22.09.2015

Wie bauen wir morgen?

Immobilienwirtschaft 4.0

Martin Rodeck, Geschäftsführer, OVG Real Estate GmbH
Martin Rodeck

„Die Digitalisierung wird alle Sektoren und Bereiche revolutionieren", verkündete Günther Oettinger, EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, unlängst gegenüber der BID in Brüssel. „Diese Revolution wird vor der Immobilie nicht Halt machen. So wie Wasser, Strom und Straße muss auch der digitale Anschluss an die Welt allgemein gesichert sein, um im privaten und beruflichen Leben zukunftsfähig zu bleiben", so Oettinger. Wer nun aber denkt, es sei damit getan, bei neuen Immobilien schnelle Internetanschlüsse in allen Räumen mitzudenken, der irrt. Schon die digitale Infrastruktur, die die Nutzer in Zukunft von Immobilien erwarten werden, reicht weit darüber hinaus, und damit verändern sich die Anforderungen an die Projektentwickler radikal. Dies gilt sowohl für die Entwicklung von Wohnimmobilien, als auch - in besonderem Maße - für die von Bürogebäuden. Denn gerade in diesem Sektor hat die Immobilie einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit des in ihr beheimateten Unternehmens und damit nicht zu unterschätzende wirtschaftliche Relevanz. Die technische Ausstattung des Firmensitzes und der Arbeitsumgebung entscheiden über die Leistungen und spiegeln das Image und die Philosophie des Unternehmens wider - nach innen und außen. Innovative Immobilien können zudem Kosten reduzieren, Kommunikationswege optimieren und neue Innovationsprozesse in Gang setzen. Es hat folglich erst in zweiter Linie mit persönlichem Idealismus zu tun, wenn sich Entwickler von Bürogebäuden heute den Anspruch auf die Fahne schreiben, mit jedem Projekt höchste technologische Standards zu erreichen. Es ist vielmehr der Pfad, den die gesamte Branche früher oder später beschreiten muss, um den Ansprüchen ihrer Kunden gerecht zu werden. Denn gerade große, namhafte Unternehmen betrachten Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und innovative „Workplace Solutions“ bei der Wahl ihres Firmensitzes längst nicht mehr als optionale Gadgets, sondern als Voraussetzung für gleichermaßen zeitgemäße wie zukunftsorientierte Arbeitsprozesse. Denn: Produkt- und Serviceinnovationen wirken sich positiv auf das Absatzpotenzial aus.

Diesseits und jenseits von Nachhaltigkeitstechnologien

Im Segment der Büroimmobilien beginnt sich inzwischen langsam die Erkenntnis durchzusetzen, dass technische Innovationen nicht nur kompliziert und kostenaufwändig, mithin ein negativer Renditefaktor sind. Hier haben sowohl Nutzer als auch Projektentwickler inzwischen realisiert, dass beispielsweise die Energieerzeugung zum Heizen und Kühlen des Gebäudes, wenn sie über hauseigene Systeme, wie integrierte Photovoltaik-Module, Blockheizkraftwerke oder thermische Grundwasserspeicher, geschieht, Kosten senkt. Gleiches gilt – um nur einige Beispiele zu nennen – für sensorgesteuerte Lüftungsanlagen, von Baubiologen speziell unter Nachhaltigkeitsaspekten zertifizierte Baumaterialien oder Systeme zur individuellen Steuerung von Licht und Temperatur in den Büros mittels Smartphones. Nicht nur große Firmen, auch junge Start-ups denken diese Perspektive heutzutage häufig von Anfang an mit, wenn sie sich für eine Bürofläche entscheiden und haben mit ihrer verstärkten Nachfrage nach solchen Büroflächen auch entsprechende Angebote der Immobilienwirtschaft evoziert. So positiv es jedoch ist, dass das Wissen um diese Zusammenhänge sich auch bei den Projektentwicklern langsam durchsetzt, so wichtig ist es, dabei nicht vergessen, dass Nachhaltigkeitstechnologien nur einen Teil der Innovationsmöglichkeiten ausmachen, und dass Innovation ein dynamischer Prozess ist. Heute fortschrittliche Maßnahmen können schon morgen wieder veraltet sein. Es ist daher nötig, dass die Immobilienbranche beginnt, sich selbst als Innovationsmotor und als Katalysator für Smart-Technologies zu begreifen.

