Einbruch oder Aufbruch?
Die Immobilienpreise sind über alle gewerblichen Nutzungsarten seit zehn Jahren angestiegen. Der Boom endete jäh mit dem Ausbruch der Corona-Krise. Dennoch werden Gewerbeimmobilien insgesamt weiterhin bei Investoren als sicheres Investment gefragt bleiben – auch wenn einzelne Segmente wie Hotelimmobilien von den Krisenfolgen stark betroffen sind.
Als „Jahrzehnt der Immobilie“ bezeichnet das Maklerhaus Jones Lang LaSalle die zu Ende gegangene Dekade. Demnach waren die „zehner“ Jahre durch einen langanhaltenden und kontinuierlichen Aufschwung am Immobilienmarkt und niedrige Zinsen geprägt. Diese Phase endete abrupt mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Durch den Lockdown und die einsetzende Rezession könnten Mietausfälle im größeren Ausmaß drohen, wenn im Januar 2021 die gelockerten Insolvenzregelungen auslaufen. Viele Investoren stellen sich nun die Frage, ob gewerbliche Immobilien trotzdem weiterhin als sicheres Investmentprodukt gefragt sein werden und welche Immobiliensegmente besonders von der Corona-Krise betroffen sind.
Eines vorweg: Trotz kurzfristig extremer Belastungen für die Volkswirtschaften werden Gewerbeimmobilien für Investoren mit einem längerfristigen Anlagehorizont eine weiterhin attraktive Anlageklasse bleiben. Zwar zeigen die Vermietungsmärkte aktuell eine verstärkte Zurückhaltung bei den Expansionsplänen von Unternehmen und eine zeitliche Verschiebung von Anmietungen, wodurch sich die starke Mietpreisdynamik der vergangenen Jahre abflachen wird. Aber zum Vorteil der Investoren wirkt sich aus, dass die deutschen Vermietungsmärkte mit historisch niedrigen Leerstandsraten und einer moderaten Bautätigkeit im Vergleich zu vorherigen Krisen in einer sehr guten Verfassung sind. Davon dürfte eine stabilisierende Wirkung ausgehen.
Deutschland weiterhin der sichere Hafen
Hinzu kommen die in Deutschland vergleichsweise guten Rahmenbedingungen. Die Haushaltsüberschüsse der vergangenen Jahre und das erfolgreiche Modell der Kurzarbeit helfen der deutschen Volkswirtschaft enorm, um gut durch die Unwägbarkeiten der Krise zu kommen. Deutschland wird im internationalen Vergleich nach wie vor zu den sicheren Häfen gezählt, wie der zweite Platz im „Safety Countries Ranking“ der „Deep Knowledge Group“ nahelegt. Bislang ist Deutschland besser durch die Pandemie gekommen als viele andere Länder, die staatlichen Maßnahmen greifen und das Gesundheitssystem ist leistungsfähig. Die guten institutionellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden weiterhin Kapital nach Deutschland und in die Assetklasse Immobilien strömen lassen.
Büro hat Zukunft, Hotel derzeit nicht
Allerdings zeigen die einzelnen Immobiliensegmente ein unterschiedliches Bild. In der Hotellerie sind die Einbrüche des Tourismus und der Geschäftsreisen deutlich spürbar. Ebenso steigen die Risiken bei Micro-Living, weil dieses Segment auch stark vom Geschäftsleben und von der Reisetätigkeit abhängt. Dagegen ist der Einzelhandel differenziert zu betrachten. Vergleichsweise stabil ist die Entwicklung bei Nahversorgungszentren mit Ankermietern aus dem Lebensmitteleinzelhandel und Drogeriebereich. Bei Shoppingcentern sieht das Bild dagegen anders aus: Hier sind aufgrund der üblichen Mietverträge mit Umsatzmietkomponenten bereits sinkende Mieterträge zu verzeichnen.
Im Bürosektor sind die Auswirkungen derzeit moderat und eher nachgelagert, da eine tiefere, länger anhaltende Rezession, in der auch der Arbeitsmarkt und mithin auch die Bürobeschäftigung massiv in Mitleidenschaft gezogen werden würden, aktuell nicht absehbar ist. Auch das verstärkte Nutzen von Home-Office im Arbeitsleben wird zu keiner nachlassenden Büroflächennachfrage führen. Gleichwohl hat die Pandemie einen weitreichenden Effekt auf die Bürowelt, denn sie wird die Verschiebung der Flächennutzung beschleunigen. Künftig werden verstärkt mehr innovative Konferenz- und Pausenbereiche benötigt und weniger Raum für die Arbeitsplätze. Die benötigte Gesamtfläche wird aber nicht sinken.
Logistik als Gewinner
Im Logistikbereich dürften sich vor allem die Unterbrechungen der Lieferketten positiv auf die Nachfrage von Flächen bemerkbar machen. Längerfristig dürften die aktuellen Erfahrungen dazu führen, dass im gesellschaftlichen Interesse für bestimmte Güter wie Medikamente und medizinische Ausrüstung eine erhöhte Lagerhaltung erfolgen wird. Ebenso dürften Unternehmen ihre Lieferketten überprüfen und diversifizierter aufstellen sowie in einigen Bereichen die Just-in-Time-Produktion überdenken und die Lagerbestände erhöhen, wovon längerfristig auch die Logistikmärkte profitieren könnten.
Fest steht: Einen Einbruch auf dem gesamten Gewerbeimmobilienmarkt wird es nicht geben. Insgesamt sind im Zuge der Corona-Krise die strukturellen Rahmenbedingungen für den deutschen Immobilienmarkt weiterhin attraktiv. So sind etwaige Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank in sehr weite Ferne gerückt. Auch die langfristigen Megatrends – wie die Urbanisierung – werden sich nach der Corona-Krise fortsetzen und den Immobilienmarkt weiterhin positiv prägen.
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Erstveröffentlichung: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom Oktober 2020