Ausgangslage
Seit Jahrzehnten ist strittig, anhand welchen Maßstabs der quotale Vorsteuerabzug auf bezogene Gegenstände und Dienstleistungen vorzunehmen ist, wenn diese Eingangsleistungen teilweise für steuerpflichtige und teilweise für steuerfreie Umsätze verwendet werden; bei Gebäuden namentlich für steuerpflichtige und steuerfreie Vermietungsleistungen.
Bei diesen sog. gemischt genutzten Gebäuden sieht Art. 17 (5) i.V.m. Art. 19 der MWSt-Systemrichtlinie grundsätzlich einen sog. Umsatzschlüssel vor, d.h., die Aufteilung ist anhand der steuerpflichtigen und steuerfreien Mietumsätze vorzunehmen. Demgegenüber sieht § 15 (4) UStG seit 01.01.2004 den Umsatzschlüssel nur als zulässig an, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist. Diese andere Zuordnung erfolgt nach Ansicht der Finanzverwaltung primär nach dem sog. Flächenschlüssel. Die nationale Gesetzgebung bzw. Sicht der Finanzverwaltung hat der EuGH im Jahr 2012 im Urteilsfall BLC Baumarkt, C-511/10 vom 08.11.2012 als mit Unionsrecht vereinbar bestätigt.
Zudem verlangt die Finanzverwaltung in der Richtlinie 208 der Umsatzsteuer-Richtlinien 2008, dass bei der Berechnung des Vorsteuerabzugs in einem ersten Schritt eine Zuordnung der Eingangsleistungen zu den Gruppen vorsteuerabzugsfähige, nicht vorsteuerabzugsfähige und teilweise vorsteuerabzugsfähige Leistungen vorzunehmen ist und in einem zweiten Schritt dann nur betreffend die letztgenannte Gruppe ein Flächenschlüssel als wirtschaftlich zutreffender Aufteilungsmaßstab anzuwenden ist.
EuGH-Urteil vom 9. Juni 2016EuGH-Urteil vom 9. Juni 2016
Der Tenor des Urteils zu den drei Vorlagefragen in der Rechtssache C-332/14 in dem Verfahren einer deutschen Grundstücks GbR gegen das Finanzamt Krefeld lautet:
1. Art. 17 (5) der MWSt-Systemrichtlinie ist dahin auszulegen, dass in dem Fall, in dem ein Gebäude auf der Ausgangsstufe sowohl zur Ausführung bestimmter Umsätze verwendet wird, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch zur Ausführung anderer Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht, die Mitgliedstaaten nicht vorschreiben müssen, dass die auf der Eingangsstufe für die Errichtung, Anschaffung, Nutzung, Erhaltung oder Unterhaltung dieses Gebäudes verwendeten Gegenstände und Dienstleistungen zunächst diesen verschiedenen Umsätzen zugeordnet werden, wenn eine solche Zuordnung schwer durchführbar ist. Im Fall einer nämlichen Zuorndung wäre danach nur das Recht auf Vorsteuerabzug für diejenigen Gegenstände und Dienstleistungen, die sowohl für bestimmte Umsätze verwendet werden, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für andere Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht, anhand eines Umsatzschlüssels oder, vorausgesetzt, diese Methode gewährleistet eine präzisere Bestimmung des Prorata-Satzes des Vorsteuerabzugs, eines Flächenschlüssels zu bestimmen.
2.
Art. 20 der MWSt-Systemrichtlinie ist dahin auszulegen, dass er verlangt, dass
infolge der während des betreffenden Berichtigungszeitraums erfolgten
Festlegung eines für die Berechnung der Vorsteuerabzüge verwendeten
Aufteilungsschlüssels, der von der in dieser Richtlinie vorgesehenen Methode
zur Bestimmung des Rechts auf Vorsteuerabzug abweicht, eine Berichtigung der
Vorsteuerabzüge für Gegenstände oder Dienstleistungen, die unter Art. 17 (5)
dieser Richtlinie fallen, vorgenommen wird.
