anlageportfolio. Mit der richtigen Fondsstrategie lässt sich das herausfordernde Marktumfeld meistern. Die Nachfrage nach Wohnungen wird perspektivisch noch größer, und der Transaktionsmarkt wird sich in der zweiten Jahreshälfte bei entsprechend angepassten Immobilienpreisen beleben. Insgesamt rechnen wir nach einem wirtschaftlich turbulenten letzten Jahr nun mit einer Stabilisierung.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von INDUSTRIA
Erstveröffentlichung: Mipim-Sonderbeilage der Börsen-Zeitung am 14.03.2023

Konversation wird geladen