Konsequenzen auch für Wohnimmobilien

Wie relevant sind nun aber die im Bürosegment erworbenen Erkenntnisse für den Sektor Wohnimmobilien? Beim Blick auf viele aktuelle Bauvorhaben könnte man glauben: gar nicht. Nur exklusive, hochpreisige Objekte reflektieren hier wenigstens teilweise die zukünftigen Nutzeransprüche im Sinne der fortschreitenden digitalen Revolution. Wenn jedoch nicht mal der aktuelle technologische Standard in Wohnimmobilien einfließt, geschweige denn der Versuch gemacht wird kommende Entwicklungen zu antizipieren, dann entstehen Wohnbauten, die bereits bei Fertigstellung veraltet sind. Die Folge sind nicht nur massive Um- und Ausbauten in naher Zukunft, sondern auch ein anwachsender Rückstand in Fragen technologischen Know-hows. Günther Oettinger hat gegenüber der BID völlig zu Recht darauf verwiesen, dass die großen digitalen Konzerne, wie Google, Apple oder Microsoft, zunehmend in klassische Branchen vorstoßen und als Wettbewerber jene Lücken füllen, die dort durch mangelnde Innovationsbereitschaft entstanden sind.Sicher ist: an der internationalen Entwicklung hin zur „Smart City“ wird eine Verweigerung seitens der deutschen Immobilienwirtschaft nichts ändern. Es gilt hier also dringend umzudenken und sich das entsprechende Know-how vorausschauend zu erschließen. Um dies zu erreichen, ist es von größter Bedeutung, dauerhafte kooperative Prozesse zu fördern, nicht nur innerhalb der Branche, sondern branchenübergreifend, etwa in festen Partnerschaften mit technologischen Unternehmen, und vernetzt mit akademischen Forschungseinrichtungen. Die Koppelung des jeweiligen Know-hows potenziert die Innovationskraft aller.

Moderne Städte durch interdisziplinäre Zusammenarbeit

Um Innovationspotenziale optimal nutzbar zu machen, gilt es vor allem, die Immobilienmärkte transparenter zu gestalten. Zur Erzeugung einer ganzheitlichen Erneuerungsdynamik in der Immobilienwirtschaft ist das Zusammenspiel vieler Disziplinen und Marktakteure gefordert. Hierfür benötigen wir, neben einer intensiven Zusammenarbeit im ZIA sowie mit anderen Industrien, den Aufbau von kontinuierlich arbeitenden Wissensnetzwerken. In diesem Zusammenhang ist auch die Intensivierung der Vernetzung mit Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen dringend angezeigt. Hierbei geht es nicht nur um den Zugewinn neuer Erkenntnisse, sondern auch um deren Vermittlung durch die gezielte Ausbildung und Weiterbildung von Fachkräften. Und diese wiederum werden benötigt, um auch künftig für alle Phasen im Lebenszyklus von Immobilien konsequent „Best practice“-Lösungen entwickeln und zur Anwendung bringen zu können. Dass die bloße Erkenntnis dieses Umstands für die traditionell eher innovationsarme Immobilienwirtschaft schon eine Innovation bedeutet, belegt die Tatsache, dass Immobilienwirtschaftslehre erst seit 1990 als akademische Disziplin etabliert ist. Bis heute wird (im Gegensatz etwa zur Baubranche) der Innovationsprozessin Asset-Management und Projektentwicklung mehrheitlich intern absolviert, wir kürzlich eine Studie der International Real Estate Business School (IREBS) im Auftrag von Deloitte belegte.

Innovationen entlang der Wertschöpfungskette

So, wie Nachhaltigkeitstechniken nur einen geringen Teil der möglichen oder wünschenswerten Gebäudeinnovationen darstellen, so sind auch die Gebäudeinnovationen nur ein Aspekt des grundlegenden Innovationsanspruchs an die Branche. Bislang vernachlässigte Innovationen finden sich entlang der kompletten Wertschöpfungskette. Schon heute ist beispielsweise absehbar, dass 3D-Druckern in naher Zukunft eine große Rolle im Bereich der Bauwirtschaft zufallen wird. Wer die heutigen Möglichkeiten dieser Geräte nur belächelt, der läuft Gefahr zu spät zu kommen, wenn sie erst ihre volle Nutzungsreife erreicht haben. Aber auch das Facility-Management hinkt häufig der digitalen Entwicklung hinterher. Nur langsam verbreiten sich hier praktische Software-Tools für die Nutzung von GPS-Informationen, QR-Codes und Apps. Ebenfalls eher schleppend setzen sich Prozessinnovationen, wie etwa das überaus nützliche Building Information Modeling (BIM), durch, obgleich gerade hier offensichtlich wird, wie sich mit technischen Innovationen Arbeitsprozesse beschleunigen und vereinfachen lassen und somit einen positiven Einfluss auf die Rendite haben. Prozessinnovationen führen nicht zuletzt zu einer flexibleren Leistungserstellung, die ihrerseits wieder die Grundlage für diverse Produkt- und Serviceinnovationen ist.