3. Die allgemeinen
unionsrechtlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes
sind dahin auszulegen, dass sie geltenden nationalen Rechtsvorschriften, die
weder ausdrücklich eine Vorsteuerberichtigung im Sinne von Art. 20 der
MWSt-Systemrichtlinie infolge einer Änderung des für die Berechnung bestimmter
Vorsteuerabzüge verwendeten Aufteilungsschlüssels anordnen noch eine
Übergangsregelung vorsehen, obwohl die vom Steuerpflichtigen angewandte
Vorsteueraufteilung nach dem vor dieser Änderung geltenden Aufteilungsschlüssel
höchstrichterlich generell als sachgerecht anerkannt worden war, nicht
entgegenstehen.
Auswirkungen für die Steuerpflichtigen
Zur ersten Frage
Zunächst hat sich das Gericht mit der Frage beschäftigt, ob ein Mitgliedstaat eine Regelung treffen muss oder darf, um bestimmte Eingangsumsätze zunächst den verschiedenen Ausgangsumsatzgruppen zuzuordnen.
Hintergrund dieser Frage ist, dass der EuGH hinsichtlich des Vorsteuerabzugs bei Bezug zu Ausgangsleistungen, die entweder den Vorsteuerabzug voll zulassen oder voll ausschließen oder den Vorsteuerabzug teilweise zulassen, ein zweistufiges Verfahren (zwei Phasen) vorgibt: soweit die Eingangsleistungen direkt und ausschließlich den steuerpflichtigen oder steuerfreien Vermietungsleistungen zugeordnet werden können, sind die Vorsteuern insoweit entweder voll abzugsfähig oder gar nicht abzugsfähig.
Lediglich die Vorsteuern aus Eingangsleistungen, bei denen die direkte Zuordnung tatsächlich nicht möglich ist, sind nach dem vorgesehenen Schlüssel aufzuteilen. Somit gibt es die
Phase 1: entweder „Vorsteuer
voll abzugsfähig“ (Gruppe 1) oder „Vorsteuer nicht abzugsfähig“ (Gruppe 2) und
Phase 2: Vorsteuer teilweise
abzugsfähig (Gruppe 3).
Eine wichtige Aussage ist, dass der EuGH im Allgemeinen die Zuordnung bei gemischt genutzten Gebäuden für „leicht durchführbar“ hält. Daher müssen die Mitgliedsstaaten eine entsprechende Regelung vorsehen, dass die Vorsteuern direkt zugeordnet werden dürfen; diesbezüglich hat der Gesetzgeber nicht das Recht, die direkte Zuordnung auszuschließen.
Gleichzeitig stellt der EuGH fest, dass es für die Mitgliedstaaten zulässig ist, für den Fall, dass eine solche Zuordnung schwer durchführbar ist, ein Abweichen von der grundsätzlichen Systematik zu erlauben – d.h. die Phase 1 nicht umzusetzen, wenn die Zuordnung zu komplex oder schwierig ist. Der BFH habe aber zu prüfen, ob die Zuordnung in der Praxis als zu komplex und somit schwer durchführbar anzusehen sei. Mit seinen Ausführungen zur Phase 2 hat der EuGH im Grunde auch seine Ausführungen in der Sache BLC Baumarkt, C-511/10 vom 08.11.2012 bestätigt: Vom Umsatzschlüssel darf abgewichen werden, wenn der – vorgeschriebene – Flächenschlüssel eine präzisere Bestimmung der aufzuteilenden Vorsteuer ermöglicht. Leider hat der EuGH nicht, wie erwartet, grundsätzlich dazu Stellung bezogen, ob die im deutschen Umsatzsteuergesetz vorgesehene Systematik, die der EU-Systematik dem Wortlaut nach widerspricht, grundsätzlich EU-rechtskonform ist. Das mag auch an der Fragestellung des BFH liegen. Dass aber eine direkte Zuordnung der Vorsteuern nicht ausgeschlossen werden darf, ist eine für die Praxis wichtige Aussage. Trotzdem sehen wir im Ergebnis mit dieser Formulierung ein Priorisieren des Umsatzschlüssels bzw. die Anwendung eines alternativen Aufteilungsschlüssels nur als eröffnet, wenn dies zu einer sachgerechteren Aufteilung führt. Der EuGH hat für das Vorlageverfahren allerdings wiederum dem nationa len Gericht die Entscheidung übertragen, über die präzisere Methode im Urteilsfall zu entscheiden. Es bleibt abzuwarten, wie der BFH in seiner Entscheidung zum vorgelegten Sachverhalt Stellung bezieht.
