15.10.2020

Im Schatten von Corona

Während die Aufmerksamkeit auf der Pandemie ruht, gibt es für die Immobilienwirtschaft wichtige Veränderungen

Francesco Fedele, CEO, BF.direkt AG
Prof. Dr. Steffen Sebastian, Lehrstuhl für Immobilienfinanzierung (Real Estate Finance), IREBS Institut für Immobilienwirtschaft
Francesco Fedele

Während Corona weiterhin das alles dominierende Thema in den Medien ist, vollziehen sich für die Immobilienwirtschaft wichtige Änderungen. Die anstehende Novelle des Baugesetzbuches könnte noch in dieser Legislaturperiode erfolgen. Die europäische ESG-Regulierung wird langfristig deutlich größere Auswirkungen auf die Branche haben als Corona.

Corona hat die Welt im beginnenden Herbst wieder fest im Griff. Wie befürchtet steigen allenthalben die Infektionszahlen und entsprechend verstärkt sich die Diskussion über Gegenmaßnahmen und die möglichen ökonomischen Auswirkungen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Maßnahmen sinnvollerweise mehr ins Privatleben und weniger in die Wirtschaft eingreifen, als dies beim ersten Lockdown der Fall war. Es gilt als sicher, dass die Infektionsgefahr in Läden und Gaststätten relativ gering ist, sofern Abstandsregeln und Maskenpflicht eingehalten werden. Vergleichbares gilt auch für öffentliche Verkehrsmittel. Großes Risiko für die Wirtschaft bleiben nach wie vor die Schulen. Bereits jetzt gibt es landesweit Schulklassenquarantänen; Ende September waren bereits über 50.000 Schüler in Quarantäne. In Bayern hat die Anzahl der Schüler in Quarantäne innerhalb von knapp zwei Wochen von 9.000 auf ca. 15.000, d.h. um über 60% zugenommen (Stand 12.10.2020). Deren Eltern sind entsprechend in ihrer Erwerbstätigkeit eingeschränkt. Und es ist mit einer deutlichen Zunahme zu rechnen, was nicht ohne Folgen für die ohnehin angeschlagene Konjunktur bleiben wird.

Auch über Auswirkungen und Folgen für die Immobilienwirtschaft wird täglich diskutiert. Aktuelles Sorgenkind ist hier vor allem der Bürosektor. Neben dem zu erwartenden konjunkturbedingten Rückgang der Nachfrage wird vor allem über die langfristige Auswirkung von Homeoffice spekuliert.

Vor diesem Hintergrund ist es umso bedauerlicher, dass die Novelle des Baugesetzbuchs ins Stocken geraten ist, von der sich die Immobilienwirtschaft auch positive Impulse erhofft hat. Hier hatte es zunächst aus Sicht der Branche begrüßenswerte Entwicklungen gegeben: So wurde im aktuellen Entwurf zum neuen Baugesetzbuch das ursprüngliche, weitreichende Verbot der Umwandlung von Mietshäusern in Eigentumswohnungen zunächst wieder gestrichen, wie wir es bereits im Marktradar August vorsichtig prognostiziert hatten. Ebenso ist die ursprünglich vorgesehene Möglichkeit entfallen, Eigentümer zur Bebauung von Grundstücken zu verpflichten. Allerdings steht mit diesen Anpassungen die gesamte Gesetzesnovelle in Frage, da die SPD dem geänderten Entwurf nun nicht mehr zustimmen möchte.

Aus unserer Sicht wäre es nun voreilig, bereits fest von einem Wegfall des Umwandlungsverbots und des Baugebots auszugehen. Hier ist hier das letzte Wort noch nicht gesprochen. Das Ministerium unter der Leitung von Horst Seehofer wird den Gesetzgebungsprozess noch in dieser Legislaturperiode abschließen wollen. Das wäre wahrscheinlich für die Immobilienwirtschaft auch besser. Denn derzeit deuten alle Umfragen zur Bundestagswahl 2021 auf eine schwarz-grüne Regierung hin, mit der eine wirtschaftsfreundliche Gesetzgebung sicherlich nicht einfacher werden wird.

Zinsentwicklung
Nachdem die langfristigen Zinsen gegen Ende August deutlich gestiegen sind, fielen diese im September bereits wieder ab. So stand der 10-Jahres-Zinswap am Septemberanfang bei ­-0,12 Prozent und sank bis Monatsende auf -0,25 Prozent. Auch die kurzfristigen Zinsen sind leicht gesunken. Der 3-Monats-Euribor sank von -0,478 auf -0,498 Prozent. Auch der 6-Monats-Euribor sank von -0,441 auf -0,480 Prozent.

image-20201015110428-1.png

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ausblick
Aus der „grünen Ecke“ kommen parallel umfassende Veränderungen auf die Immobilienwirtschaft zu. Treiber ist die Europäische Union, die derzeit ein Bündel an Maßnahmen zum Umbau des Finanzsystems in Richtung Nachhaltigkeit vorbereitet bzw. verabschiedet. Die Effekte werden langfristig weit größer sein als die Covid-19-Pandemie. Der europäische Gesetzgeber hat umfassende Anforderungen an das Thema Nachhaltigkeit – aufgesplittet in die drei Dimensionen Environmental, Social and Governance (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung), kurz ESG-Kriterien – formuliert. Derzeit ist ESG vor allem ein arbeitsintensives Thema für regulierte Investoren, insbesondere Immobilienfonds, Versicherungen und Versorgungswerke – und natürlich auch für alle Projektentwickler, die an solche verkaufen wollen. Für alle anderen Vertreter der Immobilienwirtschaft ist weiterhin die Verstärkung der vorhandenen Regularien im Bereich Energieeffizienz und CO2-Reduzierung wichtiger. So sollen zum einen die Förderungen von klimaschützenden Maßnahmen ausgeweitet werden, zum anderen aber auch die Anforderungen verschärft werden, insbesondere an Bestandsimmobilien. Wer den Überblick über die vielfältigen Möglichkeiten und Verpflichtungen auf den unterschiedlichen staatlichen Ebenen behalten möchte, ist gründlich beschäftigt. Die Bedeutung von entsprechend spezialisierten Architekten, Ingenieuren und Energieberatern wird in Zukunft für Objekte aller Größenordnung erheblich zunehmen. Kurz: Während das Thema Corona gerade die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zieht, vollziehen sich beim Thema ESG umfassende Änderungen, die – in ihren Auswirkungen – gar nicht überschätzt werden können.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von BF.direkt AG
Erstveröffentlichung: BF.direkt AG, Oktober 2020

Konversation wird geladen