24.01.2022

Think 2030

Die Bedeutung von Ökosystemen heute und morgen

Marko Broschinski, Geschäftsführer, easol GmbH
Marko Broschinski

Die Immobilienwirtschaft in Deutschland ist trotz aller Unkenrufe auch im Branchenvergleich digital schon gut aufgestellt. Zahlreiche Indizien belegen einen erheblichen Sprung der Branche in den vergangenen Jahren. Hier sind die wachsende Anzahl von deutschen PropTechs auf mittlerweile rund 450, die Beteiligungen großer Branchenakteure an digitalen Dienstleistern oder auch die neue Datenrichtlinie der Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche Forschung (gif) zu nennen. In der Kombination von digital affinen Immobilienunternehmen und innovativ aufgestellten Startups ergibt sich ein idealer Nährboden für digitale Ökosysteme. Sie haben erheblich an Bedeutung gewonnen, da der Wunsch nach zentraler und einheitlicher Verfügbarkeit von Informationen samt ihrer Steuerung gewachsen ist. Vor diesem Hintergrund haben sich bereits größere Unternehmen dazu entschlossen, einzelne bereits zuvor verwendete Softwarelösungen zusammenzuführen und als intern genutzte Plattformlösung anzubieten. Die Kapitalverwaltungsgesellschaft IntReal und das IT-Unternehmen control.IT sind einen Schritt weiter gegangen und bieten mit ihrer Unternehmensgründung easol ein frei verfügbares Ökosystem mit aktuell zehn verschiedenen Software-Lösungen am Markt an.

Status quo der immobilienwirtschaftlichen Ökosysteme sind wie vorstehend dargestellt integrative Plattformen, die das Grundgerüst für die gleichzeitige Verwendung verschiedener PropTech-Lösungen darstellen. Ökosysteme garantieren in dieser Hinsicht die Interoperabilität der auf ihnen angedockten Softwarelösungen und die Verknüpfung mit den IT-Systemen des jeweiligen Nutzers. Dies funktioniert über Schnittstellen-Lösungen. Hierfür gibt es spezialisierte Anbieter, die branchenübergreifend Lösungen mit einer allgemeinen Schnittstelle, der sogenannten Restful API, oder vergleichbaren Technologien bereitstellen. Ökosysteme selbst nutzen diese Schnittstellen nicht nur zur Kompatibilität mit den Kundensystemen, sondern auch um neue PropTechs in sich aufzunehmen. So ergibt sich für die Summe einzelner spezieller Geschäftsvorgänge ein harmonisches Gefüge verschiedener PropTech-Lösungen. Denn in der Regel bringen PropTechs mit ihren Spezialprodukten für den jeweiligen Prozess mehr Know-how mit als ein generalistischer IT-Anbieter mit einem breit angelegten Lösungsspektrum. Durch ihre Integration in das Ökosystem verzichten sie richtigerweise darauf, selbst eine Insellösung zu sein.

Das Prinzip der Insellösung gehört der ersten Generation der PropTechs an. Eine Vermietungs-App zum Beispiel ist ein innovatives Produkt, das digital gesteuerte, effiziente Vermietungsprozesse ermöglicht. Würde man die für die App notwendigen Daten nun fortlaufend manuell erfassen, würde man den Effizienzvorteil weitestgehend aufgeben. Also benötigt es Schnittstellenverbindungen zu bestehenden Systemen für eine integrative Lösung. Die im digitalen Vermietungsprozess gewonnenen Daten stehen als erweiterte Informationsgrundlage zu Verfügung und können als Entscheidungsgrundlage zusätzlich genutzt werden. Beispielsweise können veränderte Anforderungen der Mieter schneller antizipiert werden mit Auswirkungen auf die Gestaltung vermietbarer Flächen. Dies kommt sowohl Vermietern als auch Mietern zugute.  Ökosysteme entspringen folglich nicht nur der Verbesserung der internen Prozesse, sondern haben darüber hinaus einen klaren Kundenfokus.

Mehr Service für den Kunden

Die Fokussierung auf Kundenbedürfnisse kann zu Evolutionssprüngen bei Ökosystemen führen. Doch der Immobilienwirtschaft in Deutschland sind gewisse Hemmschuhe inhärent, die ein branchenübergreifendes Ökosystem wie Amazon hierzulande nicht entstehen lassen können. Es sind insbesondere die Kleinteiligkeit des Marktes mit wenigen Großunternehmen, die Individualität der Objekte und die je nach Bundesland unterschiedlichen regulatorischen Anforderungen zu nennen. All dies erschwert Produkte und Prozesse, die für die gesamte Branche in identischer Form gelten können, da ihnen Datenstandards zugrunde liegen. Diese wird es in der Immobilienwirtschaft kurz- und mittelfristig nur partiell geben. Fehlende Standards sind eine Herausforderung für die Herstellung skalierbare Produkte: PropTechs würden gerne ihr Produkt ohne individuelle Konfiguration einheitlich implementieren, Immobilienunternehmen würden gerne – nicht nur bei Transaktionen – ohne Zusatzaufwand Daten miteinander austauschen, Plattformen würden gerne alle beteiligten Parteien transparent zusammenführen. Da dies bislang nur in kleinen Communities möglich ist, bei denen sich die Akteure auf einen Datenstandard und eine gemeinsame Plattform geeinigt haben, bleibt die Transformation zu branchenübergreifenden Ökosystemen noch ferne Zukunftsmusik.

Dennoch: Die Möglichkeiten für Nutzer dieser Ökosysteme sind so attraktiv, dass zumindest ein Blick bis 2030 gewagt werden soll. In einem ersten Schritt ist es naheliegend, die bereits bestehenden Ökosysteme für Asset- und Property-Management um die immobiliennahen Segmente zu erweitern. Die Daten aus Finanzierung, Projektentwicklung und Bau sowie aus der Arbeit des Facility- und Energiemanagements in der Betriebsphase stellen eine sinnvolle Ergänzung dar. In einem weiteren Schritt können Versicherungen, Banken oder Mobilitätsanbieter Bestandteile des Ökosystems sein, wobei der jeweilige Mieter und sein Wunsch nach verknüpften Dienstleistungen die gemeinsame Brücke zwischen den Branchen darstellt. Daher ist es alles andere als unrealistisch, ab 2030 eine Immobilien-Börse zu haben, bei der ganze Portfolios transparent gehandelt werden. Denn alle Projektparteien haben zuvor ihre Daten zur Immobilie ins Ökosystem eingespeist. Der digitale Zwilling der Immobilie wird somit zum Handelsobjekt an der Börse.

Fazit: Neue Formen der Wertschöpfung

Ökosysteme sind heute bereits das zentrale Werkzeug einer effizienten Datenwirtschaft. Die mit ihnen verbundene Zusammenführung unterschiedlicher Produkte auf einer Plattform stellt die Grundbedingung für eine effektive Datennutzung dar. Ohne sie kann es keine gemeinsame Wertschöpfung geben. Aktuell führen sie bereits spezialisierte PropTechs für einzelne Wertschöpfungsbereiche zusammen. Aufgrund allgemein kompatibler Schnittstellen ist ein Sprung auf weitere Elemente der Immobilien-Wertschöpfungskette und sogar ein Ausgreifen auf andere Branchen in den kommenden Jahren möglich. So wird das Ökosystem zu einem profitablen Geschäftsmodell – nicht nur für die Immobilienwirtschaft.

 

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von easol GmbH
Erstveröffentlichung: Blog Blackprintbooster, Juni 2021

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