Den Anforderungen der Zukunft gemeinsam begegnen

Als Innovationsbeauftragter des ZIA, sehe ich alle in der Immobilienbranche tätigen Unternehmen als Partner in der Antizipation der Nutzeransprüche von morgen. Mit seiner ZIA-Innovation-Task Force und seinem „Innovation Lab” wird der ZIA daher künftig den gemeinsamen Blick „über den Tellerrand” und somit auch in andere Branchen forcieren. Wie schon bei der Entwicklung des ZIA-Nachhaltigkeitskodex geht es hier insbesondere darum, den Innovationsgedanken endlich umfassend in die Branche zu implementieren und ihn sowohl intern als auch extern zu leben – sowohl auf der Produktebene als auch entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Hierfür ist es wichtig, Innovation als asymptotischen Prozess zu begreifen, in dem fortgesetzt Ziele definiert und erreicht werden, um gleich darauf neue Ziele zu definieren. Oft erfolgt diese Neudefinition sogar bevor das vorherige Ziel flächendeckend umgesetzt werden konnte. So ist dem „Green Building“ auf der Anspruchsebene längst das „Blue Building“ gefolgt, und perspektivisch manifestiert sich die gemeinsame Anforderung an Stadt- und Projektentwickler inzwischen im Begriff der „Smart City“. Das bedeutet, dass sich zu den drei vorrangigen Innovationskategorien für unsere Branche (Bau-, Prozess- und Nutzungsinnovationen) auch stadtplanerische und infrastrukturelle Innovationskategorien gesellen, denen die Projektentwickler mittels Intensivierung ihres Networkings gerecht werden müssen, um den Erfolg ihrer Projekte sicherzustellen. Dies betrifft zum einen den Bereich der besseren Integration von Wohn-, Arbeits-, Freizeit- und Versorgungsbereichen. Zum anderen betrifft es technologische Konzepte, wie die Optimierung von Informationszugängen und -wegen oder die Antizipation kommender Mobilitätsmodelle. In letzterem Fall etwa bietet es sich künftig beispielsweise an, die interne Energieerzeugung eines Gebäudes und den Energiebedarf für die E-Mobility der Mitarbeiter oder Bewohner zusammen zu denken. Gleichzeitig beinhaltet die Zielvorgabe „Smart City“ auch Engagement über den reinen Neubausektor hinaus, etwa bei derinnovativen Nachrüstung von Bestandsgebäuden. Grundsätzlich gilt: Innovation kann immer erst dann fruchten, wenn man den größeren Zusammenhang und damit den allgemeinen Innovationsgrad der Gesellschaft fokussiert. Für die Immobilienwirtschaft, als einen der vielfältigsten und größten Wirtschaftszweige in allen Volkswirtschaften, bedeutet dieser erweiterte Fokus gleichermaßen gesellschaftliche Verantwortung und neue wirtschaftliche Perspektiven. Gleichzeitig ist die Entscheidung für gemeinsame Innovationsanstrengungen letztlich alternativlos. Denn die „Smart City“ wird kommen, und wenn nicht wir sie realisieren, werden es andere tun. Deshalb muss die Immobilienwirtschaft die gewohnten Pfade verlassen und akzeptieren, dass Entwicklung ein Prozess ist, in dem es kein Zurück gibt. Der Immobilienwirtschaft 4.0 wird die Immobilienwirtschaft 5.0 folgen, und deshalb kann es auf die Frage „Wie bauen wir morgen?“ nur eine klare Antwort geben: Anders als heute.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von OVG Real Estate Deutschland
Erstveröffentlichung: Immobilien & Finanzierung Ausgabe 12/2015

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