Zur zweiten Frage
Der EuGH hat es grundsätzlich als zulässig angesehen, dass sich im Rahmen der Berichtigung der Vorsteuern über den Zehn-Jahres-Zeitraum gemäß § 15a UStG der Aufteilungsschlüssel in Bezug zur ursprünglichen Berechnung des Vorsteuerabzugs ändern kann. Damit kann sich im Berichtigungszeitraum der Aufteilungsschlüssel bei den Vorsteuern der Gruppe 3 ändern, wenn dies zu einem präziseren Ergebnis führt. Die Frage des BFH betraf nur vordergründig die Auswirkung im Rahmen der Änderung der deutschen Rechtslage zum 01.01.2004 bezüglich der Vorsteueraufteilung in Phase 2. Die Aussage des EuGH ist aber nicht auf die damalige Gesetzesänderung begrenzt, sondern findet auch allgemein Anwendung, soweit sich im Nachhinein eine Änderung des Vorsteueraufteilungsschlüssels bei einem Grundstück ergibt, d.h. ein anderer Aufteilungsschlüssel aufgrund der aktuellen EuGH-Rechtsprechung begehrt wird.
Zur dritten Frage
Gemäß den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes ist es dem nationalen Gesetzgeber nicht verboten, seine die Durchführung des Unionsrechts bezweckenden Rechtsvorschriften zu ändern. Das Gericht hat mit dem Urteil indirekt die deutschen nationalen Regelungen in § 15 (4) UStG in Verbindung mit § 15a UStG zur Vorsteuerberichtigung – über den für Gebäude geltenden zehnjährigen Zeitraum – als mit Unionsrecht vereinbar beurteilt. Zudem wurde die im Jahr 2004 wirksam gewordene Gesetzesänderung betreffend deren Auswirkungen auf die Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG als unionsrechtskonform bestätigt. Die Aussagen des EuGH dürften betreffend die Regelungen zum Vertrauensschutz noch eine kontroverse Diskussion auslösen.
Ausblick
Es erscheint plausibel, dass die Eingangsumsätze zunächst den verschiedenen Ausgangsumsatzgruppen zuzuordnen sind, nämlich wie vorgenannt zu den Gruppen vorsteuerabzugsfähige, nicht vorsteuerabzugsfähige und teilweise vorsteuerabzugsfähige Eingangsleistungen. Erneut hat der EuGH zu der Folgefrage, wie für die dritte Gruppe – teilweise abzugsfähige Eingangsleistungen – die Aufteilung vorzunehmen ist, seine Präferenz für einen Umsatzschlüssel deutlich gemacht. Diese Sichtweise steht konträr zu der der deutschen Finanzverwaltung, die nach wie vor den Flächenschlüssel als den ihrer Meinung nach präziseren Maßstab ansieht. Der EuGH will diesen nur zulassen, wenn dieser nachweislich zu einem präziseren Ergebnis führt. Sollte der Gesetzgeber die nationalen Vorschriften nicht anpassen (hierzu liegt uns keine Information vor), wird genau dieser Nachweis in zukünftigen Betriebsprüfungen und Finanzgerichtsverfahren zum Zankapfel zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung. Genaue Kriterien, die für die Auswahl des sog. präziseren Schlüssels heranzuziehen sind, bleibt der EuGH schuldig. Eine solche Konkretisierung durch Gesetzgeber oder Finanzverwaltung wäre für den Steuerpflichtigen in der Praxis sehr hilfreich.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Crowe Kleeberg Real Estate
Erstveröffentlichung: Crowe Kleeberg Real Estate Mandanten-Newsletter, August 2016