Drittstaatenpass in der Warteschleife
Die Ausgangslage
Für inländische AIF sowie für EU-AIF (= AIF, die dem Recht eines Mitgliedsstaats der EU oder eines Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegen) ergibt sich seit dem Inkrafttreten des KAGB am 22. Juli 2013 eine substanzielle Vereinfachung des Vertriebs an professionelle Anleger in Form des sogenannten EU-Passes. Es wird in diesem Fall dem AIFM nicht abverlangt, in sämtlichen für den Vertrieb in Frage kommenden Staaten ein separates Vertriebsanzeigeverfahren zu durchlaufen. Vielmehr ist ausreichend, dass der geplante Vertrieb der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nach den relevanten Vorschriften des KAGB angezeigt wird, wobei die für den Vertrieb in Frage kommenden Staaten der BaFin mitzuteilen sind. Für den Fall der Erlaubniserteilung durch die BaFin gilt diese Erlaubnis auch für die relevanten übrigen Staaten, in denen der Vertrieb beabsichtigt ist. Die BaFin zeigt die Vertriebserlaubnis selbst den relevanten ausländischen Aufsichtsbehörden an und leitet diesen die Anzeigeunterlagen weiter. Die vorgenannte Privilegierung erstreckt sich jedoch ausdrücklich nicht auf den Vertrieb an semiprofessionelle oder an Privatanleger. Diesbezüglich bleibt es dabei, dass sich die Zulässigkeit des Vertriebs nach den jeweiligen lokalen Rechtsvorschriften richtet und somit ggf. diverse Vertriebsanzeigeverfahren zu durchlaufen sind, bzw. der Vertrieb in andere Staaten ggf. nicht zulässig ist, sofern das ausländische Recht einen Vertrieb an diese Personengruppen nicht erlaubt.
In der AIFM-Richtlinie war vorgesehen, die Regelungen des EU-Passes ab ca. Ende 2015 auf den Vertrieb von ausländischen AIF (= AIF, die nicht dem Recht eines Mitgliedsstaates der EU oder eines Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterliegen) auszudehnen. Diese Erweiterung sollte jedoch davon abhängen, ob sich die Regelung des EU-Passes in der Praxis bis dahin bewährt hat. Sofern eine entsprechende positive Stellungnahme seitens der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) erfolgte, sollte die Europäische Kommission einen entsprechenden Rechtsakt erlassen. Die relevanten Vorschriften zur Einführung des Drittstaatenpasses sind bereits jetzt im KAGB angelegt und würden mit Erlass dieses Rechtsaktes entsprechend der Regelung in § 295 Abs. 2 KAGB quasi automatisch „scharfgestellt“. Bis dahin richtet sich z. B. insbesondere der Vertrieb von ausländischen AIF durch eine ausländische AIF-Verwaltungsgesellschaft in Deutschland nach § 330 KAGB, wobei die entsprechende Vertriebserlaubnis auf Deutschland beschränkt ist.
Die Stellungnahme der ESMA
Am 30. Juli 2015 hat die ESMA ihre entsprechende Stellungnahme nunmehr abgegeben. Sie ist dabei jedoch erheblich von dem in der AIFM-RL vorgesehenen Verfahren abgewichen, indem sie keine allgemeine Empfehlung ausgesprochen hat, sondern stattdessen eine Einzelbetrachtung von sechs Drittstaaten, namentlich den USA, Guernsey, Jersey, Hongkong, der Schweiz und Singapur, unter den regulatorisch relevanten Gesichtspunkten Anlegerschutz, Wettbewerb, potenzielle Marktstörung und Überwachung von Systemrisiken vorgenommen hat. Hinsichtlich Guernsey und Jersey befürwortet ESMA die Einführung des Drittstaatenpasses. Die gleiche Einschätzung gibt ESMA grundsätzlich hinsichtlich der Schweiz ab, allerdings mit der Maßgabe, dass die noch bestehenden Hindernisse durch zum Zeitpunkt der Abgabe der Stellungnahme der ESMA anstehende aber noch nicht durchgeführte Gesetzesänderungen in der Schweiz beseitigt werden würden.
