Energieeffizienz ist derzeit in aller Munde, dabei ist die Rohstoffknappheit als weit drängender anzusehen.
Die Bau- und Immobilienbranche hat sich in den vergangenen Jahren insbesondere dem Energieeffizienzthema gewidmet. Allerdings bewerten Unternehmen das Problem der Rohstoffknappheit mittlerweile als weit drängender als das Megathema Energie. Es wird deutlich, dass auch für dieses Problem Lösungen her müssen – aus ökonomischen und ökologischen Gründen.
So leiden laut einer aktuellen Studie bereits 85 Prozent der Betriebe des Baugewerbes unter steigenden Rohstoffpreisen. Die Materialkosten schnellen immer weiter in die Höhe. Schon heute schlagen sie mit 20 bis 30 Prozent der Bruttobaukosten zu Buche - Tendenz steigend. Denn obwohl sich die Rohstoffmärkte sehr volatil verhalten, müssen Unternehmen für Kupfer, Aluminium und Co. seit dem Jahr 2000 immer tiefer in die Tasche greifen. Angebot und Nachfrage sind aus der Balance geraten: Immer mehr Menschen zehren an den immer knapper werdenden Rohstoffreserven unserer Erde. Und die Bau- und Immobilienbranche? Sie gilt als einer der Hauptübeltäter wenn es um Müllproduktion und Rohstoffverschwendung geht – wobei beides miteinander zusammenhängt: 50 Prozent des Rohstoffverbrauchs in Europa gehen laut Schätzungen der Vereinten Nationen auf das Konto der Baubranche; mit 60 Prozent produziert sie zudem laut Deutschem Statistischem Bundesamt einen Großteil des Abfalls. Dabei wandern wertvolle Materialien und Rohstoffe nach Sanierung oder Abriss entweder direkt oder auf Umwegen auf die Deponie beziehungsweise in die Müllverbrennungsanlage.
Der Handlungsdruck in der Bauwirtschaft steigt: Experten prognostizieren, dass die für einige Baustoffe notwendigen Rohstoffe nur noch für weniger als 50 Jahre ausreichen. Die Branche diskutiert daher seit einiger Zeit intensiv, wie sie künftig mit den seltenen Stoffen umzugehen hat. Einen Weg zeigt das vom deutschen Chemiker Michael Braungart gemeinsam mit dem amerikanischen Architekten William McDonough entwickelte Cradle-to-Cradle-Konzept (Von der Wiege zur Wiege): Die Idee dahinter ist, verwendete Ressourcen immer wieder in gleicher Güte einzusetzen. Da so aus „Müll“ nutzbare Nährstoffe gewonnen werden, sinkt automatisch der Rohstoffverbauch. Ein Downcycling mit Qualitätsverlust, wie es beim normalen Recyclingvorgang eintritt, wird vermieden. Ein Beispiel: Beim Recycling wird aus einem Fensterglas irgendwann ein Gurkenglas, das früher oder später auf dem Müll landet. Geht man aber konsequent den Weg „von der Wiege zur Wiege“ wird das Fensterglas wieder zum Fensterglas. Die Voraussetzung: Alle Inhaltsstoffe der verwendeten Materialien sind nicht nur kreislauffähig, sondern auch chemisch unbedenklich. Und: Die Produkte sind nicht nur unschädlich für Mensch und Natur, sondern haben zusätzlich positive Eigenschaften.
Überträgt man diese Prinzipien auf die Bau- und Immobilienwirtschaft, werden Immobilien von den größten Rohstoffverschwendern zu wertvollen Rohstoffdepots, welche die Ressourcen nach dem Ende der Nutzungszeit wieder für neue Produkte freigeben. Der Kreislauf endet nach diesem Gedanken somit nicht mit dem teuren Abriss und der Entsorgung der Bauteile und Materialien. Sie werden vielmehr in einem geschlossenen Kreislauf gehalten. Zudem sinkt die Zahl der in den Gebäuden enthaltenen Schadstoffe. Und das trifft den Nerv der Zeit: Das Bedürfnis nach „healthy living“-Konzepten steigt. Die Herausforderung für die Branche besteht nun darin, Produkte von Anfang an völlig anders zu designen. Zudem braucht es Leasingkonzepte, die dem Kreislaufgedanken seine wirtschaftliche Grundlage geben: Baufirmen kaufen die Materialien und Bauteile entsprechend dem C2C-Gedanken nicht mehr. Sie leasen sie vom Hersteller. Dieser nimmt sie am Ende der Nutzungszeit wieder zurück, um die enthaltenen Rohstoffe erneut in die Produktion einfließen zu lassen. Der Immobilienbesitzer leiht sich bildlich gesprochen die Aussicht statt sich das Fenster zu kaufen. Auf diese Art und Weise wird die Immobilie zur Rohmaterialbank. Nichts geht verloren.
Das Prinzip der Kreislaufwirtschaft ist zwar nicht neu. Für die Immobilienbranche in Europa bedeutet es jedoch, sich auf ein relativ neues Terrain zu begeben. Andere Länder sind bereits einen Schritt weiter: In China werden schon heute die meisten Immobilien nach C2C-Kriterien designt und gebaut. Doch auch die Niederlande beweisen mit ihrem 20I20 getauften Gewerbepark, dass C2C-Gebäude möglich und durchaus profitabel sind. Zu bedenken ist allerdings, dass der Planungs- und Bauvorgang sowie die Beziehungen zwischen Produktherstellern, Baufirmen, Architekten und Bauherren deutlich komplexer werden. So wird beim Park 20I20 ein digitales Planungs- und Steuerungstool, das Building Information Modeling (BIM), unabdingbar, das bereits vor der eigentlichen Planung die Faktoren der späteren Umsetzung vordenkt.
Eines steht fest: Das Konzept bedeutet einen Innovationssprung. Für diesen Sprung setzt die Branche bereits an. Erste C2C-Gebäude sind im Gespräch, einzelne Produkte wurden bereits entwickelt. Der nächste Schritt ist, gemeinsam mit Investoren, Bauherren, Architekten und Produktherstellern die Produkte und Konzepte weiterzuentwickeln, um das Henne-Ei-Stadium zu verlassen. In der Branche nimmt das Thema zunehmend an Fahrt auf, sodass C2C-inspirierte Gebäude in fünf Jahren auch in Deutschland und der Schweiz einen nennenswerten Marktanteil besitzen werden.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Drees & Sommer
Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung. April 2014