Bzgl. der USA spricht ESMA dagegen keine Empfehlung zur Einführung des Drittstaatenpasses aus. Dies wird vorrangig mit einer ansonsten nach Auffassung der ESMA eintretenden Wettbewerbsverzerrung begründet: Die Markteintrittshürden für den Vertrieb durch ausländische AIF-Verwaltungsgesellschaften in Europa wären im Falle der Einführung des Drittstaatenpasses geringer, als diejenigen für EU-AIFM hinsichtlich des Vertriebs in den USA. Entsprechend empfiehlt ESMA, sofern Europäisches Parlament, Rat und Kommission einen ähnlichen Schwerpunkt auf dem einheitlichen Marktzugang als Kriterium für die Einführung des Drittstaatenpasses legen, den Drittstaatenpass hinsichtlich der USA erst einzuführen, sobald die Marktzugangshürden für EU-AIFM hinsichtlich eines Vertriebs in den USA abgesenkt wurden.
Da ESMA nicht wie vorgesehen eine allgemeine Empfehlung hinsichtlich der Einführung des Drittstaatenpasses abgegeben hat, schlägt ESMA vor, mit der Einführung des Drittstaatenpasses abzuwarten, bis ESMA eine hinreichende Anzahl vom Staaten geprüft und die Voraussetzung für die Einführung als jeweils vorliegend festgestellt hat. Damit soll einer Wettbewerbsverzerrung dadurch vorgebeugt werden, dass nur wenigen Staaten der Vorteil des Drittstaatenpasses gewährt wird. Welche Zahl ESMA jedoch als „hinreichend“ ansieht, wird nicht ausgeführt. Allgemein führt ESMA aus, dass sie mehr Zeit benötigt, um weitere für die Abgabe einer fundierten und umfassenderen Empfehlung erforderliche Informationen zu sammeln.
Mit Schreiben vom 17. Dezember 2015 hat die Europäische Kommission auf die Empfehlung der ESMA geantwortet. Mit dem Vorgehen der ESMA, Einzelstaaten separat zu bewerten und keine allgemeine Empfehlung auszusprechen, obwohl dies so in der AIFM-Richtlinie vorgesehen ist (vgl. Art. 67 Abs. 1 lit. b) der AIFM-Richtlinie), erklärt sich die Kommission grundsätzlich einverstanden. Sie gibt ESMA im Übrigen auf, bis zum 30 Juni 2016 die Bewertung der drei Staaten (USA, Hongkong und Singapur) abzuschließen, hinsichtlich derer ESMA noch keine abschließende Empfehlung abgegeben hat, und im Übrigen eine Empfehlung hinsichtlich der weiteren Staaten Japan, Kanada, Isle of Man, Cayman Islands, Bermuda und Australien abzugeben. Bei Redaktionsschluss dieser Publikation lag die entsprechende Empfehlung der ESMA noch nicht vor.
Im Rahmen der letzten Anpassung des KAGB vom 18. März 2016 hat der Gesetzgeber nicht auf das geänderte Verfahren hinsichtlich der Einführung des Drittstaatenpasses reagiert und hält nach dem Wortlaut des § 295 Abs. 2 KAGB an dem dargestellten „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ fest. Die Regelungen zum Drittstaatenpass sollen weiterhin umfassend zur Anwendung kommen, sobald der in der AIFM-Richtlinie vorgesehene delegierte Rechtsakt gemäß Art. 67 Abs. 6 AIFM-Richtlinie erlassen worden ist. Die nunmehr real bestehende Möglichkeit einer Beschränkung dieses Rechtsakts auf einzelne Jurisdiktionen wird nicht aufgegriffen und somit ergeben sich Auslegungsprobleme. Dem Wortlaut der Vorschrift zufolge, würden für die Jurisdiktionen, hinsichtlich derer der vorgenannte delegierte Rechtsakt zunächst nicht erlassen würde, die im KAGB vorgesehenen übergangsweisen Vertriebsmöglichkeiten für ausländische AIF-Verwaltungsgesellschaften (z. B. § 330 KAGB) fortgelten. Teilweise wird jedoch geäußert, dass dies nicht der Fall sein könne, sofern und soweit in dem delegierten Rechtsakt ausdrücklich geäußert wird, dass die Einführung des Drittstaatenpasses hinsichtlich bestimmter Jurisdiktionen (derzeit) nicht in Betracht komme. Es bleibt abzuwarten, ob und wie sich die BaFin hinsichtlich dieser Frage durch entsprechende Verlautbarung positionieren wird.
Aussichten hinsichtlich der USA
Insbesondere hinsichtlich der USA erscheint vor dem Hintergrund des bisherigen Verfahrens und aktueller Entwicklungen die zeitnahe Erteilung des Drittstaatenpasses zweifelhaft. Eine kurzfristige Herabsetzung der Marktzutrittsschwellen für EU-AIFM hinsichtlich des US-Marktes erscheint wenig wahrscheinlich, nicht zuletzt angesichts des derzeit laufenden US-Wahlkampfs und den (negativen) Äußerungen der aussichtsreichen Kandidaten für das Präsidentschaftsamt bezüglich des derzeit verhandelten Transatlantischen Freihandelsabkommens (TTIP). Kommt somit der Drittstaatenpass auf absehbare Zeit nicht, bleibt US-Anbietern von ausländischen AIF zunächst lediglich – vorbehaltlich einer Anpassung der gegebenen Strukturen (dazu sogleich) – der beschwerliche Weg, in allen EU-Staaten, in denen vertrieben werden soll, ein separates Zulassungsverfahren zu durchlaufen, wobei ein fortlaufender Vertrieb in Deutschland nach § 330 KAGB nicht vollständig gesichert erscheint (siehe oben). Dies wird nahezu zwangsläufig eine Konzentration auf wenige, als vielversprechend angesehene Kernmärkte in der EU mit sich bringen, um den Aufwand zu verringern. Als Alternative – mit erheblichem Strukturierungsaufwand – dazu bietet es sich ggf. an, hinsichtlich der Produkte, die für den europäischen Vertrieb gedacht sind, auch europäische Strukturen aufzusetzen (EU-AIFM sowie EU-AIF), um von dem Drittstaatenpass profitieren zu können.
Zusammenfassung und Ausblick
Entgegen dem in der AIFM-Richtlinie vorgesehenen Zeitplan steht die Einführung des Drittstaatenpasses weiterhin aus, und nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens ist davon auszugehen, dass die Umsetzung noch einige Zeit in Anspruch nehmen und im Übrigen anders erfolgen wird, als ursprünglich im KAGB vorgesehen, nämlich auf Einzelstaatenbasis. Diesbezüglich ist mit einer schnellen Einführung des Drittstaatenpasses hinsichtlich der USA (aufgrund der Stellungnahme der ESMA) eher nicht zu rechnen. Im Gegenteil besteht sogar die Gefahr, dass im Falle einer negativen Äußerung der Europäischen Kommission der Weg des auf Deutschland beschränkten Vertriebs gemäß § 330 KAGB fortan versperrt ist. Auch nach (vollständiger) Einführung des Drittstaatenpasses werden die Arbeiten am regulatorischen Gesetzeswerk im Übrigen wohl unmittelbar weitergehen: Art. 69 AIFM-Richtlinie sieht vor, dass die Kommission bis 22. Juli 2017 eine Überprüfung der Anwendung und des Geltungsbereichs der AIFM-Richtlinie vorsieht, und ggf. Änderungen vorschlägt.
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Erstveröffentlichung: Publikation "Immobilienkapitalmarkt 2016"